[114] Argonauten, d.i. Argofahrer, heißen in der griech. Sagengeschichte die Helden, welche um die Mitte des 13. Jahrh. v. Chr. auf dem Schiffe Argo den Zug nach Kolchis unternahmen, um das goldene Vließ zu holen. Nach der ältesten Sage war Folgendes die Veranlassung zu diesem gemeinschaftlichen Unternehmen. Phrixus, ein Sohn des böotischen Königs Athamas, ward nebst seiner Schwester Helle von ihrer Stiefmutter Ino genöthigt, das väterliche Haus zu verlassen. Auf einem goldselligen Widder, den ihnen ihre Mutter Nephele geschenkt, entflohen die Geschwister durch die Luft. Als sie aber über der Meerenge schwebten, welche das ägäische Meer oder den griech. Archipelagus mit dem Propontis (jetzt Meer von Marmara) verbindet, fiel Helle herab und ertrank; Phrixus indeß kam in das Land der Kolchier, welche am schwarzen Meere wohnten, wo ihn der König Äetes aufnahm und mit einer seiner Töchter vermählte. Für die freundlichen Gesinnungen schenkte ihm Phrixus das goldne Vließ, d.h. das Fell des Widders, welcher ihn hieher getragen hatte, und der König ließ es an eine Eiche in einem dem Mars geheiligten Haine aufhängen und durch einen nie schlafenden Drachen bewachen. Dieses Vließ zurück nach Griechenland zu bringen, versammelte Jason, ein kühner, junger Mann, auf Veranlassung seines Oheims Peleus, der den unternehmenden Jüngling aus seiner Nähe zu entfernen wünschte, die tapfersten Helden Griechenlands um sich, unter denen besonders Herkules, Kastor und Pollux, Theseus, Kalais und Zetes, die Söhne des Boreas, Admet, Neleus, der Vater des Nestor, Meleager, Orpheus, Telamon, der Vater des Ajax, Menötios, der Vater des Patroklos, und Perithoos besonders hervorragen. Ein Schiff mit 50 Rudern, das an Größe und Ausrüstung alle Fahrzeuge der damaligen Zeit übertraf, wurde eigens für sie nach Anweisung der Minerva am Berge Pelion von Argus erbaut, nach welchem es auch den Namen Argo erhielt. Nachdem sie aus dem Hafen von Iolkos in Thessalien in See gegangen, langten sie ohne Unfall auf der Insel Lemnos an, hier aber wurden sie durch die Bewohnerinnen, welche die Venus beleidigt und ihre Männer, als diese auf Antrieb jener mit Thracierinnen Umgang gehabt, ermordet hatten, zwei Jahre zurückgehalten. Auch an der Küste von Troas und im Lande der Bebryker bestanden sie manche Abenteuer; in dem letztern zeichnete sich besonders Pollux durch seine Fertigkeit im Faustkampfe aus, indem er den König erschlug. Hierauf wurden die Argonauten durch einen Sturm an die Küste Thraciens verschlagen, wo Phineus, ein blinder Wahrsager, wohnte. Ihn quälten die Harpyien, Ungeheuer mit dem Antlitz einer Jungfrau, mit gefiedertem Leibe und Flügeln und großen Krallen an den Händen, die, so oft er Nahrung zu sich nehmen wollte, den größten Theil der Speisen ihm raubten, die übrigen aber so verunreinigten, daß sie ungenießbar wurden. Zetes und Kalais befreiten ihn von dieser Plage, indem sie die Harpyien weit in der Luft verfolgten und tödteten. Aus Dankbarkeit ertheilte Phineus den Argonauten Rathschläge über die Fortsetzung ihrer Fahrt. Glücklich gelangten sie von da zu den hohen symplegadischen Felsen am Ausgange des Bosporus oder der Straße von Konstantinopel. Diese Felsen trieb der Wind unter lautem Krachen stets aneinander, sodaß, ohne die größte Gefahr, zerdrückt zu werden, kein Schiff durchzufahren vermochte. Auf des Phineus Rath ließen die Argonauten erst eine Taube hindurchfliegen, der sie, als die Felsen wieder auseinander gingen, mit Macht nachruderten. Zugleich fing Orpheus an die Zither zu schlagen; die Felsen lauschten seines Spiels, blieben fortan unbeweglich stehen und so gelangte die Argo in den Pontus Euxinus oder das schwarze Meer. Bei der Insel Aretias bestanden die Helden einen Kampf mit den stymphalidischen Vögeln, die ihre Federn wie Pfeile abschossen. Endlich erreichten sie das Ufer von Kolchis, landeten während der Nacht an der Mündung des Phasis und ersuchten sodann den König Äetes um die Aushändigung des goldnen Vließes. Dieser gerieth hierüber in große Verlegenheit; da er sich indeß zu schwach fühlte, einen offenen Kampf gegen die Fremdlinge zu wagen, so stellte er die Vollbringung mehrer kühner Thaten durch Jason als die Bedingung der Auslieferung des Vließes, wozu dieser sich bereit erklärte. Hierauf foderte er von demselben, daß er zwei gewaltige Stiere, welche Füße von Erz hatten und Feuer und Flammen spieen, anspanne, mit ihnen ein Stück Landes pflüge, dann Drachenzähne in die Furchen säe, die geharnischten Männer, welche aus denselben emporwachsen würden, tödte und wenn dieses geschehen, den Drachen erlege, der das Vließ bewache. Dies waren allerdings Aufgaben, welche die Kräfte eines Sterblichen überstiegen; allein Juno und Minerva, die Schutzgöttinnen des Jason, flößten der Medea, der Tochter des Äetes, welche als Zauberin berühmt war, heftige Liebe zum Jason ein. Unter der Bedingung, daß derselbe sich mit ihr vermählen und sie nie verstoßen wolle, gab sie ihm ein Zaubermittel, das ihn unverwundbar machte, und einen Zauberstein, welchen sie ihm rieth, unter die geharnischten Männer zu werfen. Am bestimmten Tage bändigte er die Stiere, spannte sie ein, pflügte den Acker und [114] säete die Zähne. Geharnischte Männer wuchsen daraus empor; allein kaum hatte Jason den Stein der Medea unter sie geworfen, als sie sich gegenseitig zu bekämpfen anfingen, worauf es ihm leicht ward, sie insgesammt zu erlegen. Einen solchen Ausgang hatte Äetes nicht erwartet; er verschob deshalb die Lösung der letzten Aufgabe und beschloß, während der Nacht die Argo zu verbrennen und die Mannschaft zu tödten. Allein Medea benachrichtigte den Jason davon, ging mit ihm, noch ehe ihr Vater seinen Entschluß ausführte, in den Hain, wo das Vließ aufgehängt war und schläferte durch Zauberkräuter den Drachen ein. Kaum hatte sich Jason des Vließes bemächtigt, so verließen die Argonauten nebst Medea und ihrem Bruder Absyrtus eilends die Küste von Kolchis. Auf die Nachricht hiervon setzte Äetes ihnen mit seiner ganzen Macht nach und schon war er der Argo ganz nahe, als Medea den Absyrtus tödtete und seine Glieder einzeln ins Meer warf, worauf Äetes, voll Jammer über den ermordeten Sohn, dessen Glieder aufzufangen befahl und von der weitern Verfolgung abließ. Da Phineus den Argonauten gerathen hatte, einen andern Rückweg zu nehmen, so schifften sie die Donau hinauf, trugen dann das Schiff über Berg und Thal bis zu dem Ufer des adriat. Meeres und schifften sich hier wieder ein. Jupiter aber zürnte ihnen wegen der Ermordung des Absyrtus und sandte einen heftigen Sturm, der sie in der Irre umhertrieb. Da verkündete den Argonauten die weissagende Eiche aus dem Haine des Jupiter zu Dodona, welche Minerva in den Vordertheil der Argo gefügt hatte, daß Zeus nur dadurch versöhnt werden könne, wenn sie nach Ausonia an der Westküste von Mittelitalien führen und sich dort durch die Circe von ihrer Schuld reinigen ließen. Dies geschah und glücklich kamen sie hierauf, als sie um Italien herumfuhren, vor den Inseln der Sirenen vorbei, die Alle, welche den Lockungen ihres bezaubernden Gesanges folgten, tödteten; allein neue Gefahren warteten ihrer in der Meerenge zwischen Sicilien und Italien. Hier hausten zwei fürchterliche Ungeheuer, welche die Schiffe in den Abgrund rissen: an der ital. Seite die Scylla und an Siciliens Küste die Charybdis. Doch auf der Göttin Juno Geheiß trug Thetis mit andern Meergöttinnen die Argo hindurch, worauf dieselbe nach Kreta zu steuerte. Hier widersetzte sich ihrer Landung der Riese Talos, der die Insel bewachte; allein Medea gab ihm einen betäubenden Trank und öffnete ihm, während er schlief, die einzige Ader, welche er hatte, sodaß er sich verblutete. Ohne weitern Unfall gelangte das Schiff sodann wieder in dem Hafen von Iolkos in Thessalien an, worauf die Gefährten sich trennten. Die Argo selbst aber weihte Jason dem Neptun und in der Folge glänzte sie am Himmel als Gestirn.