Spiess

[712] 1. An den Spiess gesteckt, so verdirbt nichts.

Grundsatz grausamer Feinde.


2. Der beste Spiess hat oft den schlechtesten Stiel.


3. Der lange Spiess gilt nicht.Simrock, 9749.


4. Ein Spiess über den Achseln macht keinen Soldaten.Parömiakon, 80.

Sondern Tapferkeit, Unerschrockenheit und Heldenmuth macht den Soldaten. »Soldaten, die sind wie Salat, wie mehr Oel als Essig, die verdienen nichts. Soldaten, die ins Quartier eilen, wie die Schwalben ins warme Sommerland, verdienen nichts. Soldaten, die vor dem Feinde zittern wie ein espenes Laub, verdienen nichts. Soldaten, die ein Grausen haben vor dem Streit, als hätten sie einmal ein Haar darin gefunden, verdienen nichts u.s.w.« (Abraham a Sancta Clara, Etwas für alle, III; Parömiakon, 2221.)


5. Guter Spiess will auch einen guten Stiel.


6. Je älter Spiess, je stumpfer Spitze.


7. Kein Spiess macht solche Wund', als gift'ge Zung' und böser Mund.

Holl.: Geen spies maakt zulke diepe wonden, als achterklap en booze monden. (Harrebomée, II, 288a.)


8. Man muss nicht schon den Spiess mit Butter schmieren, wenn die Vögel noch im Walde jubiliren. (S. Bärenhaut.)


9. Mit güldenen Spiessen und silbernen Klingen kann man die halbe Welt bezwingen.

Böhm.: Kdo se stříbruými kopími potýká, ten vyhrává. (Čelakovsky, 362.)

Engl.: He that fights with silver arme, is sure to overcome.

Krain.: Kdor s' zlatim orudjem bojuje, je zmage gotov. (Čelakovsky, 362.)

Kroat.: Koj zlatem oružjem vojuje, dobit će. (Čelakovsky, 362.)

Lat.: Argento radient hastae, sic cuncta domabis. (Chaos, 183.)

Poln.: Złotymi włoczniami wnet zwycięžysz. (Čelakovsky, 362.)


10. Mit langen Spiessen ist gut kriegen, die einen über eine Meile stechen.Körte, 5664; Simrock, 9750; Lehmann, II, 143, 168.

Wenn man eine Meile vom Feinde entfernt steht.


11. Spiess und Knopf stehen beieinander.

Der Spiess ist ihm auf die Brust gesetzt.


12. Wenn man einen langen Spiess schnitzt, kriegt der Hund den Braten.


13. Wenns Spiess vnd Büchssen regnet, muss man vntertreten.Lehmann, 830, 26.


14. Wer den Spiess kauft, bekommt den Krieg als Zugabe.


15. Wer mit goldenen Spiessen ficht, hat den Sieg in Händen.Sutor, 198; Winckler, IV, 49.

Die Erfahrung, dass Gold und Goldeswerth für die Erreichung eines Zwecks von grossem Einfluss sind, ist von allen Völkern gemacht und sprichwörtlich ausgedrückt worden. Der Deutsche weiss, wie man mit goldenen Spiessen ficht, mit silbernen Büchsen schiesst; der Russe, wie leicht man mit goldenem Anker in jeder Bucht anlegen kann, wie bald man mit silbernem Anker Grund findet, und mit silbernem Ruder glücklich über die Fälle des Dniepr fahren kann; wie leicht, wer silberne Strümpfe hat, auch goldene Schuhe dazu findet, wie man aus einem silbernen Euter goldene Milch melken kann, wie eine silberne Henne goldene Eier legt. Der Bulgare schiesst mit einer silbernen Kugel einen goldenen Büffel. (S. Geld und Gold.)


16. Wo der Spiess allein wacht, da leiden die Diebe nicht Noth.


*17. Aus Spiessen Sicheln machen.

Vom Kriege zu friedlichen Beschäftigungen übergehen.


*18. Das hätt' ich nicht mit Spiessen (Spissen) in ihm (beim) gesucht.Gomolcke, 291; Frommann, III, 244, 86; Robinson, 147.

»Nunmehro sehe ich (klagt die Mutter eines ungerathenen Sohnes), dass ich allzu zärtliche Gedanken für meinen Sohn geheget habe. Es schoss mir wol bald das Blat, als ich ihn kommen sah; doch diss hätte ich nicht mit Spiessen in ihm gesucht, dass er es gar so arg machen solle. Ja, ja, er ringet recht nach dem Unglücke. Ja möchte man sich doch gar begraben.« (Keller, 148b.) »Das hette ich doch mit einem langen Spiesse nicht in dir gesucht.« (Herberger, Hertzpostille, Ib, 271.)


*19. Den Spiess beim Hag abziehen.Eiselein, 574.

»Der sich fürchtet, weiset das Ross neben aus und zieht den Spiess am Hag ab.« (Geiler.)


[713] *20. Den Spiess umkehren.Braun, I, 4211; Eiselein, 574.

Lat.: Stylum vertere. (Eiselein, 574.) – Talum reponere. (Philippi, II, 210.)


*21. Den Spiess verkehrt tragen.

Lat.: Scilicet ut retro post se fert rusticus hastam. (Eiselein, 574.)


*22. Den Spiess wegwerfen.

Den Kampf vor dessen Beendigung aufgeben. (S. Flinte 11.)

Lat.: Hastam abjicere. (Faselius, 103.)


*23. Der Spiess ist ihm an Bauch (ans Herz) gesetzt.Eiselein, 574.

Er ist in der äussersten Noth und Verlegenheit, weiss nicht, wo ein, noch aus.


*24. Dös ist a rechter Spiess.

In Ulm für: Philister.


*25. Einem in die Spiesse laufen.Fischer, Psalter, Vorr. Bl. 13b.


*26. Einen an den Spiess geben.


*27. Einen langen Spiess haben.Braun, I, 4212.

Viel Geld.

*28. Einen Spiess durch die Schule stechen. (S. Jünkerlein.) – Mathesy, 295b.


*29. Einen Spiess durch Zucht und Ordnung stechen.

»Ein spies durch alle frumbkeit stechen, und nach den häfen krüg zerbrechen.« (Murner, Nb., 51, in Kloster, VI, 771.)


*30. Einen Spiess um (für) etwas brechen.

»Wil selb ein Spiess drumb brechen.« (Waldis, VI, 53.)


*31. Er hat den Spiess fallen lassen.Sutor, 913.

Die Sache aufgegeben, den Muth verloren.


*32. Er hat einen grossen Spiess mit einer langen Spitze.


*33. Er hat Spiesse.

D.h. Gold. Man hat diesen Ausdruck von den Buchstaben R und F abgeleitet, die auf den ehemaligen preussischen Sechsern wie Spiesse gestaltet waren.


*34. Er ist yhm wie ein spiess hynder der thur. Agricola I, 563; Franck, II, 54a; Tappius, 54a; Egenolff, 240b; Schottel, 1137b; Guttenstein, I, 130; Eiselein, 574; Sutor, 901; Mathesy, 335b.

Er ist stets zu Diensten bereit; man kann ihn gebrauchen, wenn man will.

Holl.: Hij is hem gelijk eene spiets achter de deur. (Harrebomée, II, 288a.)

Lat.: Agrostis in nido corydi. (Tappius, 53b.)


*35. Er sucht lange Spiess1 in kurzen Kasten.

1) Geld. Kurz fragt zwar, ob Spiess bei Waldis bereits in der Bedeutung von Geld vorkomme oder ob es nicht niederdeutsch Speise bedeute; ich halte aber die letztere Vermuthung für sehr unwahrscheinlich. – »Sucht vmb ze jrm grossen Verdruss in kurtzen kasten lange spiess.« (Waldis, IV, 12, 16.)


*36. Er trägt den Spiess hinter sich, wie die Bauern.

Lat.: Illuc, quorsum asinus, caedit calcibus. (Plautus.) (Binder, II, 1378.)


*37. Er weiss, wie man die Spiesse zum Jahrmarkt trägt.Murner, Gäuchmatt.


*38. Es ist ein Spiess ins Herz.

»Das ist im hertzen ein fewrig spiess, wenn uns die Feinde thun verdriess.« (Waldis, III, 77.)


*39. Ich will keinen Spiess in den Krieg kaufen.


*40. Im langen Spiess ist gut mit ihm fechten.

Von Kurzsichtigen.


*41. In seinen eigenen Spiess fallen.

»Der fellt offt in sein eigen Spiess.« (Waldis, III, 69, 21.)


*42. Man hat ihm den Spiess ans Herz gesetzt. Seybold, 570.

Lat.: Novaculae in acumine res est. (Seybold, 384.)


*43. Mit dem groben Spiess sticheln.Gotthelf, Käserei, 324.


*44. Mit goldenen Spiessen kriegen.Körte, 5665.


*45. Sie hat immer den Spiess hinter der Thür und bester Freund im Beutel.

»Eine tugendsame fraw ist vorsichtig vnd hat auff einen Strohfall jmmer ein Vorräthlin.« (Herberger, IIb, 555.)


*46. Sie lassen sich den Spiess nicht anbrennen.


*47. Sie lôd den Spitz (Spiess) abrinne. (Luzern.)

Sie sorgt zunächst für den eigenen Leib.


*48. Spiess und Stange fallen lassen.

Etwas verloren geben, kleinmüthig und verzagt werden.

Lat.: Abjicere hastum (clypeum, scutum). (Seybold, 2.)


*49. Spiesse und sper.Herberger, Troj. Krieg, 4254.


[714] *50. Und wann's Spiss und alta Weiba rägnat. (Oberösterreich.) – Baumgarten, 37.


*51. Und wenn's Spiesse schneite.

Zu ergänzen: will ich gehen, kommen, reisen u.s.w.


*52. Vom Spiess in den Mund.


*53. Was spiess vnd stangen tragen mag. (S. Narr 1264.) Franck, II, 56a.

Wenn alles zusammengerafft wird. Franck gebraucht die Redensart für die lateinische: »Ne Sannione aut colone domi relicto. Sannio heysst ein fatzman, ein schalksnarr.«


*54. Wenn es auch Spiesse regnete mit der Spitze nach unten.

Die Notwendigkeit auszugehen ist unumgänglich.

Frz.: Quand il pleuvroit des halebardes la pointe en bas. (Kritzinger, 543a.)


*55. Einen spiess durch etwas stechen.

»Was hast du in deinem Alter, wenn du krank wirst? Stich einen spiess durch die Studia vnnd Pfafferey, fang was anders an.« (Mathesius, Historia Jesu, LXXXIIIIa.)


*56. Er ist einmal mit dem Spiess darüber gesprungen.Schaltjahr, I, 545.

»Wider die, so sich in allen Sachen wollen herfürthun und sehen lassen, doch aber keinen Grund nie erlangt.«


*57. Hinter sich tragen die Bauern die Spiess. Pauli, Schimpf, 398.


*58. Mit Spiess und Stange.

Etwas auf alle Weise betreiben, verfechten.

Lat.: Cum hasta, cum scuto. (Philippi, I, 102.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon