Schaumburg-Lippe

[709] Schaumburg-Lippe, souveränes, zum Deutschen Reiche gehöriges Fürstentum, zwischen 51°53´-52°30´ nördl. Br. und 8°59´-9°20´ östl. L., wird von dem preußischen (vormals hessischen) Teile der Grafschaft Schaumburg, den preuß. Regierungsbezirken Hannover und Minden begrenzt und besteht aus dem westlichen Teile der ehemaligen Grafschaft Schaumburg. Außerdem besitzt der Fürst zu S. das paragiale Oberamt Blomberg unter Hoheit des Fürsten von Lippe-Detmold. Das Fürstentum liegt am nördlichsten Zweige des Wesergebirges und besteht zum größern Teil aus Tiefland, zum kleinern aus wellenförmigem Hügelland. Im SO. liegt die bewaldete und kohlenreiche Kette des Bückebergs (332 m), im N. das Steinhuder Meer (s. d.). Mineralquellen sind bei Stadthagen und Eilsen. Das Klima ist gemäßigt und gesund, wenn auch vorherrschend feucht und kühl. Der Flächeninhalt beträgt 340,29 qkm (6,2 QM.). Die Bevölkerung, die 1905: 44,992 Seelen (132 auf 1 qkm) betrug, gehört dem niedersächsischen Stamm an und bekennt sich, mit Ausnahme von etwa 3800 Reformierten, (1900) 785 Katholiken und 257 Israeliten, zur evangelisch-lutherischen Kirche. Die Bevölkerung wohnt in 2 Städten (Bückeburg und Stadthagen), 2 Flecken und 88 Ortschaften. Für die geistige Kultur ist hinreichend gesorgt. Von Lehranstalten bestehen: ein Gymnasium, ein Schullehrerseminar und 37 Landschulen. Die Zahl der Erwerbstätigen betrug 1895: 15,539 (darunter 2842 weibliche); davon entfielen 35,6 Proz. auf Land- und Forstwirtschaft, 44,3 Proz. auf Bergbau und Industrie, 8,3 Proz. auf Handel und Verkehr. Der wichtigste Nahrungszweig ist die Landwirtschaft, die nicht nur den Bedarf der Bevölkerung deckt, sondern auch verschiedene Artikel zur Ausfuhr liefert. Auf Acker- und Gartenland entfallen (1900) 48,3 Proz., auf Wiesen 12,3, auf Weiden 5,4, auf Waldungen 20,3 Proz. des Areals. Verhältnismäßig groß ist der Bestand an Schweinen und Ziegen, sehr gering an Schafen; 1904 zählte man 3061 Pferde, 11,738 Rinder, 1190 Schafe, 39,239 Schweine und 6960 Ziegen. Die Waldungen (1900: 6899 Hektar) bestehen zu 78,5 Proz. aus Laubholz, namentlich prächtigen Eichen- und Buchenbeständen;[709] 94 Proz. der ganzen Waldfläche gehören der Landesherrschaft. Der Bergbau betrifft bloß Steinkohlen, die in den mit Preußen gemeinschaftlichen Staatsbergwerken zutage gefördert werden. Auch hat das Land treffliche Quader- und Bruchsteine sowie Torf. Die Industrie ist von geringem Belang. Auch der Handel ist wegen der Kleinheit des Landes unbedeutend. Das Fürstentum steht unter preußischer Zollverwaltung. Für Straßenbau ist viel geschehen, 24 km der Hannover-Mindener Bahn liegen innerhalb des Fürstentums, außerdem bestehen 13,7 km Nebenbahnen (im Privatbesitz). Als Grundgesetz gilt das Landesverfassungsgesetz vom 17. Nov. 1868. Der Fürst (gegenwärtig Georg, geb. 10. Okt. 1846, regiert seit 8. Mai 1893) ist im Besitz der ungeteilten Staatsgewalt. Er bekennt sich zur reformierten Kirche und wird mit zurückgelegtem 21. Lebensjahr großjährig. Die Landstände bestehen aus zwei durch landesherrliches Vertrauen für die jedesmalige Legislaturperiode berufenen Vertretern des Domanialgrundbesitzes, einem gewählten Vertreter der Ritterschaft, einem von den vozierten Predigern des Landes gewählten Vertreter, einem von den eine amtliche Stellung einnehmenden Juristen, Medizinern, studierten Lehrern (einschließlich der zur Praxis zugelassenen Anwälte, Ärzte und examinierten Privatlehrer) gewählten Vertreter, drei gewählten Vertretern der Städte und sieben gewählten Vertretern der Ämter. Es wird jährlich ein Landtag gehalten. Oberste Staatsbehörde für die gesamte innere Landesverwaltung und für die auswärtigen Angelegenheiten ist das fürstliche Ministerum zu Bückeburg. Für die Rechtspflege besteht ein Landgericht in Bückeburg mit zwei Amtsgerichten in Bückeburg und Stadthagen; die oberste Instanz bildet das gemeinschaftliche Oberlandesgericht in Oldenburg. Geistliche Oberbehörde für die Reformierten ist das Ministerium, für die Lutheraner das Konsistorium. Die Katholiken gehören zur Diözese des Bischofs von Osnabrück als Provikars der Nordischen Mission. Der Landeskassenetat für 1906 belief sich in Einnahme und Ausgabe auf 986,659 Mk.; davon entfielen auf außerordentliche Einnahmen und Ausgaben 299,379, bez. 284,675 Mk. Die Staatsschuld beträgt 484,500 Mk. In militärischer Hinsicht gehört das Fürstentum zum 7. Armeekorps (Generalkommando in Münster). In Bückeburg steht das Westfälische Jägerbataillon Nr. 7. Das Wappen (s. Tafel »Wappen I«) ist geviert und zeigt in 1 und 4 in Silber eine rote Rose mit grünen Kelchblättern (Lippe), in 2 und 3 in Rot eine auf einem achtstrahligen goldenen Stern sitzende Schwalbe (Schwalenberg). Der diesem Schild ausgelegte Herzschild enthält in Rot einen ausgezackten silbernen Schildbeschlag (Schaumburg); Schildhalter sind zwei weißgekleidete Engel mit Palmenzweigen. Die Landesfarben sind Weiß, Rot und Blau. Als Ehrenzeichen bestehen: das vierklassige Ehrenkreuz, das goldene und silberne Verdienstkreuz, das Dienstauszeichnungskreuz für 25jährigen aktiven Dienst, mehrere Verdienstmedaillen etc. Im Bundesrat ist S. durch einen Bundesbevollmächtigten, im Reichstag durch einen Abgeordneten vertreten. Fürstliche Residenz ist Bückeburg. S. Karte »Braunschweig etc.«

Geschichte. Die Linie Schaumburg oder auch Bückeburg des Hauses Lippe (s. d., S. 592) ward vom Grafen Philipp, dem jüngsten Sohne des Grafen Simon VI von der Lippe, gestiftet. Derselbe erhielt 1613 als Apanage die Ämter Lipperode und Alverdissen und erbte 1640 von seiner Schwester Elisabeth, der Mutter des letzten Grafen von Schaumburg, Otto VII., einen Teil der Grafschaft Schaumburg (s. d. 1), nämlich die Ämter Stadthagen, Bückeburg, Arensburg, Hagenburg und Sachsenhagen zum Teil. Dies Territorium führte von nun an den Namen Grafschaft S. Philipp führte 1668 das Erstgeburtsrecht ein und starb 1681. Sein ältester Sohn, Friedrich Christian, folgte ihm in der Bückeburger Linie und starb 1728; ein zweiter Sohn, Philipp Ernst, stiftete die Alverdissensche Nebenlinie. Nach dem Aussterben der Brakeschen Linie des Hauses Lippe 1709 entstand ein Streit mit Lippe-Detmold, der 1748 so geschlichtet wurde, daß Blomberg an Detmold, Schieder an Bückeburg fiel. Mit dem Enkel Friedrich Christians, dem portugiesischen Feldmarschall Grafen Friedrich Wilhelm Ernst, der das Fort Wilhelmsstein im Steinhuder Meer erbaute und dort eine berühmte Kriegsschule errichtete, erlosch 1777 die ältere Linie Bückeburg im Mannesstamm, worauf die Alverdissensche Linie mit dem Grafen Philipp Ernst, einem Enkel des Stifters dieser Nebenlinie, zur Regierung gelangte. Nach langwierigen Streitigkeiten mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel und dem Grafen von Lippe behauptete sich Philipp Ernst gegen Abtretung des Amtes Schieder im Besitz von Schaumburg-Bückeburg und nannte sich nun Graf von Schaumburg-Lippe-Bückeburg. Ihm (gest. 13. Febr. 1787) folgte sein Sohn Georg Wilhelm (s. Georg 25). Er trat 1807 dem Rheinbund bei, nahm darauf den Fürstentitel an und gab 15. Jan. 1816 dem Land eine ständische Verfassung. 1837 schloß sich S. dem braunschweigisch-oldenburgischen Zoll- und Steuerverband an, und 25. Sept. 1851 trat es dem zwischen Preußen und Hannover vereinbarten Vertrag über Vereinigung des Zoll- und des Steuervereins und infolgedessen 1. Jan. 1854 dem Zollverein bei. 1848 fanden auch hier, doch nur kurze Zeit, Bewegungen statt; aber dem Verlangen, die Domänen für Staatsgut zu erklären, trat der Fürst mit Entschiedenheit entgegen. Auf Georg Wilhelm (gest. 21. Nov. 1860) folgte sein Sohn Adolf Georg (s. Adolf 7), der am 14. Juni 1866 mit der 16. Kurie für die von Österreich beantragte Mobilisierung gegen Preußen stimmte, sein Kontingent dem Bundesbefehl gemäß nach Mainz sandte, aber 18. Aug. dem Norddeutschen Bund und 1871 dem Deutschen Reich beitrat. Eine Militärkonvention ward 1. Okt. 1867 mit Preußen geschlossen. Nach längern Verhandlungen ward 17. Nov. 1868 eine neue ständische Verfassung mit der Landesversammlung vereinbart und damit der langjährige Konflikt beendet. Dem Fürsten Adolf Georg folgte 8. Mai 1893 sein ältester Sohn, Fürst Georg (s. Georg 26), der seit 1895 für sein Haus Erbansprüche auf den erledigten Thron des Fürstentums Lippe (s. Lippe, S. 593) erhob, bis 1905 endgültig die Erbansprüche des Hauses Lippe Biesterfeld anerkannt wurden. Leitender Staatsminister ist gegenwärtig Freiherr v. Feilitzsch. Vgl. Wiegmann, Heimatkunde des Fürstentums S. (Leipz. 1905); Bömers, Staatsrecht des Fürstentums S. (in Marquardsens »Handbuch des öffentlichen Rechts«, Bd. 3, Freiburg 1884); Schönermark, Beschreibende Darstellung der ältern Bau- und Kunstdenkmäler des Fürstentums S. (Berl. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 709-710.
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