Lippe

Lippe

[751] Lippe ist der Name eines alten gräflichen, jetzt größtentheils fürstl. Geschlechts in Westfalen, dessen ältester noch urkundlich nachzuweisender Ahnherr Hermann I. im Anfange des 12. Jahrh. war. Nachdem schon 1368 das Recht der Erstgeburt eingeführt war, nahm Simon V. 1529 den gräfl. Titel an. Nächster Stammvater, als alleiniger Herr der lippeschen Besitzungen, ist Simon VI. (gest. 1613), welcher drei Söhne hatte, nämlich Simon VII., welcher die detmoldsche Linie stiftete, Otto, welcher die 1709 erloschene Linie zu Brake stiftete, und Philipp, welcher der Gründer der bückeburgschen Linie wurde. Von Jobst Hermann, einem jüngern Sohne Simon VII., stammt die erbherrliche Linie zu Biesterfeld, und dessen Enkel theilten sich wieder in die zwei Linien zu Biesterfeld und Biesterfeld-Weißenfeld. Von den Nachkommen Philipp's pflanzte Friedrich Christian die 1777 erloschene Linie zu Bückeburg fort, während Philipp Ernst die Linie zu Averdissen, jetzt Schaumburg-Lippe oder Bückeburg stiftete. Die Besitzungen der beiden regierenden Linien sind die beiden souverainen deutschen Fürstenthümer Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe.

Das Fürstenthum Lippe-Detmold liegt zwischen dem Kurfürstenthume Hessen, Hanover, Preußen und Pyrmont und umfaßt 21 ! M. mit 80,000 Einw., die in 61/2 Städte, 6 Marktflecken und 145 Dörfer vertheilt sind. Das Land ist im S. gebirgig, wo es von dem teutoburger Walde oder Eggegebirge durchzogen wird; südwestl. von demselben liegt die dürresenner Haide. Besonders in der Gegend der Flüsse (Weser, Lippe, Werra, Emmer, Exter, Ems und Ach) und in den Thälern ist das Land fruchtbar. Die wichtigsten Producte sind: Getreide, Hülsenfrüchte, Flachs, Rübsamen, Hanf, Holz, Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, Ziegen, Bienen, Geflügel, Fische, Salz, Gyps, Kalk, Eisen, Marmor. Der Handel mit Holz, Garn, Leinwand und Mastvieh, Spinnerei und Leinwandweberei sind die Haupterwerbszweige. Ein Theil der jungen Leute pflegt während der Sommermonate nach Oldenburg und Ostfriesland zu wandern, um hier in den Ziegelbrennereien zu arbeiten. Der Fürst und die meisten Einwohner bekennen sich zur reformirten Kirche. Die 1819 von der Fürstin Pauline, als Vormünderin ihres Sohnes Leopold (s.d.), erlassene liberale Verfassung konnte nicht in Ausführung kommen, weil die alten Landstände und die Fürsten von Lippe-Schaumburg dagegen beim Bundestage protestirten. Lippe-Detmold hat 700,000 Gulden Schulden und etwa 490,000 Gulden Staatseinkünfte, als Mitglied des deutschen Bundes Antheil an der 16. Stelle, in der weitern Versammlung eine eigne Stimme und stellt 69 M. Contingent. Haupt- und Residenzstadt ist Detmold an der Werra mit 3500 Einw., die Leinweberei, Gerberei und etwas Handel treiben. Die Stadt hat ein festes Schloß und in der Nähe Marmor- und Gypsbrüche. Lemgo mit 3800 Einw. hat ein Schloß, ein adeliges Stift, drei Kirchen, ein Gymnasium und Tuch-, Leinwand- und Meerschaumkopffabriken. Die Stadt Lippstadt mit 3251 Einw. gehört nur zum Theil dem Fürsten von Lippe-Detmold, übrigens zu Preußen. Im Fürstenthume Lippe-Detmold liegt am teutoburger Walde das Winnfeld oder Varusfeld, wahrscheinlich der Ort, wo Hermann, der Cherusker, die deutsche Freiheit rettete.

Das Fürstenthum Schaumburg-Lippe, begrenzt von Hanover, der kurhess. Grafschaft Schaumburg, Lippe-Detmold und der preuß. Provinz Westfalen, umfaßt gegen 10 ! M. und zählt etwa 27,000 Einw., die größtentheils zur Lutherischen Kirche gehören und in zwei Städten, drei Flecken, sechs Schlössern, neun Vorwerken und 99 Bauerschaften leben. Das Wesergebirge, der Deister und Süntel kommen hier zusammen, daher das Land ziemlich gebirgig ist. Die Aue, Gehle und Emmer, kleine Nebenflüsse der Weser, bewässern es. Nördlich liegt das eine Meile lange, halb so breite und nur höchstens sechs F. tiefe steinhuder Meer. Der Boden ist größtentheils fruchtbar, wird aber im N. Haideland. Ackerbau, Viehzucht, besonders Schafzucht, Steinkohlenbergbau, Garnspinnerei und Leinweberei sind die Haupterwerbszweige; [751] Korn, Wolle, Holz, Steinkohlen und Garn werden ausgeführt. Seit 1816 hat das Land eine ständische Verfassung. Schaumburg-Lippe hat als deutscher Bundesstaat Theil an der 16. Stelle des engern Raths und in weiterer eine eigne Stelle und stellt ein Bundescontingent von 240 M. Die Staatseinkünfte des schuldenfreien Landes werden auf 215,000 Gulden berechnet, welche größtentheils aus Domainen kommen. Haupt- und Residenzstadt ist Bückeburg an der Aue mit 4200 Einw., welche Leinweberei und Landwirthschaft treiben. Die Stadt ist gut gebaut und hat ein Schloß und ein Waisenhaus. Bei Stadthausen, einem Städtchen mit 1500 Einw., einem Schlosse, einem Waisenhause, einer lat. Schule und einem Gesundbrunnen, liegen Steinkohlengruben und Sandsteinbrüche. In dem steinhuder Meere liegt auf einer Insel die kleine Festung Wilhelmsstein, welche zur Aufbewahrung von Gefangenen benutzt wird.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 751-752.
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