Babylonische Gefangenschaft

[225] Babylonische Gefangenschaft (Babylonisches Exil), der Aufenthalt der Juden im babylonischen Reich nach ihrer Besiegung durch Nebukadnezar. Nachdem bereits 722 v. Chr. die Einwohner des Reiches Israel nach Assyrien weggeführt worden waren, erfuhr Juda dasselbe Schicksal durch Nebukadnezar von Babylonien. Nach der Besiegung Jojakims 597 und dann nach der Zerstörung Jerusalems 586 führte er die hervorragenden Personen nach Babylon und ließ nur eine geringe Menge niedern Volkes zur Bestellung des Landes zurück. Die Dauer dieser babylonischen Gefangenschaft wird in runder Zahl auf 70 Jahre angegeben. Obgleich die Verbannten nicht eigentlich gefangen gehalten wurden, sondern als Ansiedler Beschäftigung fanden und manche von ihnen nicht nur zu Wohlstand, sondern auch zu Ehrenstellen gelangten, so wurden doch der Fall Israels, die Zerstörung des Tempels, die Unmöglichkeit des altherkömmlichen Gottesdienstes, die Bedrückung einzelner, der Hohn der Gegner desto mehr als schweres Volksleiden und göttliches Strafgericht empfunden, je lebendiger die Erinnerung an frühere Herrlichkeit und Hoffnung war. Viele Psalmen, die Klagelieder Jeremias', einzelne Stellen Hesekiels geben ergreifend die Volksstimmung wieder. Auf der andern Seite wurde aber die b. G. eine Zeit der Läuterung, aus der das israelitische Volk national und religiös wie neugeboren hervorging. Der Gegensatz zu dem siegreichen, aber entarteten Heidentum stärkte das Nationalgefühl und den Glauben. Die religiöse Hoffnung auf Errettung gewann neuen Schwung, als die babylonischen Herrscher entarteten und der Perser Kyros seinen Siegeslauf begann. Die Propheten verkündigten einen nahen Untergang Babels und bezeichneten Koresch (Kyros) offen als Gesalbten Gottes. Wirklich gestattete Kyros 536 die Rückkehr in die Heimat und den Wiederaufbau des Tempels. Durch seinen Schatzmeister Mithradates ließ er den Juden alle erbeuteten Tempelgefäße wieder ausliefern, 5400 Gefäße von Gold und Silber. Unter der Führung Serubabels, eines Fürsten aus Davidschem Geschlecht, und des Hohenpriesters Josua brachen 42,360 freie Juden mit 7337 Knechten auf; sie führten 736 Rosse, 245 Maultiere, 435 Kamele und 6720 Esel mit sich (vgl. Esra 2, 64 ff.). Anfangs konnten sie nur einen kleinen Teil des Landes Juda in Besitz nehmen, bis neue Zuzüge ihre Kraft vermehrt hatten. Mit Begeisterung wurden der Tempelbau und die Reorganisation des Gemeindelebens begonnen, und trotz mancher Störungen und Ränke konnte 516 der neue Tempel eingeweiht werden. Von Bedeutung wurde eine zweite Einwanderung unter dem Schriftgelehrten Esra (458), deren Folge eine strenge Reinigung des Volkes nach levitischen Grundsätzen und die Durchführung des Ritualgesetzes im gesamten Leben des Volkes war. Nehemia gelang es dann später, die Wiederherstellung der Mauern Jerusalems und des politischen Daseins des neubegründeten Volkes zu Ende zu führen. – B. G. (der Kirche) nennt man auch den gezwungenen Aufenthalt der Päpste in Avignon statt in Rom 1309–77 (vgl. Avignon).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 225.
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