[507] Patrizĭer (Patricii, v. lat. pater), in der ältesten Zeit des römischen Staates die ursprünglichen Vollbürger, die als Gesamtheit das eigentliche Volk (populus) ausmachten, in drei Stämme oder Tribus (Ramnes, Tities und Luceres) und in 30 Kurien oder Geschlechtsverbände zerfielen und neben sich nur noch Klienten, d.h. Hörige, hatten. Dies Verhältnis änderte sich, als besonders seit Servius Tullius die Bürger der unterworfenen, meist latinischen Städte als Plebejer in die römische Gemeinde und ihr Bürgerrecht aufgenommen wurden, aber ohne das Jus honorum und suffragii, d.h. ohne das Recht, ein Staatsamt zu bekleiden, und ohne Stimmrecht in den Volksversammlungen der P., den Comitia curiata. Allmählich aber arbeiteten sich diese durch einen Kampf, der über zwei Jahrhunderte dauerte und durch die Vereinigung von Hartnäckigkeit und Mäßigung, mit der er ausgefochten wurde, wesentlich dazu beigetragen hat, der Verfassung und der Sinnesweise der Römer ihren eigentümlichen Charakter zu verleihen, zu der gleichen politischen Berechtigung mit den Patriziern empor (vgl. Römisches Reich, Geschichte). Die Zahl ihrer Familien schmolz hauptsächlich durch die Bürgerkriege immer mehr zusammen (es soll deren zu Ende der Republik nicht mehr als 50 gegeben haben); deshalb vermehrten sie Cäsar und Augustus durch Aufnahme[507] neuer Geschlechter, und es wurde seitdem üblich, daß die Kaiser das Patriziat als Auszeichnung verliehen. Vgl. Genz, Das patrizische Rom (Berl. 1878); Büdinger, Der Patriziat und das Fehderecht in den letzten Jahrzehnten der römischen Republik (Wien 1887).
Als dann Konstantin d. Gr. in dem römischen Reich eine künstlich abgestufte Rangordnung einführte, wurde Patricius als persönlicher Titel im Rang eines Illustris unmittelbar nach den Konsuln verliehen; im 5. Jahrh. heißt er Magnificus, dann Excellentissimus. So wurde der Sohn des Goten Ardaburios, Aspar, 434 Konsul, später Magister militum und Patricius; so erhielt der Amaler Theoderich Landanweisungen, Konsulat und Patriziat, schließlich (488) den Auftrag, Italien zu erobern. Regelmäßig wurden dieser Auszeichnung die Exarchen von Ravenna als Stellvertreter des Kaisers in Italien teilhaftig. Päpstliche Dankbarkeit erhob 754 den Frankenkönig Pippin als hilfsbereiten Schutzherrn Roms zum Patricius Romanorum; denselben Titel nahm Karl d. Gr. 774 nach der Zerstörung des Langobardenreichs auf, ohne daß damals das dadurch bedingte Verhältnis zu Byzanz in klarer Weise gelöst worden wäre. Nach dem Absterben des karolingischen Hauses hieß Alberich II., 932954 Herr von Rom, auch »Patricius«; ein halbes Jahrhundert später führten 989998 Johannes Crescentius und nach ihm einige Große, die von Otto III. damit ausgestattet wurden, denselben Titel, unter anderm sogar der Polenherzog Boleslaw Chabri (1000). Im J. 1046 ging der Patriziat mit den Abzeichen des Fingerrings und dem goldenen Diadem wieder an das deutsche Kaisertum (Heinrich III.) über, das die unsittliche Adelsherrschaft über Rom gestürzt hatte. Doch der Papstwahlerlaß von 1059 und der namentlich von Gregor VII. zielbewußt geführte Investiturkampf vernichteten das kaiserliche Vorrecht; Kaiser Friedrich I. Rotbart machte 1167 zum letztenmal Gebrauch von den Insignien. Vgl. W. Martens, Die römische Frage (Stuttg. 1881) und Beleuchtung der neuesten Kontroversen über die römische Frage (Münch. 1899); L. v. Heinemann, Der Patriziat der deutschen Könige (Halle 1888; unterscheidet den städtischen vom kaiserlichen Patriziat).
Ein neues Patriziertum entstand im 12. und 13. Jahrh. in den deutschen Reichsstädten und in der Schweiz aus den angesehensten Familien, die zu gewissen obrigkeitlichen Ämtern eine ausschließende Berechtigung in Anspruch nahmen. Für einen Angehörigen oder eine Angehörige des Patrizierstandes wurde auch der Ausdruck »Geschlechter«, bez. »Geschlechterin« gebraucht. Vgl. Roth von Schreckenstein, Das Patriziat in den deutschen Städten, besonders Reichsstädten (2. Ausg., Freiburg 1886); Foltz, Beiträge zur Geschichte des Patriziats in den deutschen Städten (Marburg 1899).