Spiessbürger

1. Es gibt mehr Spiessbürger auf dem Katheder, als auf dem Schemel, wo man verarbeitet das Leder.


*2. Es ist ein Spiessbürger.

Nachdem Heinrich I. (919-936) viel Städte hatte erbauen lassen, hiessen ihre Bewohner Bürger und vertheidigten die Stadt mit dem Spiess, daher Spiessbürger, während die Söldner als Vertheidigungswaffe Hellebarten trugen. Nachdem die Bedeutung und Anwendung des Sprichworts aufgehört und diese Bürgerklasse, welche seit Anwendung des Schiesspulvers meist nur aus beschränkten Persönlichkeiten bestand, erloschen, ist nur noch der Name zur Bezeichnung derjenigen Bürger der neuesten Zeit geblieben, welche an veralteten, einseitigen Ansichten und Gewohnheiten hängen. Spiessbürger haben nie einen Blick über die Mauern ihrer Stadt gethan, thun ihn auch nicht, wissen nicht, wie es anderwärts zugeht und fühlen sich in ihrer Beschränktheit nicht unbehaglich. Bei dem Ausdrucke »Spiessbürger« denkt man also an einen Menschen mit engherzigen Ansichten. Die beschränkte äussere Erscheinung ist auf das geistige Gebiet übertragen worden. (S. Nudeldrücker, Pelzbürger, Pfahlbürger und Profe 14.) Da Spiesse in der Studentensprache Geld bezeichnen, so könnte man unter einem Spiessbürger auch wol einen Mann verstehen, der Spiesse, d.h. Geld besitzt. In diesem Sinne schreibt H. Heine an Varnhagen (S. 167): »Mit meiner Familie stehe ich auf gutem Fuss; und meine spiessbürgerlichen Verhältnisse wären wol leidlich zu nennen.«

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876, Sp. 715.
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