Wilhelmshöhe

[646] Wilhelmshöhe, Schloß mit Parkanlagen und berühmten Wasserkünsten am Ostabhange des Habichtswaldes, 4 km westlich von Kassel und mit diesem durch Straßenbahn verbunden, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Kassel-Niederwalgern, Kassel-Bebra und Kassel-Waldkappel sowie der Kleinbahnlinien Kassel-Naumburg und W.-Neuholland, besteht aus einem kuppelgekrönten, 69 m langen Mittelbau mit einem von sechs ionischen Säulen getragenen Portikus, zwei 54 m langen Nebenflügeln und wurde 1787–98 unter Leitung du Rys und Jussows erbaut. Ehemals stand hier das in der ersten Hälfte des 12. Jahrh. gestiftete Augustinerkloster Weißenstein, das 1527 säkularisiert wurde. Mit Benutzung der hier durch die Natur so reichlich gebotenen Mittel ließ Landgraf Karl 1701 durch den italienischen Baumeister Guernieri die Anlage der noch bestehenden Bauten beginnen. Zuerst entstand auf der Höhe des Karlsberges das Riesenschloß (Oktogon), ein achteckiger Bau aus drei übereinander gebauten, 91 m im Durchmesser haltenden Bogengewölben, auf dessen Plattform auf einer 31 m hohen Pyramide die aus Kupfer getriebene, 10 m hohe Nachbildung des Farnesischen Herkules (im Volksmund der »große Christoph«) fleht. Von dem Oktogon führen 12,5 m breite, 283 m lange, von 47 zu 47 m durch Bassins unterbrochene, auf beiden Seiten von Treppen zu je 842 Stufen begleitete Kaskaden zwischen hohen Tannenwänden nach unten. Nach dem Siebenjährigen Krieg baute Landgraf Friedrich II. das halbzerstörte Schlößchen Weißenstein wieder auf und schuf außer andern Anlagen das Dörfchen Moulang sowie die 58 m hohe Fontäne. Sein Sohn Wilhelm IX. (später Kurfürst Wilhelm I.) baute nach Niederlegung des alten Lustschlosses Weißenstein das jetzige Palais, das seine und seiner Nachfolger Sommerresidenz wurde. Der Steinhöfersche Wasserfall, die Teufelsbrücke und der Aquädukt mit dem großen Wasserfall, welche die Zwischenglieder der Wasserkünste zwischen den Kaskaden und der großen Fontäne bilden, sowie die Löwenburg sind seine Schöpfungen; die letztere, eine Ritterburg alten Stiles mit allem Zubehör, birgt auch die irdischen Reste des Kurfürsten Wilhelm I. Seit jener Zeit führt der Weißenstein den Namen Wilhelmshöhe. Die berühmten Wasserkünste springen während des Sommerhalbjahrs vom Himmelfahrtstag an bis zum Oktober regelmäßig jeden Mittwoch und Sonntag je eine Stunde. Nach der Kapitulation von Sedan (2. Sept. 1870) diente das Schloß dem gefangenen Kaiser Napoleon III. bis 3. April 1871 als Aufenthaltsort. Gegenwärtig bildet W. einen Gutsbezirk mit zahlreichen Villen und Pensionshäusern, hat. ll Heilanstalten und 180 Einw. Vgl. Wapler, Geschichte der W. (Kassel 1870).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 646.
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