Proportionale Widerstände fester Körper

[269] Proportionale Widerstände fester Körper. Bezüglich proportionaler Widerstände unterhalb der Elastizitätsgrenze s. Elastizitätsgesetz, Elastizitätsmodul, Zugelastizität, Druckelastizität, Schubelastizität, Torsionselastizität, Verschiebungsarbeit, Torsionsarbeit, Biegungsarbeit u.s.w. Im folgenden handelt es sich um beliebige Widerstände. – Auf Grund bekannter Beziehungen und experimenteller Ermittlungen kam Kick 1879 zu der Annahme, welche er später »Gesetz der proportionalen Widerstände« nannte: »Die Arbeitsgrößen A, A1 welche zur übereinstimmenden Formänderung zweier geometrisch ähnlicher und materiell gleicher Körper erfordert werden, verhalten sich wie die Volumen V, V1 oder Gewichte G, G1 dieser Körper«. [6], S. 1, [3], S. 257. Es soll also sein:

A : A1 = V : V1 = G : G1 = 1 : a3,

1.


unter 1 : α das Verhältnis der linearen Dimensionen beider Körper verbanden. Uebereinstimmende Formänderungen sind dabei solche genannt, welche zwei Körper geometrisch ähnlicher Anfangsformen zu ebensolchen Endformen führen. Verschiedenheit des Materials kann auch durch mechanische Behandlung, Härten, Gußhaut u.s.w. bedingt sein. Die Geschwindigkeiten der Formänderungen sind als gleich vorausgesetzt, doch sollen kleine Differenzen keinen merklichen Einfluß ausüben [6], S. 2, 74, 87. Die Temperatur ist konstant angenommen.

Als zweite Form des Gesetzes führt Kick an [6], S. 2: »Die Drücke oder Pressungen P, P1 die zur übereinstimmenden Formänderung zweier geometrisch ähnlicher und materiell gleich er Körper erfordert werden, verhalten sich wie die korrespondierenden Querschnitte F, F1 oder die Oberflächen O, O1 der gepreßten Körper«:

P : P1 = F : F1 = O : O1 = 1 : a2.

2.


[269] Als dritte Form wird von ihm gegeben [6], S. 4: »Körper bestimmten Materiales und bestimmter Form bedürfen zu einer bestimmten Formänderung oder Teilung einer Arbeitsgröße A, welche gleich ist dem Produkte aus dem Körpergewichte G und der für die Gewichtseinheit desselben Materiales bei geometrisch ähnlicher Grundform und übereinstimmender Formänderung oder Teilung benötigten Arbeitsgröße A1«:

A = G A1.

3.


Nach 2. würden z.B. für geometrisch ähnliche prismatische Probestäbe, welche durch gleichmäßig auf die Endquerschnitte verteilte Kräfte gezogen oder gedrückt werden (ohne Ausbiegung) übereinstimmende Deformationen entstehen, wenn die Bedingung erfüllt ist P : P1 = F : F1 = 1 : a2. Insbesondere sollten dann bei Zugproben die Bruchdehnung und Bruchkontraktion im Verhältnisse 1 : a stehen, die Prozentwerte dieser Dehnungen bezw. Kontraktionen also gleich sein (»Barbas Aehnlichkeitsgesetz«, [4], S. 690, [6], S. 12, 51, [22]) und wie bei Zugproben auch bei Druckproben die Bruchbelastungen proportional den Quadraten homologer Seiten sein, die Bruchspannungen gleiche Werte haben (»Vicats Aehnlichkeitsgesetz« [1], S. 210, [6], S. 13, 48).

Das Gesetz der proportionalen Widerstände, soweit es durch Versuche genügende Bestätigung findet (s. insbesondere [6], S. 43, [8], vgl. [2], [9]–[24]), ist von Bedeutung für die mechanische Technologie, indem sich danach aus Experimenten im kleinen ein Urteil über den ungefähren Kraft- oder Arbeitsbedarf im großen gewinnen läßt (vgl. Fließen fester Körper). Sodann folgt daraus, daß behufs zweckentsprechender Vergleichung von Versuchsresultaten betreffend die Wirkung äußerer Kräfte auf feste Körper die Probestücke von gleichen Dimensionen oder wenigstens geometrisch ähnlich sein müssen, was auch durch die Konferenzen für einheitliche Prüfungsmethoden (Bd. 3, S. 398) beschlossen wurde [7]. Auch für den Zusammenhang zwischen den elastischen Deformationen von Modell und Ausführung bei Baukonstruktionen liefert das Gesetz Anhaltspunkte, indem Steiner auf Grund der bekannten Ausdrücke für die Verschiebungsarbeit (s.d.) von Fachwerken und gebogenen Stäben (bei konstantem Elastizitätsmodul, konstanter Temperatur und ohne Arbeitsleistung der Reaktionen während der Verschiebungen) aussprechen konnte [5], [6], S. 37: »Die Deformationsarbeiten, welche notwendig sind, um geometrisch ähnliche elastische Stabsysteme oder beliebig gekrümmte Stäbe gleichen Materials innerhalb der Elastizitätsgrenze so zu deformieren, daß sie auch nach der Deformation geometrisch ähnlich bleiben, verhalten sich wie die Volumen oder Gewichte der Systeme Um auf die Deformationsverhältnisse eines Trägers T aus denjenigen eines Modells T1 zu schließen, dessen lineare Abmessungen 1/a derjenigen von T sind, hätte man also die Belastungen von T1 1/a2 so groß als für T zu wählen, im Falle a = 100 beispielsweise 1/10 kg für jede Tonne. Für die Deformationen durch die Eigengewichte gilt also der ausgesprochene Satz nicht, da letztere sich wie 1/a3 verhalten. Für elastische Deformationen unter den Voraussetzungen der erwähnten Ausdrücke für die Verschiebungsarbeit erscheint das »Gesetz der proportionalen Widerstände« durch die Steinersche Ableitung bewiesen, während sich ein allgemeiner Beweis nur unter nicht kontrollierbaren Bedingungen geben ließ [6], S. 33, so daß um so mehr weitere Versuche darüber erwünscht wären, inwieweit die fraglichen Sätze annähernd zutreffen. Auf Gußeisen beispielsweise sind sie nicht ohne Einschränkung anwendbar, wie neuerdings wieder Versuche von Reusch [19] ergaben, der daraus folgende Schlüsse für Gußeisenprüfung zog: »1. Die Probestäbe sind in ungeteilten Kalten ohne Gußnaht herzustellen.« 2. Die Probestäbe sind von unten zu gießen. 3. Bei Vorschrift einer bestimmten Biegungsfestigkeit ist der Querschnitt bezw. die Stärke des Stabes gleichfalls vorzuschreiben, wobei die Stärke des Probestabes möglichst der Stärke des Gußstückes, das untersucht werden soll, anzupassen ist. 4. Den Probestäben ist ein kreisrunder Querschnitt zu geben. Bei den 1904 vom Verein deutscher Eisengießereien aufgestellten Vorschriften für die Lieferung von Gußeisen [23] ist auf diese Ergebnisse tunlichst Rücksicht genommen.


Literatur: [1] Vicat, Recherches expérimentales sur les phénomènes physiques qui précèdent et accompagnent la rupture ou l'affaisement d'une certaine classe des solides, Annales des ponts et chaussées 1833, II, S. 201. – [2] Bauschinger, Experimentelle Untersuchungen über die Gesetze der Druckfestigkeit, Mitteilungen aus dem Mech.-techn. Laboratorium zu München, Heft 6, 1876. – [3] Kick und Pollack, Beiträge zur Kenntnis der Mechanik weicher Körper, Dingl. Polyt. Journ. 1879, Bd. 234, S. 257, 345 (s.a. Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1880, S. 51). – [4] Barba, Etude sur les allongements des métaux après rupture, Mémoires de la société des ingénieurs civils 1880, I, S. 682, 749. – [5] Steiner, Die Deformationsarbeit elastischer fester Körper, Flüssigkeiten und Gase, Dingl. Polyt. Journ. 1884, Bd. 251, S. 289. – [6] Kick, Das Gesetz der proportionalen Widerstände und seine Anwendungen, nebst Versuchen über das Verhalten verschiedener Materialien bei gleichen Formänderungen sowohl unter der Presse als dem Schlagwerk, Leipzig 1885. – [7] Beschlüsse der Konferenzen zu München 1884 und Dresden 1886 über einheitliche Prüfungsmethoden für Bau- und Konstruktionsmaterialien, München 1887; hierzu Bauschinger, Mitteilungen aus dem Mech.-techn. Laboratorium zu München, 22. Heft, 1894, S. 233, 308; 23. Heft, 1895, S. 96. – [8] Kick, Neuere Bestätigungen des Gesetzes der proportionalen Widerstände, Dingl. Polyt. Journ. 1889, Bd. 272, S. 500. – [9] Tetmajer, Einfluß der Form und der Größe der Querschnittsflächen auf den Ausfall der Zerreißproben, Mitteilungen der Anstalt zur Prüfung von Baumaterialien in Zürich, 4. Heft, 1890, S. 285. – [10] Martens, Ueber Materialproben durch Schlagversuche, Mitteilungen der Berliner Versuchsanstalten, 1891, S. 1, 53, 140. – [11] Bauschinger, Einfluß der Gestalt der Probestäbe auf die Ergebnisse der Zugversuche, Mitteilungen aus dem Mech.-techn. Laboratorium zu München, 21. Heft, 1892, S. 9. – [12] Kick, Die Prinzipien der mechanischen Technologie und der Festigkeitslehre,[270] Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1892, S. 278, 919. – [13] Brandt, Ueber den Einfluß der Stabform auf die Dehnung bei Zerreißproben, Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1893, S. 528. – [14] Martens, Vorversuche über die Festigkeitseigenschaften von Kupfer, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1894, S. 1545 (ausführlicher in Mitteilungen der Berliner Versuchsanstalten 1894, S. 37). – [15] Martens, Ueber den Einfluß der Körperform auf die Ergebnisse von Druckversuchen, Mitteilungen der Berliner Versuchsanstalten 1896, S. 133. – [16] Rejtö, Die innere Reibung der festen Körper als Beitrag zur theoretischen mechanischen Technologie, deutsch von Gaul, Leipzig 1897, S. 1, 18, 69 u.s.w. (s.a. Rejtö, Rationelle Durchführung der Materialprüfung auf Grund des Gesetzes der Kraftvermittlung und der inneren Reibung, Baumaterialienkunde 1900, 1901). – [17] Martens, Handbuch der Baumaterialienkunde für den Maschinenbau, Berlin 1898, S. 95, 101, 109, 134, 147, 159, 171, 195, 259, 262, 263 u.s.w. – [18] Meyer, O., Ueber den Einfluß der Form und Dimensionen der Probestäbe auf die Ergebnisse der Zugversuche, Mitteilungen d. Technol. Gewerbemuseums in Wien 1902, S. 21. – [19] Reusch, Einfluß der Form und Herstellungsweise von gußeisernen Probestäben auf deren Festigkeit, »Stahl und Eisen« 1903, S. 1185 (s.a. 1904, S. 1256, 1258, und 1905, S. 422). – [20] Ludwik, Technologische Studie über Blechbiegung, ein Beitrag zur Mechanik der Formänderungen, Techn. Blätter 1903, S. 133. – [21] Ders., Zugversuche mit Flußeisen, ebend. 1904, S. 1. – [22] v. Tetmajer, Die angewandte Elastizitäts- und Festigkeitslehre, Leipzig 1904, S. 187. – [23] Vorschriften für die Lieferung von Gußeisen »Stahl und Eisen« 1900, S. 1255 (s.a. 1905, S. 404, 415). – [24] Meyer, O., Versuche, betreffend die Klarlegung des Einflusses, welchen die Querschnittsform der Probestäbe auf die Ergebnisse von Zugversuchen ausübt, Baumaterialienkunde 1905, S. 327, 337.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 269-271.
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