Interdict

[943] Interdict (v. lat. Interdictum), 1) im Römischen Recht ursprünglich am Befehl, Gebot (Decretum) od. Verbot (I. im engeren Sinne), welchen der Prätor bei gewissen Rechtsirrungen sofort auf Antrag einer Partei erließ, der aber, wenn der Gegner Widerspruch entgegensetzte, nur zur Einleitung u. Grundlage eines weitern Verfahrens diente. Die I-e waren entweder einfache (Interdicta simplicia), wenn der Prätor sich mit seinem Befehl nur an eine Partei wendete, od. doppelte (I. duplicia), wenn dadurch beide Theile betroffen wurden. Die einfachen zerfielen ihrem Zwecke nach wieder in I. prohibitoria (verhütende), I. restitutoria (auf Rückgabe, Wiederherstellung eines Gegenstandes od. Verhältnisses gerichtete) u. I. exhibitoria (Auslieferung od. Vorlegung eines Gegenstandes bezweckende); sie dienten bald dazu, ein wirkliches, materielles Recht zuschützen, noch häufiger aber nur zum Schutze eines blos factischen Zustandes. Das Verfahren selbst war ein doppeltes, indem entweder unter Sponsionen gestritten wurde, mittelst deren der Beklagte eine Strafe zu versprechen hatte, wenn er wider das Edict des Prätors gehandelt hatte; od. der Proceß durch eine sogenannte Formula arbitraria instruirt wurde, worin der Richter vom Prätor die Anweisung erhielt, den Beklagten in den Werth zu verurtheilen, wenn er widerrechtlich gehandelt hatte. Nachdem in der spätern Zeit dieses Verfahren außer Gebrauch gekommen war, traten an Stelle der I-e eigene, im gewöhnlichen Verfahren zu verhandelnde Klagen, für welche nur wegen ihres historischen Zusammenhanges mit den früheren I-en die Bezeichnung Interdicta beibehalten wurde. Dieselben werden entweder nach den Anfangsworten, mit denen die I-e im Edict des Prätors vorkamen (z.B. I. quorum bonorum), od. nach ihrem Inhalte (z.B. I. de itinere reticiendo) od. nach dem Namen des Prätors benannt, welcher sie zuerst einführte (z.B. I. Salvianum). Als einzelne Arten der I-e kommen vor: das I. de aqua, zum Schutze des Rechtes der Wasserleitung, unter der Voraussetzung, daß das Recht wenigstens einmal im letzten Jahre, wenn die Wasserleitung in jeder Jahreszeit benutzt zu werden pflegt, od. in den zwei letzten Sommerhalbjahren ausgeübt wurde, wenn sie nur im Sommer, od. in den zwei letzten Winterhalbjahren, wenn sie nur zu dieser Jahreszeit benutzt zu werden pflegte; das I. de arboribus caedendis, auf Gestattung der Behauung od. Wegnahme eines der Grenze zu nahe stehenden fremden Baumes, wenn der Eigenthümer ihn nicht selbst entfernt; das I. de cloacis, auf Gestattung der Reinigung u. Ausbesserung eines Abzugkanals, nöthigenfalls unter Erbieten zur Cautionsleistung für zu befürchtende Beschädigungen; I. de fonte, für das Recht des Wasserschöpfens unter gleichen Voraussetzungen, wie beim I. de aqua; I. de glande legenda, womit der Grundeigenthümer angehalten werden kann, übergefallene Früchte je einen Tag um den andern auflesen zu lassen; I. de itinere actuque privato, zum Schutz einer Wegegerechtigkeit, u. I. de itinere reficiendo, zum Schutz bei Ausbesserung eines Weges unter Voraussetzung bisherigen ungestörten Besitzes der Wegeservitut; I. de liberis ducendis et exhibendis, ein Rechtsmittel des Vaters gegen Dritte, welche die väterliche Gewalt durch Vorenthaltung des Hauskindes od. seines Vermögens verletzen; I. de locis et itineribus publicis, gegen[943] Jeden, der auf einer öffentlichen Landstraße od. einem öffentlichen Platze etwas vornimmt od. darauf bringt, wodurch der Weg verschlimmert u. die Benutzung erschwert wird; I. de migrando, für den abziehenden Miethsmann gegen Vermiether, der ihm seine entweder nicht od. nicht mehr verpfändeten Sachen vorenthält; I. de mortuo inferendo, zur Beschleunigung der Beerdigung jedem, der ein Begräbnißrecht an dem Orte hat, auf Gestattung des Begräbnisses od., bei Bestreitung des Rechtes, wenigstens auf Gestattung provisorischer Beisetzung gegeben; I. de precario, zur Wiedererlangung eines bittweise eingeräumten Besitzes; I. de tabulis exhibendis, auf Herausgabe schriftlicher letzter Willensordnungen für jeden, der ein Interesse an denselben hat; I. quod vi aut clam, zur Wiedererlangung eines entweder gewaltsam od. heimlich verloren gegangenen Besitzes; I. uti possidetis u. utrubi, zur Aufrechterhaltung eines rechtmäßig bestehenden Besitzes; I. quorum bonorum, dem prätorischen Erben gegeben, um sich den Besitz der erbschaftlichen Sachen zu verschaffen; I. Salvianum, das zuerst bei der Verpfändung der eingebrachten Gegenstände eines Pachters dem Verpächter, später jedem Pfandgläubiger gegen jeden Verpfänder eingeräumte Rechtsmittel, um sich in den Besitz des verpfändeten Gegenstandes zu setzen. 2) Das kirchliche I. ist in der Katholischen Kirche das vom Papste erlassene Verbot der Haltung des Gottesdienstes u. der Ausübung der Religionshandlungen, mit Ausnahme weniger, für ein ganzes Land, eine Stadt, einen Ort (locales I.), od. für bestimmte Personen (personales I.), zur Strafe der Widersetzlichkeit der Einwohner u. des Regenten gegen den Papst od. den Clerus. Papst Alexander II. belegte 1180 Schottland mit dem I., weil der König einen gesetzlichen Bischof nicht anerkennen wollte; Gregor VII. die Provinz Gnesen, weil der König Boleslaw II. den Bischof Stanislaw von Krakau am Altare ermordet, Innocenz III. Frankreich 1200, wegen Philipp August, der seine rechtmäßige Gemahlin Ingaburg verstoßen hatte, dann 1209 England, wegen des Ungehorsams des Königs Johann gegen den Papst. In Gefahr kann jedoch Taufe u. Firmung, das Bußsacrament aller am I-e Unschuldigen, die Eucharistie in der Todesgefahr gespendet werden. Wegen der großen Nachtheile für Kirche, Glauben u. Sitte ließen die Päpste Gregor IX., Innocenz III. u. IV. u. bes. Bonifacius VIII. Milderungen eintreten, u. das Baseler Concil gestattete das I. über eine Provinz od. Stadt nur wegen eines großen Verbrechens der Stadt od. ihrer Obrigkeit, aber nicht wegen einer einzelnen Person.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 943-944.
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