Hessen-Cassel

[798] Hessen-Cassel, Kurhessen, bis 1866 deutsches Kurfürstentum, zerfiel in vier Provinzen: Niederhessen mit Schaumburg, Oberhessen, Fulda mit Schmalkalden, Hanau, zusammen 9581 qkm mit (1864) 745.063 E. und Hauptstadt Cassel; bildet seitdem den Reg.-Bez. Cassel der preuß. Prov. Hessen-Nassau (s.d.).

Die ältere Linie des Hauses Hessen (Hessen-Cassel) stiftete Philipps des Großmütigen ältester Sohn Landgraf Wilhelm IV. der Weise (1567-92). Sein Sohn Moritz (gest. 1632) wendete sich der reform. Kirche zu und überließ 1627 die Regierung seinem Sohne Wilhelm V. (gest. in der Acht 1637). Dieser setzte 1628 das Erstgeburtsrecht für sein Haus fest, während seine Brüder Hermann und Ernst die Nebenlinien Hessen-Rotenburg und Hessen-Rheinfels stifteten. Wilhelm VI. (gest. 1663) erwarb im Westfäl. Frieden den größten Teil der Grafsch. Schaumburg und die Abtei Hersfeld. Wilhelm VII. starb 1760 minderjährig. Ihm folgte sein Bruder Karl (gest. 1730) während ein 3. Bruder, Philipp, Stifter der Nebenlinie Hessen-Philippsthal wurde. Karls ältester Sohn Friedrich vermählte sich mit der Schwester Karls XII. von Schweden, Ulrike Eleonore, wurde 1720 König von Schweden und ernannte seinen Bruder Wilhelm zum Statthalter in H., der ihm 1751 als Wilhelm VIII. in H. folgte. Dieser focht als brit. Bundesgenosse im Siebenjähr. Kriege und starb 1760. Sein Sohn Friedrich II. (gest. 1785) trat zum Katholizismus über und ließ 1776-84 im engl. Solde 12.000 Mann gegen Nordamerika kämpfen, wofür er über 21 Mill. Taler erhielt. Sein Sohn Wilhelm IX. (1785-1821) schloß sich 1795 an Preußen an, erhielt 1803 für den Verlust seiner Besitzungen jenseit des Rheins mehrere vormals Mainzer Ämter und Städte und nahm als Wilhelm I. die kurfürstl. Würde an. Nach dem Tilsiter Frieden 1807 wurde H.-C. dem Königr. Westfalen einverleibt; 21. Nov. 1813 in sein Land zurückgekehrt, erhielt der Kurfürst auf dem Wiener Kongreß den größten Teil des Fürstent. Fulda und mehrere Enklaven; anstatt der verheißenen Konstitution gab er 4. März 1817 ein Haus- und Staatsgesetz. Sein Sohn Wilhelm II. (1821-47) gab infolge der bes. wegen seines Verhältnisses zur Gräfin Reichenbach Sept. 1830 ausgebrochenen Bewegung Jan. 1831 ein neues Grundgesetz, verlegte seine Residenz nach Hanau und übertrug dem Kurprinzen Friedrich Wilhelm als Mitregenten die Regierung. 1831 trat H. dem Zollverein bei. Minister Hassenpflug trat in offenen Widerspruch mit den Landständen, der durch den Finanzstreit über die 1834 heimgefallenen Besitzungen der erloschenen Nebenlinie Hessen-Rheinfels-Rotenburg noch gesteigert wurde und auch unter Hassenpflugs Nachfolgern fortdauerte. 20. Nov. 1847 trat der Kurprinz-Mitregent als Kurfürst Friedrich Wilhelm I. die Regierung an, berief infolge der Märzereignisse des J. 1848 ein volkstümliches Ministerium, bewilligte alle liberalen Reformen und trat der preuß. Union bei, geriet aber, als er 1850 Hassenpflug wieder ins Ministerium berief und sich unter Einfluß Österreichs an der Wiederherstellung des Bundestags beteiligte, wieder in Konflikt mit den Landständen. Als auch die Gerichte und Verwaltungsbehörden den einseitigen Dekreten und dem verfassungswidrigen Gebaren der Regierung den Gehorsam versagten, verhängte das Ministerium den Kriegszustand über das Land; aber fast das gesamte Offizierkorps gab seine Entlassung. Da beschloß auf Anrufen Hassenpflugs der Engere Rat des Bundestags in Frankfurt 25. Okt. Bundeshilfe zu gewähren, als aber ein bayr.-österr. Armeekorps die kurhess. Grenze überschritt, rückten auch preuß. Truppen ein, und es erfolgte 8. Nov. ein Zusammenstoß bei Bronnzell. Das Nachgeben Preußens zu Olmütz ließ indes dem Kurfürsten [798] zu einer polit. und kirchlichen Reaktion freie Hand, die Bundesversammlung setzte März 1852 die Verfassung von 1831 und 1848/49 außer Wirksamkeit, und die Regierung veröffentlichte 13. April eine neue; doch war die Genehmigung derselben durch die Stände nicht zu erlangen und die Verfassungsstreitigkeiten dauerten fort, bis Preußen (Nov. 1859) sich für Herstellung der Verfassung von 1831 erklärte und ein Bundesbeschluß 24. Mai 1862 dieselbe verlangte. Diesem fügte sich der Kurfürst, doch hörten die Konflikte mit der Ständeversammlung nicht auf. 1866 trat der Kurfürst auf die Seite Österreichs, worauf 16. Juni der preuß. General von Beyer Cassel besetzte; der Kurfürst wurde in Kriegsgefangenschaft abgeführt, 17. Aug. H. dem preuß. Staate einverleibt. Am 1. Okt. 1867 trat die preuß. Verfassung in H. in Kraft.

Als der Kurfürst 6. Jan. 1875 starb, ward die ältere Hauptlinie des Hauses Hessen repräsentiert durch Landgraf Friedrich, nach dessen Tode (14. Okt. 1884) durch seinen Sohn Landgraf Friedrich Wilhelm, und als dieser 14. Okt. 1888 starb, durch seinen Bruder Alexander Friedrich Wilhelm Albrecht (geb. 25. Jan. 1863).

Vgl. Geschichte Kurhessens von Rommel (10 Bde., 1820-58), Wipperman (1850), Röth-Stamford (2 Bde., 1883-86), Gerland (1892), Bähr (1895).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 798-799.
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