[807] Zinzendorf (Nikolaus Ludw., Graf von), der Stifter der evangelischen Brüdergemeine (s.d.), wurde 1700 zu Dresden geboren und war der Sohn des 1718 gestorbenen kursächs. Conferenzministers Otto Christian, Graf von Z., welcher sich wegen seines Übertrittes zur evangelischen Lehre aus dem Östreichischen nach Sachsen gewendet und daselbst angekauft hatte. Z. wurde bei seiner frommen und gelehrten Großmutter, einer Frau von Gersdorf, in der Lausitz erzogen, welche in lat. Briefwechsel mit dem gelehrten Schurzfleisch in Leipzig stand und eine Sammlung geistlicher Lieder und poetischer Betrachtungen herausgegeben hat. Die in ihrem Hause täglich gehaltenen Andachtsübungen und der Einfluß des häufig dort einsprechenden berühmten Spener (s.d.), von welchem Z. eingesegnet wurde, gab in früher Jugend dem begabten Knaben die schwärmerisch religiöse Richtung, welche durch sein Verweilen im Pädagogium zu Halle (seit 1711) durch Francke (s.d.) noch mehr ausgebildet wurde, dessen besonderer Leitung er anvertraut war. Hier schon veranstaltete er mit einigen Schulgenossen erbauliche Zusammenkünfte und stiftete einen mystischen Orden vom Senfkorn, blieb auch diesen Meinungen treu, als sein Vormund ihn 1216 absichtlich auf die Universität Wittenberg schickte, um dort, wo die Theologen entschiedene Gegner des Pietismus waren, die Rechte zu studiren. Z. trieb jedoch für sich allein weit eifriger theologische Studien, seine damalige Sinnesart aber bezeugt, daß er sich 1717 während der Feier des wittenberger Reformationsjubiläums einschloß und mit Fasten und Thränen den vermeintlichen Verfall der Kirche betrauerte. Eine 1719 begonnene Reise durch Holland und Frankreich benutzte er hauptsächlich zur Anknüpfung von Verbindungen mit ausgezeichneten Theologen, wurde dann 1721 bei der Landesregierung in Dresden angestellt, hielt sich aber von den Geschäften sehr entfernt und gab 1727 dies Verhältniß ganz auf. Wie bisher religiöse Bestrebungen und Andachtsübungen ihn hauptsächlich in Anspruch genommen hatten, so ging er nun auf Verwirklichung seines Lieblingsentwurfs, zur Gründung einer Religionsgesellschaft aus, in welcher alle christliche Bekenntnisse geduldet sein sollten. Bei seiner Geringschätzung der eigentlichen theologischen Gelehrsamkeit und da er sich in den seine Meinungen veröffentlichenden Schriften häufig in Widersprüche verwickelte, traten zahlreiche Gegner wider ihn auf, was ihn aber so wenig wie andere Hindernisse abhielt, sein Ziel zu verfolgen. Schon 1722 hatte er auf seinem Gute Bertelsdorf in der Oberlausitz mehre der Religion wegen ausgewanderte mährische Brüder aufgenommen, zu denen sich immer mehr Gleichgesinnte fanden und für die Z. am Hutberge den Grund zu dem Städtchen und der Gemeinde Herrnhut legte. (S. Brüdergemeine.) Von 1727 an schickte er Glaubensboten in andere Christengemeinden und von 1731 an auch unter die Heiden; er selbst aber ließ sich 1734 in Stralsund als Candidat der Theologie unter dem Namen Freydeck examiniren und hielt dort in der Stadtkirche seine erste Predigt. Im J. 1737 wurde er in Berlin zum Bischofe der mährischen Kirche geweiht, von 1738–47 aber aus Sachsen verwiesen, weil er mit seinen Neuerungen zur Verachtung des öffentlichen Gottesdienstes und der Obrigkeit wirke. Z. machte während dieser Zeit Reisen durch Europa, nach Westindien und Nordamerika, wo er selbst unter den Indianern seiner Gemeinde Anhänger zu gewinnen suchte, schrieb außerdem in diesen Jahren eine Menge Schriften zur Erbauung und Belehrung, sowie über Gründung, Einrichtung und zur Vertheidigung seiner Gemeinde, hielt öffentliche Vorträge und führte einen großen Briefwechsel. Nachdem er 1747 Erlaubniß zur Rückkehr nach Sachsen und die Anerkennung seiner Gemeinde als augsburgische Confessionsverwandte (1748) erhalten hatte, wählte er Barby zum Hauptsitze derselben, wohin er das Seminar für die theologischen Lehrer verlegte und daselbst auch ein akademisches Collegium stiftete. Der Befestigung und Erweiterung der Brüdergemeine war nach wie vor sein ganzes Streben gewidmet, bis er im Mai 1760 zu Herrnhut starb, wo er auf dem Begräbnißplatze bestattet und von mehren tausend Menschen zur Gruft begleitet wurde. Z. war zwei Mal, zuerst mit einer Gräfin Reuß-Ebersdorf, dann mit Anna Nitschmann verheirathet, die 1725 mit ihren Ältern aus Mähren kam und längere Zeit Älteste der ledigen Schwestern zu Herrnhut war. Die Zahl seiner Schriften übersteigt hundert; sie enthalten bei vielem Trefflichen aber noch mehr Unklares und Verkehrtes, sowie durch die Darstellung Anstößiges, indem ihn bei schwärmerischer Anschauungsweise, Mangel an Geschmack und das Trachten nach Eigenthümlichkeit zu den das Gefühl beleidigendsten Einkleidungen christlicher Lehren in süßliche und tändelnde, sinnliche Bilder verleitete. Gern hätte er in spätern Jahren bei besserer Einsicht diese Verirrungen ungeschehen gemacht und suchte vielseitig den davon zu besorgenden Nachtheilen entgegenzuwirken. Herder hat Z. in Bezug auf die Verbreitung seiner Gemeinde nach allen Erdtheilen und beinahe allen europ. Ländern den größten Eroberer seines Jahrh. genannt. Seine Lebensbeschreibung hat am umfänglichsten sein Nachfolger, der gelehrte Bischof Spangenberg (»Leben des Grafen N. L. v. Z.«, 8 Bde., Barby 1772–75), sodann außer Andern Herder in der »Adrastea« und Varnhagen von Ense in seinen »Biographischen Denkmälern« (Bd. 5, Berl. 1830) geschrieben.