[316] Usurpation (v. lat.), 1) die widerrechtliche Anmaßung der Rechte eines Andern; 2) im Völkerrecht die Besitzesergreifung der Staatsgewalt über ein Land od. einen Landestheil an Stelle des früheren Souverains, mit der Absicht Letzteren von dem Wiedereintritt in jene für die Zukunft ganz auszuschließen, ohne einen andern Titel als den der Eroberung. Die Acte eines solchen Usurpators haben für die seiner Herrschaft thatsächlich Unterworfenen gleiche Kraft, wie die Acte einer legitimen Staatsgewalt, mag derselbe nun den alten Staat, z.B. durch Incorporation in seinen eigenen, ganz aufgelöst od. denselben in seiner Abgeschlossenheit fortgesetzt haben. Der Usurpator ist daher keineswegs an die Regeln des früheren Staates gebunden; nur die allgemeinen Menschenrechte hat er zu achten. Das Staatsgut steht daher unter seiner Disposition, Gesetzgebung u. Verwaltung ordnet er nach Belieben. Niemals kann indessen ein solches Gewaltverhältniß das Recht des vorherbestandenen Staates, so lang dessen Wiederherstellung möglich bleibt u. nicht verzichtet wird, thatsächlich beseitigen; diesem bleibt vielmehr das sogenannte Postliminium (s.d.), gleichwie denjenigen, welche sich außerhalb des usurpatorischen Staates befinden od. ihm fortdauernd Widerstand leisten, in Betreff der Rechte, welche sie in dem alten legitimen Staate hatten, so lange, als sie sich jenem nicht unterwerfen. Durch die Wiedervertreibung wird der Usurpator zum bloßen Zwischenherrscher. In wiefern alsdann die Handlungen des Zwischenherrschers noch zu respectiren u. die früheren Verhältnisse wieder herzustellen seien, ist sehr streitig. Meist hat man dabei mehr die Billigkeit, bes. mit Rücksicht darauf, ob die Usurpation längere od. kürzere Zeit dauerte, walten lassen, als daß strengere Rechtsgrundsätze sich ausgebildet hätten. Allgemein angenommen ist nur, daß jede während der U. vorgenommene Änderung der Verfassung für die Zukunft unverbindlich wird. Ob dagegen die vorige Verfassung wieder hergestellt werden müsse, hängt hauptsächlich von den früheren Rechten des Volkes, so wie von den thatsächlichen Umständen ab, unter denen es dem früheren Souverain gelingt die Herrschaft wieder zu erlangen. Regierungsacte aus der Zeit der Zwischenherrschaft haben eben so wenig Anspruch auf unbedingte Anerkennung u. Fortdauer. Nur die unter der Fremdherrschaft begründeten Privatrechte, so wie richterliche Entscheidungen über Privatrechte können nicht angefochten od. umgestoßen werden, dafern sie mit der wiederhergestellten Verfassung vereinbarlich sind. Verträge mit auswärtigen Staaten bleiben ebenfalls gültig, vorbehältlich ihrer Aufhebung aus rechtmäßigen Gründen. Auch kann sich die restaurirte Staatsgewalt in [316] Beziehung auf die Zeit der Zwischenherrschaft nicht zu einer retroactiven Ausübung ihrer Regierungsrechte gegen ihre Unterthanen od. Dritte berechtigt ansehen, insofern es sich um Verhältnisse handelt, welche jener Periode angehörten u. in derselben zu reguliren waren. Daher findet z.B. für die Zwischenperiode keine Nachforderung von Steuern od. Diensten nach der alten Verfassung statt. Dagegen succedirt die wiederhergestellte Staatsgewalt in alle noch nicht realisirte Rechte u. Verbindlichkeiten, welche dem Staat in der Zwischenzeit zugefallen sind, gleich wie die Zwischenregierung in die Rechte u. Verbindlichkeiten des alten Staates einzutreten hatte. Es können daher z.B. Abgabenrückstände u. Erwerbungen, welche die Fremdherrschaft für den Staat gemacht hatte, auch von der wiedereingetretenen alten Regierung geltend gemacht werden. Den streitigsten Punkt bildet die Frage über Anerkennung von Veräußerungen, welche der Zwischenherrscher mit Staatseigenthum, Domänen u. dgl., welche nicht Privateigenthum des Souverains od. von dessen Familie gewesen sind, vorgenommen hat. Diese Frage ist insbesondere in Veranlassung der Napoleonisch-Westfälischen Domänenverkäufe u. Einziehung von Staatscapitalien in mehren usurpirten deutschen Landen vielfach zur Sprache gekommen. Nach der Ansicht der meisten Rechtslehrer darf die zurückgekehrte Regierung derartige Veräußerungen nicht anfechten, weil der Staat, mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwischenzeit nur in der Abhängigkeit von dem Usurpator fortbestand, von ihm also auch rechtsgültig repräsentirt wurde. Keinesfalls scheint namentlich dasjenige, was unter onerosem Titel u. ohne Ausschluß der Evictionsleistung veräußert wurde, vindicirt werden zu dürfen, weil hier den Erwerber dieselbe Billigkeit schützen muß, welche auch im Privatrecht mit der Exceptio rei venditae et traditae geschützt wird. Doch sind in Betreff der Napoleonisch-Westfälischen Domänenverkäufe auch entgegengesetzte Ansichten vertheidigt u. entgegengesetzte Erkenntnisse gesprochen worden, s. Westfälische Domänenkäufer. Vgl. B. W. Pfeiffer, In wie fern sind Regierungshandlungen eines Zwischenherrschers etc. verbindlich? Kassel 1819; L. Schaumann, Die rechtlichen Verhältnisse der legitimen Fürsten, des Usurpators u. des unterjochten Volkes, Kassel 1820; 3) eine Unterbrechung des Usucapionsbesitzes, s.u. Usucapio.