[820] Zunftwesen. Die Ausdrücke Gilde, Handwerk, Innung, Gewerk, Zunft bezeichnen eine mit Bewilligung des Staats bestehende gewerbliche Körperschaft, deren Mitglieder gleiche Gewerbe treiben, in ungefähr gleichen Verhältnissen leben, daher gleiche Interessen haben und von selbst geneigt sind, ihres gemeinsamen Vortheils wegen zusammenzuhalten. Die Bedingungen, an welche die Aufnahme in eine solche Verbindung Gewerbtreibender und damit die Erwerbung des Rechts zur Betreibung des betreffenden Gewerbes im eignen Namen und zur Annahme von Lehrlingen gebunden ist, sind in der Zunftordnung enthalten, welche mit andern dieselbe angehenden Gesetzen und Urkunden (z.B. Privilegien), mit ihrem etwaigen Vermögen, dem Innungssiegel u. d. m., in einer sogenannten Lade von den Vorstehern verwahrt werden. Mitglieder der Zünfte und Innungen sind die Meister (s.d.), Patentmeister ausgenommen, oder Herren, wie sie schon seit längerer Zeit bei den Buchdruckern, Uhrmachern, Schornsteinfegern heißen; ferner die Witwen verstorbener Handwerksmeister, welche deren Handwerk unter Oberleitung eines Gesellen (welcher Bretmeister bei den Schuhmachern, Tafelschneider bei den Schneidern heißt), fortsetzen. Die Zunftgesetze verbreiten sich auch über die Verhältnisse der Gesellen und Lehrlinge, welche jedoch keine Mitglieder (Genossen, Genoten, woher der Spottname Knoten rührt) einer bestimmten, örtlichen Zunft sind. (S. Handwerk und Wandern.) Außer den Zunftordnungen ist noch der Handwerksgebrauch, das Herkommen, eine vorzügliche Quelle der Zunftrechte. Einkünfte einer Zunft sind die Strafen wegen Übertretung der Zunftgesetze, die Gebühren für Ein- und Abschreiben von Lehrlingen, für Erlangung des Meisterrechts und regelmäßige Beiträge der Meister. Manchmal sind auch mehre Handwerke, z.B. alle Metallarbeiter, sämmtliche Lederarbeiter eines Orts zu einer Innung verbunden, welche dann eine vereinigte heißt. Unter »geschlossener Zunft« wird eine solche verstanden, welche in einem bestimmten Bezirke blos eine gewisse Anzahl von Meistern oder Zunftgenossen duldet. Endlich kommt noch der Zunftzwang in Betracht, kraft dessen jede Handwerkerverbindung ausschließlich zur Verfertigung gewisser Arbeiten und zum Handel mit gewissen Waaren berechtigt ist, woraus folgt, daß Alle, welche unberechtigt dergleichen Arbeiten verfertigen oder Waaren verkaufen, von den zünftigen Meistern aufgehoben, ihnen ihre Arbeit, Werkzeug und Waaren weggenommen und sie als Pfuscher, Sudler bestraft werden können. Denjenigen, welcher einen unberechtigten Arbeiter verwendet, trifft dabei keine Strafe, wenn nicht noch besondere gesetzliche Bestimmungen etwa darüber vorhanden sind. Auch kann der Zunftzwang Niemand hindern, sich für den eignen Bedarf Kleider, Schuhe, Schreinerarbeit u. dgl. m. zu verfertigen, oder von seinen in Kost und Lohn stehenden Dienstboten verfertigen zu lassen, nur darf es nicht um Geld sur Andere geschehen. Doch hindert er z.B. den Schuhmacher nicht, sich sein Leder selbst zu gerben und zu Schuhen verarbeitet zu verkaufen; nur als Leder darf er es nicht thun. Schon von den handeltreibenden Handwerkern pflegt die Beschränkung, nur mit eignen oder von Zunftmeistern verfertigten Arbeiten zu handeln, fast allgemein überschritten zu [820] werden, und wo der Handel aufblüht und frei wird, geht der Zunftzwang außerdem von selbst zu Grunde, weil man im Laden des Kaufmanns, auf Märkten und Messen dann alle Gegenstände käuflich haben kann und gar nicht gefragt wird, ob sie von zünftigen Meistern oder unzünftigen Fabrikanten verfertigt worden sind. Ebenso darf den Zünften bei den Gemeindeangelegenheiten kein, nicht aus den allgemeinen Verhältnissen natürlich hervorgehendes Übergewicht durch Privilegien und dergl. eingeräumt sein, sondern sie müssen sich ebenfalls den Foderungen des gemeinen Besten unterordnen. Das war im Mittelalter keineswegs der Fall, wo das Zunft- und Gildenwesen seinen Höhepunkt erreicht hatte und die Zünfte in den städtischen Angelegenheiten meist Alles so ordnen konnten, wie es ihr und ihrer Angehörigen alleiniger Vortheil foderte. Nur selten dachte man einmal daran, etwas von den angemaßten oder auch früher erworbenen Rechten zum Besten anderer Staatsangehöriger schwinden zu lassen. Hervorgegangen aus dem Bedürfniß, sich durch Zusammenhalten gegen die Eigenmacht der Geschlechter und Patrizier zu schützen, welche die Stadtrathsstellen erblich unter sich zu machen wußten, zwangen sie dieselben, ihnen einen Theil vom Stadtregiment einzuräumen und trachteten fortan nicht blos auf eifersüchtige Erhaltung der gewonnenen Rechte, sondern auch auf deren Erweiterung. War es anfangs ausschließliches Interesse einer Innung, ihren Mitgliedern und ihrem Wohnorte ihr Gewerbe ausschließlich zu bewahren, so änderte sich das mit dem wachsenden Verkehr. Die Zünfte blieben nicht mehr auf einzelne Städte beschränkt, sondern allmälig bildete sich jeder Zweig der bürgerlichen Gewerbe in seinen Zunftgenossen zu einer durch ganz Europa verbreiteten Verbrüderung aus, deren Zusammenhang durch die beständig wandernden Gesellen unterhalten wurde, während die Meister an ihre Wohnsitze gebunden blieben. In besondern Fällen war es leicht, eine große Anzahl Gesellen eines Gewerbes zu gleicher Zeit an einem Orte durch jene zu vereinigen oder von mit Verruf belegten die dort verweilenden zu entfernen, sowie zuwandernde fern zu halten. Als jedoch mit der Zunahme der Bevölkerung, mit dem gänzlichen Umschwunge der Handelsverhältnisse, der immer wachsenden industriellen Betriebsamkeit und den hellern Einsichten in das Wesen aller dieser in steter Bewegung begriffenen Zweige menschlicher Thätigkeit, das Bedürfniß nach möglichster Freiheit der Entwickelung sich dringend geltend zu machen anfing, mußte auch gegen das veraltete und dadurch zum Misbrauch gewordene Zunftwesen eingeschritten werden. Daß nicht allmälig und zu rechter Zeit Verbesserungen desselben eingeführt worden waren, führte nun hin und wieder dahin, daß auf einmal zu viel geschah, wie in Frankreich durch die Revolution, welche alle Handwerksverbindungen mit ihrem Guten und Bösen stürzte, und in Preußen durch das Gewerbsteueredict vom 2. Nov. 1810, welches in den damaligen Landestheilen Jeden unter Erfüllung gewisser policeilicher Foderungen erlaubt, jedes erlaubte Gewerbe zu treiben. Die Zünfte blieben daneben, konnten sich aber leicht auflösen oder auch von der betreffenden Behörde jederzeit aufgelöst werden. Hier wie dort war diese Freiheit des Gewerbsbetriebes nicht auf dem vermittelnden Wege natürlicher Fortbildung der Zustände geschehen, daher nun von dem mit dem Fortschritte erlangten neuen Standpunkte aus die Lücke bis zu den alten Zuständen gleichsam erst ausgefüllt werden mußte, was nicht ohne eine Menge von Nachtheilen abgehen konnte. Wo jedoch dem zu einer gewissen Bildung gelangten Volke die Regierungsform hinreichende Freiheit läßt, meist selber dazu zu thun, findet sich schon bald das Rechte. So haben in Frankreich und besonders in Paris, wo die Bezahlung einer Gewerbsteuer Jedem das Recht zur Betreibung eines Gewerbes gibt, verschiedene Classen des Gewerbstandes Vereinigungen unter sich zu gegenseitiger Unterstützung ihrer Kranken, Witwen und Waisen gebildet, woran sich wol noch andere Zwecke, z.B. für Nachhülfe mangelhafter Schulbildung ihrer Lehrlinge und Beaufsichtigung derselben und ihrer Ausbildung überhaupt, noch näher knüpfen ließen, als es der Besuch von Sonntagsschulen und ähnlichen Anstalten erlaubt. Übrigens genießen die franz. Waaren jetzt eines größern Vertrauens als sonst bei bestehender Zunftverfassung, und tüchtigen Arbeitern fehlt es nicht leicht an Arbeit, weil sie nirgend im Überfluß vorhanden sind, es sei denn, Zeitverhältnisse und Mode wirkten hinderlich auf einen Gewerbszweig. Dagegen schützt aber auch kein Zunftwesen, so wenig wie es ungeschicktere Arbeiter hindert, nach dürftig geliefertem Meisterstücke das Meisterrecht zu erlangen und am Ende zu verarmen und der Gemeinde zur Last zu fallen. Die Natur der Sache führt den Gewerbstand dahin, für bestmögliche Ausbildung seiner Arbeiter zu sorgen, und bei freierer Verfassung wird dieser Antrieb weit mächtiger als bei den ältern Zünften wirken, wo die Lehrlinge durchgängig zu viel in häuslichen Geschäften verwendet wurden. Auch in Preußen haben sich daher die zur Abhülfe der Nachtheile der Gewerbefreiheit laut gewordenen Wünsche der Einsichtigsten ungefähr dahin vereinigt, daß den Handwerkern freiwillige Verbindungen unter sich zu stiften und nur solchen erlaubt werden möge, Lehrlinge aufzunehmen, welche ihre Tüchtigkeit vor einer, jedoch nicht blos aus Gewerbsgenossen bestehenden Prüfungscommission dargethan hätten; der Gewerbzwang in früherer Weise dürfe jedoch keineswegs wieder eintreten. In den östr.-deutschen Ländern bestehen die ältern Zunfteinrichtungen noch fort, haben jedoch mancherlei dem freiern Gewerbsbetriebe günstige, aber landschaftlich und örtlich voneinander oft verschiedene Abänderungen erfahren. Dasselbe gilt von Hanover, vom Königreiche Sachsen; Baiern, Kurhessen und andere deutsche Staaten, welche, während sie unter franz. Oberherrschaft standen, volle Gewerbefreiheit angenommen hatten, sind nachher zu einem etwas verbesserten Zunftwesen zurückgekehrt. Weitere Belehrung über diese Angelegenheiten geben Bülau, »Der Staat und die Industrie« (Lpz. 1834); Wilda, »Gildenwesen des Mittelalters« (Halle 1831); Herold, »Rechte der Handwerker und ihrer Innungen, nach den im Königreiche Sachsen gültigen Gesetzen« (2. vermehrte Aufl., Lpz. 1841). So große bürgerliche und politische Bedeutung der Handwerksstand bei den Deutschen erlangt hat, so wenig wollten die alten Deutschen davon wissen, die ihn als Beeinträchtigung ihres Freiheitsgefühls betrachteten und nur für Unfreie passend hielten. Die Betreibung eines Handwerks war dagegen bei den alten Juden und andern Morgenländern, welche von Standeswürden und allen daran hängenden Vorurtheilen nichts wußten, sondern nur die Amtswürde kannten, etwas sehr Ehrenvolles. Es galt für nothwendig, daß jeder Vater seinen Sohn ein Handwerk erlernen ließ und [821] bei den Osmanen wird noch in Erfüllung einer Vorschrift des Korans sorgfältig darüber gehalten, sodaß selbst jeder Sultan sich Fertigkeit in irgend einem Gewerbe anzueignen sucht.
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