Elektrodynamik

[622] Elektrodynamik. Das elektrodynamische Grundgesetz od. das Gesetz von der Wechselwirkung elektrischer Ströme hat Ampère ausgestellt. Die von ihm beobachteten Erscheinungen bestanden in Folgendem: Durchläuft von zwei Strömen der eine einen unbeweglichen, der andere einen um einen Punkt beweglichen Draht, so dreht sich der letztere dem ersten so parallel, daß die Ströme in ihnen gleiche Richtung haben; durchläuft der zweite aber einen ganz frei beweglichen, dem ersten parallelen Draht, so wird dieser von dem ersten angezogen od. abgestoßen, je nachdem die Ströme gleiche od. entgegengesetzte Richtung haben. Schneiden sich die beiden Drähte unter einem Winkel, so findet Anziehung statt, wenn beide Ströme nach der Winkelspitze zu- od. von der Winkelspitze ablaufen, Abstoßung aber, wenn einer nach der Spitze zu, der andere von ihr abläuft. Bei der Aufstellung des mathematischen Gesetzes leitete ihn die Idee, die Wirksamkeit des elektrischen Stromes als eine solche darzustellen, daß sie mit der eines Magneten identisch erschiene; freilich waren aber seine Versuche, die zur Begründung dienen sollten, höchst mangelhaft, indem er die Schlüsse nur auf das Qualitative der Erscheinungen gründen konnte, nie auf das Quantitative, weil seine Apparate zu eigentlichen Messungen unbrauchbar waren, u. doch gewähren erst solche vollkommene Sicherheit. Es diente ihm hierbei nämlich das Ampèresche Gestell (s.u. Elektromagnetismus), bei welchem sich die beweglichen Stromringe nur mit vieler Reibung drehen. Den für das Ampèresche Gesetz vermißten exacten Beweis hat W. Weber geführt u. dasselbe mit Hülfe seines Elektro dynamometers bestätigt. Dies Instrument hat folgende Einrichtung: Die beiden Stromleiter, deren Wechselwirkung gemessen werden soll, sind nach Art von Multiplicatoren ringförmig aufgewundene, mit Seide übersponnene Kupferdrähte. Die eine dieser Rollen hängt an zwei langen dünnen Drähten, die mit den Enden der Drahtwindungen in leitender Verbindung stehen u. senkrecht aufwärts geführt sind bis zu einem Deckel, wo sie an zwei von einander isolirten messingenen Haken befestigt sind, welche zur Zu- u. Ableitung des galvanischen Stromes dienen. Außerdem ist mit der Rolle ein vertical hängender Spiegel fest verbunden. Die im Laufe der Versuche zu beobachtenden Ablenkungen dieser beweglichen Rolle sind hierdurch nicht blos von allen störenden Einflüssen der Reibung befreit u. allein durch das dem Sinus des Drehungswinkels proportionale Drehungsmoment bestimmt, sondern können auch durch ein Fernrohr, durch welches man in dem Spiegel die Theile einer gegenüberstehenden Scala abliest, aufs Genaueste gemessen werden. Bewirkt werden diese Ablenkungen durch den galvanischen Strom, welcher eine zweite Rolle umkreist, die nach gewissen Richtungen hin in gewisse Entfernungen von der beweglichen Rolle aufgestellt wird. Nach Belieben kann man denselben Strom nach einander durch beide Rollen leiten, wo dann die Ablenkung dem Quadrate der Intensität des Stromes proportional ist, od. man kann auch zwei verschiedene Ströme dazu benutzen, u. so hat Weber das vorher nur hypothetische Gesetz durch Versuche bewiesen, daß zwei Stromelemente sich anziehen od. abstoßen mit einer Kraft, die dem Producte der Stromintensitäten u. der Elementenlängen direct u. dem Quadrate der Entfernnug umgekehrt proportional ist. Hierdurch ist bewiesen, daß die elektrodynamischen Wirkungen in der Ferne ganz den gleichen Gesetzen unterliegen, wie die magnetischen, daß also ein geschlossener Strom, an Stelle eines Magneten gebracht, dessen Wirkung vollständig ersetzt. Daher durfte auch Ampère die Hypothese aufstellen, daß man in jedem Magnete anstatt der bisher statuirten magnetischen Fluida sich elektrische Ströme vorstellen solle, welche seine Molecule umkreisen. Unter Annahme dieser Hypothese gehören in das Gebiet der E. auch die Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen u. Magneten, sowie die Einwirkung des Stromes auf magnetisirbare Körper, welche Erscheinungen unter dem Namen des Elektromagnetismus (s.d.) begriffen werden. Mit Hülfe des Elektrodynamometers hat Weber auch die Dauer momentaner Ströme ermittelt. Geht nämlich ein solcher gleichzeitig durch die feste u. bewegliche Rolle des Dynamometers, so ist die Ablenkung dem Product aus der Dauer u. dem Quadrate der Stromintensität proportional; geht er aber zugleich auch noch durch die Windungen eines Galvanometers, so bewirkt er hier eine Ablenkung, welche der Dauer u. der ersten Potenz der Intensität proportional ist. Aus den gleichzeitigen Beobachtungen kann man jede der beiden unbekannten Größen berechnen. Er fand die Dauer des Entladungsfunkens einer Batterie, welche mittelst einer nassen, 2 Meter langen, 7 Millimeter dicken Schnur entladen wurde, 0,0851 Secunden. Endlich hat Weber die Erscheinungen der E. in einen genauen theoretischen Zusammenhang mit den Anziehungs- u. Abstoßungserscheinungen ruhender Elektricitätsmengen, sowie mit den Erscheinungen der Induction gebracht u. ein einfaches Gesetz über die Wechselwirkung zweier Elektricitätstheilchen aufgestellt, welches die bisher getrennten Gebiete der Elektrostatik, Elektrodynamik u. Induction umfaßt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 622.
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