[707] Lavater (Joh. Kaspar) wurde 1741 zu Zürich geboren, bildete sich aus inniger Liebe zur Religion zum Geistlichen und wurde 1769 als solcher in seiner Vaterstadt angestellt.
Schon vorher hatte er sich durch seine »Schweizerlieder« (Bern 1767) und seine »Aussichten in die Ewigkeit« (3 Bde., Zür. 1768–73; 3. Aufl., 4 Bde., 1771–78) bekannt gemacht. Allgemein wurde sein Ruhm jedoch erst durch seine »Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe« (4 Bde., Lpz. und Winterthur 1775–78; franz. mit Zusätzen von L., 3 Bde., Haag 1781–85; im Auszuge von Armbruster, 3 Bde., Winterthur 1783–87; 2. Aufl. 1829). L. besaß ein eigenthümliches Talent, den Charakter eines Menschen, die Persönlichkeit desselben als Gesammtbild aufzufassen und suchte jene in der Gesichtsbildung der Menschen wiederzufinden. So unleugbar es ist, daß das Gesicht des Menschen, wie es im Allgemeinen Neigungen, Triebe und Leidenschaften auf das bestimmteste ausdrückt, so auch in Bezug auf jeden einzelnen Menschen als ein Spiegel seiner Seele betrachtet werden kann, indem jedenfalls vorherrschende Leidenschaften einen bleibenden Eindruck auf dem Gesichte zurücklassen, so ist doch ebenso gewiß, daß unzählige unberechenbare Zufälle auf die Ausbildung der Gesichtsformen von Einfluß sind, und daß schon von der Geburt an diese Formen Grundzüge besitzen können, welche mit dem durch die Erziehung wesentlich bedingten geistigen Dasein des Menschen nicht in Zusammenhang stehen. Den letztern Umstand übersah L., als er es unternahm, der Physiognomik oder der Lehre von dem Zusammenhange des Charakters mit der Gesichtsbildung eine derartige wissenschaftliche Ausbildung zu geben, daß er zu zeigen unternahm, die Linien des menschlichen Profils für zuverlässige Merkmale des Charakters zu erklären. Dennoch machte das erwähnte Werk, welches mit ausgezeichneten Portraits und Schattenrissen merkwürdiger Personen von ausgezeichneten Künstlern geziert und in einer beredten, blühenden Sprache geschrieben war, ungemeines Aufsehen und die Lavater'sche Physiognomik erhielt eine Menge begeisterter Anhänger. Aber auch heftige Gegner traten gegen die neue Lehre auf. L. selbst schien später an die Unfehlbarkeit seiner Lehre nicht mehr zu glauben. Nahm indeß allmälig auch sein Ruf als Physiognom ab, so stieg um so höher die Verehrung, welche man gegen seine seltene Frömmigkeit hegte. Diese war nicht frei von Schwärmerei und Aberglauben, doch durch das geheimnißvolle Dunkel, welche L.'s religiöse Ansichten umschwebte, gewannen dieselben bei vielen Gemüthern eine nur um so begeistertere Anerkennung. Bald stand L. mit einer großen Anzahl von Personen in allen Gegenden Deutschlands in lebhaftem Briefwechsel über religiöse Gegenstände, und in vielen Kreisen hatte er das Ansehen eines gottbegeisterten Propheten. In seiner Vaterstadt war L. zu höhern geistlichen Stellen emporgerückt, und nachdem er einen Ruf nach Bremen abgelehnt hatte, 1786 Pfarrer an der Peterskirche zu Zürich geworden. An den Bewegungen in dem benachbarten Frankreich nahm L. einen lebhaften Antheil, so lange dieselben noch auf eine Erhebung der menschlichen Würde durch gesetzliche Mittel ausgingen; als sich jedoch das verblendete Volk zum Verbrechen des öffentlichen Königsmords hatte hinreißen lassen, faßte L. einen religiösen Abscheu gegen die Revolution. Jetzt predigte L. mit Begeisterung für Recht und Ordnung und gegen die Willkür der Machthaber, wodurch er in den Verdacht eines heimlichen Einverständnisses mit Rußland und Östreich kam und 1796 nach Basel gebracht wurde, wo er sich jedoch siegreich verantwortete. Nach seiner in einigen Monaten erfolgten Freilassung kehrte er zu seinen gewohnten Berufsgeschäften zurück. Gegen Ende Sept. 1799 nahm der franz. General Masséna Zürich wieder ein, und hier war es, wo L., auf der Straße mit dem Beistande der Unglücklichen beschäftigt, von einem Grenadier in die Seite geschossen wurde. Nach langen und schweren Leiden, welche er mit christlicher Geduld und heitern Geistes ertrug, starb er am 2. Jan. 1801. Er wird stets den Ruhm eines frommen, tief religiösen Gemüths behalten, wenn auch seine wissenschaftlichen Bestrebungen als Verirrungen, seine schwärmerischen Ansichten und seine durch die ihm gezollte, das gehörige Maß übersteigende Verehrung genährte Eitelkeit als Schwächen anerkannt werden müssen. Von Interesse ist Geßner's »Lebensbeschreibung L.'s« (3 Bde., Zür. 1802).