Hessen [3]

Mittleres Westdeutschland I. (Karten)
Mittleres Westdeutschland I. (Karten)
793. Hessen.
793. Hessen.

[797] Hessen (bis 1866 Hessen-Darmstadt), zum Deutschen Reich gehöriges Großherzogtum [Karte: Mittleres Westdeutschland [797] I, bei Rheinprovinz], 7681 qkm, (1900) 1.119.890 E. (341.480 Katholiken, 24.486 Israeliten), (1905) 1.201.719 E., besteht aus zwei Hauptteilen: den Prov. Starkenburg und Rhein-H., südl. vom Main, durch den Rhein voneinander getrennt, und der Prov. Ober-H. im N., von preuß. Gebiet umschlossen. Ober-H. wird größtenteils vom Vogelsberg erfüllt, im W. das Lahntal und die Wetterau sehr fruchtbar. Das Hauptland, vom Rhein und Main durchzogen oder begrenzt, enthält das Bergland des Odenwaldes, daneben fruchtbare Auen und rebenreiche Hügel. Bedeutend die Industrie und der Handel, der durch schiffbare Flüsse, Kunststraßen (4187 km) und Eisenbahnen (1200 km normalspurige Eisenbahnen; 1100 km sind preuß.-hess. Staatsbahnen) gefördert wird.

Verfassung und Verwaltung. Nach der Verfassungsurkunde vom 17. Dez. 1820 ist H. eine unteilbare konstitutionelle Monarchie und nach Erstgeburt und Linealerbfolge erblich, in Ermangelung eines erbberechtigten Prinzen auf die weibliche Nachkommenschaft übergehend. Gegenwärtiger Regent Ernst Ludwig (seit 1892). Die Landstände (nach Gesetz vom 6. Sept. 1856 und vom 8. Nov. 1872) bestehen aus 2 Kammern. Im deutschen Bundesrat führt H. 3 Stimmen, im Reichstage ist es durch 9 Mitglieder vertreten. An der Spitze der Verwaltung steht das Staatsministerium (des Innern, der Justiz, der Finanzen); unter ihm die 3 Provinzialdirektionen und die 18 Kreisämter; ferner Provinziallandtag und -ausschuß, Kreistag und -ausschuß. Oberlandesgericht Darmstadt mit 3 Land- und 51 Amtsgerichten. Hauptstadt Darmstadt. Bildungswesen: Landesuniversität Gießen, Technische Hochschule in Darmstadt, 10 Gymnasien, 3 Realgymnasien, 1 Oberreal-, 15 Real-, 5 höhere Mädchenschulen, 3 Schullehrerseminare, evang. Predigerseminar, bischöfl. Seminar etc. Haupt der evang. Landeskirche ist der Großherzog, außerdem Oberkonsistorium und Landessynode; an der Spitze der kath. Landeskirche, des Bistums Mainz, steht der Bischof von Mainz. Die Armee bildet nach Konvention vom 8. Juni 1871 die geschlossene 25. Division im Verbande des 18. preuß. Armeekorps. Orden: Ludwigsorden, Orden Philipps des Großmütigen, Orden vom Goldenen Löwen. Wappen: im blauen Felde ein von Silber und Rot quergestreifter Löwe, mit der Vordertatze ein Schwert haltend [Abb. 793]; Landesfarben: Weiß und Rot.

Geschichte. H.-Darmstadt, die jüngere Linie des Hauses H., ist gestiftet von Philipps des Großmütigen Sohn Georg I. (1567-96). Es folgten Ludwig V. (1596-1626), Georg II. (1626-61), Ludwig VI. (1661-78), Ludwig VII. (1678), Ernst Ludwig (1678-1739), Ludwig VIII. (1739-68), Ludwig IX. (1768-90). Ludwig X. (1790-1830) erhielt als Entschädigung für Verluste durch den Lunéviller Frieden (1801) und den Reichsdeputationshauptschluß (1803) das Hzgt. Westfalen, kurmainz. und pfälz. Ämter sowie den Rest des Hochstifts Worms, trat dem Rheinbunde bei, nahm 14. Aug. 1806 als Ludwig I. die großherzogl. Würde an, sicherte durch den Beitritt zu den verbündeten Mächten 2. Nov. 1813 H.-Darmstadt seinen Fortbestand, erhielt auf dem Wiener Kongreß für Westfalen und einige andere Abtretungen Rhein-H., brachte das Land zu Wohlstand und einem konstitutionellen Staatsleben (17. Dez. 1820 Publizierung eines neuen Staatsgrundgesetzes). Auf Ludwig I. folgte sein Sohn Ludwig II. (1830-48), diesem Ludwig III. (1848-77). Im Juni 1849 trat H.-Darmstadt dem Dreikönigsbündnis bei, doch neigte sich die Regierung immer mehr Österreich zu, trat von der Union mit Preußen zurück, und Minister von Dalwigk (seit Juni 1850) leitete eine Reaktion (neues Wahlgesetz) ein. H.-Homburg fiel 24. März 1866 an das Großherzogtum. Dieses trat im Konflikt zwischen Preußen und Österreich auf Seite des letztern, nahm am Deutschen Kriege teil und mußte in dem Frieden mit Preußen (6. Sept. 1866) H.-Homburg und andere Gebietsteile abtreten, 3 Mill. Fl. Kriegskosten zahlen, an Preußen das Postwesen übergeben und mit allen nördl. vom Main gelegenen Gebietsteilen dem Norddeutschen Bunde beitreten; 7. April 1867 Abschluß einer Militärkonvention, der ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem Norddeutschen Bunde folgte. 13. Juni 1877 starb Ludwig III. kinderlos. Ihm folgte sein ältester Neffe als Ludwig IV., diesem 13. März 1892 sein Sohn Ernst Ludwig. 1903 wurde ein neues Wahlgesetz (mit direkter Wahl und Wahlpflicht) angenommen, das jedoch erst 1908 in Kraft treten soll.

Literatur. Künzel (2. Aufl. 1893), Küchler, »Verfassungs- und Verwaltungsrecht« (4 Bde., 1894-96). Geschichte von Ewald (1872), Soldan (1896).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 797-798.
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