Athen

Athen

[134] Athen, die Hauptstadt Attika's, einer der acht Landschaften, in welche das alte Hellas oder Mittelgriechenland eingetheilt war, ist unstreitig in Hinsicht seiner Geschichte, Politik, Kunst und Wissenschaft die wichtigste Stadt des Alterthums.

Als die ältesten Bewohner A.'s werden Pelasger und Hellenen genannt. Fremde brachten unter sie den ersten Keim der Bildung. Doch ist die früheste Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner in undurchdringliches Dunkel gehüllt und nur Sagen und Fabeln sind darüber aufbewahrt. Cekrops, welcher der gewöhnlichen Annahme zu Folge aus Ägypten in Attika einwanderte und um 1550 v. Chr. eine Colonie daselbst anlegte, soll durch Erbauung der Burg Cekropia die ersten Anfänge der nachmals nach der Göttin Pallas oder Athene benannten Stadt Athen veranlaßt haben. Nach ihm wird im 13. Jahrh. v. Chr. besonders Theseus als der eigentliche Begründer A.'s gerühmt. Er soll die Einwohner der um die Cekropia herum angelegten zwölf Orte zu einer Stadt vereinigt, das Volk in Edelbürtiqe, Ackerbauer und Handwerker getheilt, das Prytaneum oder gemeinschaftliche Rathhaus erbaut und das Fest der Panathenäen gestiftet haben. Die Reihe der Könige, welche mehre Jahrh. lang in A. herrschten, schloß Kodrus, der, als das Orakel erklärt hatte, daß das Vaterland nur durch seinen Tod gerettet werden könne, im Kampfe mit den Dorern um 1068 v. Chr. verkleidet die Feinde in seiner Person täuschte und erschlagen ward. Nach ihm regierten in A. erst erbliche Archonten aus der Familie des Kodrus, dann vom Volke frei gewählte. Der Glanzpunkt der Geschichte A.'s fällt in die Jahre 682–338 v. Chr. Durch Drako erhielt die Stadt 622 geschriebene Gesetze; allein da dieselben jedes Vergehen ohne Unterschied mit dem Tode bestraften, so entstanden deshalb Unruhen, die aber durch Solon's weise Gesetzgebung im I. 598 v. Chr. beigelegt wurden. Zufolge derselben wurden die Einwohner nach ihren Einkünften in vier Classen eingetheilt und die Staatslasten darnach bestimmt; nur die drei ersten Classen waren für Staatsämter befähigt; doch nahm die vierte Theil an den Volksversammlungen und Volksgerichten. Ein jährlich gewählter Senat von 400 Mitgliedern bildete den berathenden Körper, neun Archonten hatten jährlich die ausübende Gewalt und die Aufsicht über die Gerichte. Der Areopag führte die Oberaufsicht über die ganze Staatsverwaltung, über Religion, Sitten und Gerichtspflege. Alle Gesetze waren darauf berechnet, den verschiedenen Volksclassen die nöthige Freiheit zu gewähren und sie unter sich und zum Staate in ein richtiges Verhältniß zu bringen. Doch auch diese Gesetzgebung befriedigte nicht Alle; es entstanden neue Unruhen; Pisistratus erhob sich mit Hülfe der vierten Classe 561 zum Alleinherrscher und hatte seinen Sohn Hippias zum Nachfolger. Doch dieser wurde 510 vertrieben und seitdem die Herrschaft in A. ausgezeichneten Männern aus dem Volke übertragen. Nacheinander leiteten Klisthenes, Miltiades, Themistokles, Aristides, Cimon und Perikles die Angelegenheiten des Staates, die in den pers. Kriegen, 490–449 v. Chr., in den Schlachten bei Marathon, Platää und in dem Busen von Salamis unsterblichen Ruhm erfochten. Zur Zeit dieser Blüte wurde in A. die Demokratie, vorzüglich durch Perikles, herrschend; aber der für A. unglückliche Ausgang des peloponnes. Krieges, 431–404, während welchem Kleon, Nikias und Alcibiades an der Spitze des Volkes standen, führte die Aristokratie wieder ein, indem die Spartaner A. einnahmen, die Mauern zerstörten und die Herrschaft in die Hände von 30 sogenannten [134] Tyrannen legten. Diese vertrieb Thrasybul und stellte die Solon'sche Verfassung mit einigen Veränderungen wieder her. Mit dem übrigen Griechenland verlor auch A. nach der unglücklichen Schlacht bei Chäronea, 338 v. Chr., seine Selbständigkeit, war, mit wenigen Unterbrechungen, den macedon. Königen unterthan, bis die Römer 146 v. Chr. ganz Griechenland zur röm. Provinz machten. Als A.'s politische Ruhe gestört war stieg es in Kunst und Wissenschaft zur höchsten Stufe; in seinen Mauern lebten die ausgezeichnetsten Dichter, wie Äschylus, Sophokles, Euripides, Aristophanes u.s.w.; die größten Philosophen, wie Anaxagoras, Sokrates, Plato, Aristoteles u.s.w.; die besten Redner, wie Demosthenes, Isokrates u.s.w.; die vorzüglichsten Geschichtschreiber, wie Thucydides und Xenophon und die berühmtesten Künstler; es wurde die Wiege und Pflanzschule der Wissenschaften, die sich von hier aus über die ganze gesittete Welt verbreiteten.

Das alte A. war wie die berühmteste, so auch die schönste Stadt Griechenlands; reich an prachtvollen Tempeln, Säulengängen, Denkmälern, Statuen, öffentlichen Gebäuden und Theatern. Der erhabenste Theil der Stadt war die Akropolis, wie später die Burg Cekropia genannt wurde, voll von prächtigen, den Göttern geweihten Gebäuden; vor allen zeichnete sich jedoch aus das Parthenon, der ganz von weißem Marmor erbaute, mit den Bildwerken des berühmten Phidias geschmückte Tempel der Pallas Athene, zu welchem die Propyläen, eine Säulenhalle, den Eingang bildeten. Außerhalb der Stadt standen der Tempel des Jupiter Olympius, mit der von Phidias aus Gold und Elfenbein gearbeiteten Statue des Gottes, und der des Theseus. Der Piräus, der Hafen der Stadt, war mit dieser durch eine lange Mauer verbunden und geschützt. Aber alle diese herrlichen Denkmale der Größe und Macht, des Reichthums und Kunstsinns sind in den wechselvollen Schicksalen A.'s im Laufe der Jahrhunderte untergegangen und viele bis auf die letzte Spur verschwunden. Vom Kaiser Augustus ward A., da es zur republikanischen Partei hielt, aller seiner Freiheiten beraubt; die spätern Kaiser waren ihm mehr oder weniger geneigt, bis Hadrian mit besonderer Vorliebe es verschönerte und erweiterte. Unter Valerian, 260 n. Chr, wurde es zum ersten Male von streifenden Barbarenhorden erobert und geplündert; auch Alarich mit seinen Westgothen nahm es um 400 n. Chr. ein, ohne es jedoch zu verwüsten. Im Anfange des 13. Jahrh. kam es unter den Grafen Bonifazius, einen Gefährten des Grafen Balduin von Flandern und wurde hierauf von Grafen aus Frankreich, Savoyen und Aragonien, zuletzt von der Familie Acciajuoli besessen, bis es die Türken unter Mohammed II. 1455, eroberten. Zwar gelangten 1687 die Venetianer in Besitz der Stadt, wurden aber drei Jahre darauf von den Türken wieder verdrängt. Von dieser Zeit an blieb A. ununterbrochen unter der Herrschaft der Pforte, durch nichts mehr berühmt als durch seine Ruinen, unter denen sich der Tempel des Theseus, der Artemis, das Theater des Bacchus, das Museum, das Odeon, Hadrian's Wasserleitung und die Reste der Akropolis auszeichnen. A., neugriech. Setine, türk. Atina genannt, hatte ungefähr 1200 Häuser, von denen 400 von Türken, die übrigen von Griechen und Albanesen bewohnt waren; in der Burg aber lag eine türk. Besatzung. Die griech. Bewohner genossen einiger Freiheit, mußten aber dafür jährlich eine bedeutende Abgabe bezahlen. Ihre Industrie beschränkte sich größtentheils auf Getreide-, Wein- und Ölbau und einen schwachen Handel. Als der Aufstand der Griechen gegen die Türken in Morea losbrach, erhoben sich auch die Athener gegen die türk. Bevölkerung, die sich aber auf die Akropolis flüchtete. Obschon diese nach einer längern Belagerung 1822 sich ergeben mußte, so waren doch die Griechen zu schwach, um sich längere [135] Zeit gegen die Türken behaupten zu können. A. kam wieder in den Besitz derselben und mußte nun entsetzliche Verheerungen erdulden, bis endlich der Tag der gänzlichen Befreiung Griechenlands erschien. Seit 1833 ist A. zur Hauptstadt des neuen Königreichs erklärt worden und unter der Leitung eines deutschen Baumeisters soll sich auf der Akropolis aus den Trümmern des Aterthums ein neuer Königssitz erheben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 134-136.
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