Begräbnisplatz

[562] Begräbnisplatz (Totenacker, Friedhof, Gottesacker, Kirchhof, Camposanto), der Ort, wo die Verstorbenen beerdigt werden. In den ältesten Zeiten bestattete jeder seine Toten an dem Ort, wo er sich eben befand, in Felsenhöhlen, an Straßen etc. Später, als man feste Wohnplätze gewann, entstanden Familienbegräbnisplätze. Öffentliche Begräbnisplätze finden sich zwar schon bei Naturvölkern (s. Totenbestattung) und sind aus vorgeschichtlicher Zeit (s. Gräber, vorgeschichtliche) bekannt; allgemeiner wurden sie aber erst, als die Menschen sich in Städten und Dörfern vereinigten und polizeiliche Rücksichten entsprechende Anordnungen im großen erheischten. Daher hatten Ägypter und andre alte Völker in Felsen gehauene Totenstädte (Nekropolen), die Hebräer benutzten Höhlen, schattige Grotten, Gärten und Bergabhänge zu Begräbnisplätzen, verschlossen die Gräber mit großen Steinen und pflegten sie zu übertünchen, um die Vorübergehenden vor verunreinigender Berührung zu warnen. In Sparta wurden die Toten innerhalb der Stadt begraben; in Athen hatte man Privatgräber, doch gab es auch einen öffentlichen B. in der Nähe der Stadt. Die Römer hatten ihre Begräbnisse auf ihren Landgütern, besonders neben den Straßen; ein gemeinsamer öffentlicher B. war in Rom nur für die Armen und Sklaven vorhanden, in den Kolumbarien (s. d.) wurde die Asche von Beamten und weniger reichen Personen beigesetzt. Die Christen bestatteten während der Verfolgungen ihre Toten in freiem Felde, dann wurden die Begräbnisplätze vielfach in die Katakomben verlegt und blieben auch später aus religiösen Erwägungen in der Nähe der Kirchen. Diese Kirchhöfe bildeten bis in die neuere Zeit die gemeinschaftlichen Begräbnisplätze; Vornehme erhielten ihre Gräber sogar in den Kirchen. Vergebens verlangten mehrere Kirchenversammlungen Verbote gegen diese Unsitte; erst in späterer Zeit sing man an, in größern Städten die Begräbnisplätze außerhalb der Mauern zu verlegen und auch in kleinern Orten und Dörfern diese Maßregel durchzuführen. Die katholische Kirche läßt bei Anlegung eines neuen Begräbnisplatzes die Erde von dem Bischof weihen, und wo sie die Macht hat, verschließt sie den B. allen Nichtkatholiken. Auch die protestantische Kirche versagte bis vor kurzem Selbstmördern und Andersgläubigen die Aufnahme, weshalb größere Städte konfessionslose Gemeindefriedhöfe eingerichtet haben. Die Totenäcker der griechischen Kirche, besonders in Rußland, liegen soviel wie möglich auf Anhöhen und werden durch hohe Fichten eingefriedigt. Die heutigen Juden suchen, wo es angeht, ihre Begräbnisplätze in der Nähe der Synagogen anzulegen. Bei den Mohammedanern befinden sich die Begräbnisplätze immer an den Straßen, damit die Vorübergehenden für die Toten beten können; es sind übrigens große Gärten, mit Gebüsch, Zypressen und Pappeln bepflanzt und mit Kiosken und Gängen versehen, so daß sie vielfach zu Vergnügungsorten dienen. Die Chinesen, die den meisten Wert darauf legen, in heimatlicher Erde zu ruhen, legen ihre Begräbnisplätze auf Anhöhen an und umgeben sie mit Fichten, Zypressen oder Mauern, während die Gräber selbst kleinen Häusern gleichen; nur bei den Ärmern bestehen sie aus Erdpyramiden. Unter den ältern christlichen Kirchhöfen verdient das mit herrlichen Kunstwerken geschmückte Camposanto in Pisa, dessen Erde auf Schiffen aus Palästina herbeigeschafft wurde, besondere Erwähnung; vielbesucht ist ferner der Judenfriedhof in Prag, der Johannisfriedhof zu Nürnberg und der Père Lachaise in Paris, ein herrlicher Park mit kostbaren Monumenten berühmter Personen. In der Schweiz und andern Ländern mit beschränktem Platz trifft man Beinhäuser (s. Beinhaus) für die ausgegrabenen Gebeine. Vgl. Gräberfriede.

Hygienisches. Die Bestattung der Leichen im Erdgrab bezweckt die Zersetzung der organischen Körperbestandteile ohne Belästigung oder Benachteiligung der Lebenden. Die Vorgänge im Erdgrab weichen erheblich ab von dem Verlauf der Fäulnis einer an der Luft liegenden Leiche. Eine Woche Aufenthalt der Leiche an der Luft entspricht etwa 2 Wochen Aufenthalt im Wasser und 8 Wochen Lagerung im Erdgrab. Die Zersetzung wird verlangsamt durch die gleichmäßigere und niedere Temperatur, auch durch die Abschließung im Sarg, weil diese die Aufspeicherung von Fäulnisprodukten begünstigt, die auf die die Zersetzung herbeiführenden Bakterien giftig wirken. Beteiligt an der Zersetzung sind auch Schimmelpilze und Insekten (vgl. Gräberfauna). Hat die Luft durch die Poren des Bodens Zutritt zur Leiche, so findet Verwesung statt, deren letzte Produkte Kohlensäure, Ammoniak und Wasser sind. Die Durchlässigkeit des Bodens ist also von großem Belang für die vollständige Zersetzung der organischen Substanz, und es eignet sich für die Anlage von Begräbnisplätzen am besten grobkörniger Kies, dann in absteigender Reihenfolge seiner Kies, Sand, sandiger Lehmboden, schwerer Tonboden und stark humushaltige Erde. Am schnellsten erfolgt die Zersetzung in kalkreichem, durchlässigem Boden. In Kies- und Sandboden ist die Zersetzung der Leichen Erwachsener in 7, der Kinderleichen in 4, in Lehmboden die der erstern in 9 (bis 15), die der letztern in 5 Jahren zu erwarten. Die Zersetzung verläuft um so schneller, je weniger tief die Gräber angelegt werden, anderseits ist eine gewisse Bodenschicht erforderlich, um das Austreten übelriechender Gase (Leichengase) zu verhindern. Hierzu genügen 1,58 m, und dementsprechend bewegen sich die gesetzlichen Normen zwischen 1,5 und 2 m; bei Kinderleichen begnügt man sich oft mit 0,95 m. Bei normaler Tiefe der Einzelgräber ist ein Austreten von Leichengasen nicht anzunehmen, und entgegengesetzte Wahrnehmungen beruhen auf mangelhafter Beobachtung. In den Leichen enthaltene pathogene Bakterien sterben meist sehr bald ab (vgl. Bakterien, S. 288), nur Tetanus- und Milzbrandbazillen leben ein Jahr. Es ist völlig ausgeschlossen, daß die Bakterien durch die bedeckende Erdschicht an die Oberfläche des Bodens gelangen.

Bei der Wahl eines Begräbnisplatzes ist auf freie, wenn möglich hohe Lage zu achten. Man fordert jetzt eine Entfernung von mindestens 1000 Schritt von bewohnten Orten, doch stellt das voraussichtliche Wachstum des Ortes in der Regel größere Anforderungen als die Hygiene. Die Errichtung einzelner Gebäude in größerer Nähe der Kirchhöfe erscheint unbedenklich. Ist man auf geneigte Lage angewiesen, so[562] sollte die Neigung von dem bewohnten Ort abgewendet sein; nördliche und namentlich östliche Lage verdienen wegen der Durchfeuchtung des Bodens durch Regenwasser den Vorzug. Stets sollte eine entsprechend dicke Bodenschicht die Grabessohle vom höchsten Stande des Grundwassers trennen. Wo dies nicht der Fall ist, muß man sich durch Aufschüttungen oder durch Drainage helfen. Letztere führt bei einer Tiefe von etwa 3 meine wirksame Reinigung des Untergrundes herbei, da sie stets mit einer Ventilation desselben verbunden ist. Drainwasser aus der Grabessohle ist im höchsten Grad verunreinigt und erfordert eine Weiterleitung oder eine Behandlung ähnlich derjenigen der Kloakenwässer. Bei der Wahl eines Begräbnisplatzes sollte auch die Mächtigkeit des Grundwasserstroms und die Richtung seines Laufes festgestellt werden. Die Gefahr, daß Brunnen, Quellen, Rinnsale durch die Nähe von Begräbnisplätzen verunreinigt werden können, ist zwar nicht zu leugnen, indes hat sich in konkreten Fällen diese Gefahr noch immer als sehr gering herausgestellt. Nur für solche Brunnen ist erhebliche Gefahr vorhanden, die durch Grundwasser gespeist werden, das die Grabessohle vorschriftswidrig überflutet hat. Liegt dagegen ein Brunnenspiegel außerhalb einer derartigen Kommunikation (in gehöriger Tiefe oder geschützt durch eine Tonschicht), so fällt ein großer Teil der durch die Kirchhofsnachbarschaft erregten Bedenken fort. Noch entschiedener lassen sich letztere beseitigen, wenn man einen Tiefbrunnen anlegt und diesen mittels völlig undurchlässiger Wandungen vor dem seitlichen Eindringen des Grundwassers schützt.

Die Größe des Einzelgrabes berechnet man auf 2 m Länge und 1 m Breite; den Zwischenraum zwischen zwei Gräbern auf 60 cm. Massengräber sind hygienisch unstatthaft, da der Boden mit großen Mengen faulenden Materials allzu leicht übersättigt wird und die Zersetzungsprodukte alsdann in die Luft gelangen können. Die Zeitlänge, nach deren Ablauf ein Grab wieder benutzt werden darf (Begräbnisturnus), beträgt bei uns meist 20–30 Jahre, in Preußen 40, in England für die Leichen Erwachsener 14, für Kinderleichen 8 Jahre. Stets darf der Boden erst nach vollständiger Verwesung aller organischen Stoffe wieder ausgegraben werden. Die Vegetation auf Friedhöfen soll die Sonnenbestrahlung nicht allzusehr beschränken. Bäume mit großer, dichter Krone sind auf breite Hauptwege zu beschränken, während Pinus-, Thuja- und Juniperus-Arten, Buchsbaum, Ilex aquifolium etc. sich für die Gräber eignen. Zur Bepflanzung der Hügel ist Efeu am passendsten, und zur Einfriedigung sind statt der Mauern lebendige Hecken zu empfehlen (s. Gräberschmuck). Vgl. Wernher, Die Bestattung der Toten in Bezug auf Hygiene (Gießen 1880); Wernich, Leichenwesen (in Weyls »Handbuch der Hygiene«, Jena 1893).

Rechtliches. Beim Leichnam eines Unbekannten oder bei Verdacht eines unnatürlichen Todes des Verstorbenen darf die Beerdigung nur auf Grund einer schriftlichen Genehmigung der Staatsanwaltschaft oder des Amtsrichters erfolgen. Außerhalb der Friedhöfe ist sie nur mit obrigkeitlicher Erlaubnis zulässig. Die frühern Bestimmungen über das sogen. unehrliche Begräbnis, d. h. Begräbnis außerhalb des Friedhofs, Liegenlassen der Leiche (sepultura asinina) oder Auf-den-Bock-spannen der Leiche, sind aufgehoben. Der Verstorbene, bez. derjenige, dem die Begräbnispflicht obliegt, kann jedoch ein unfeierliches Begräbnis (Unterlassung aller kirchlichen Funktionen) oder Leichenverbrennung anordnen. Die Beerdigungskosten hat im Falle der Tötung (Bürgerliches Gesetzbuch, § 823, 833, 834, 836 ff.) der Ersatzpflichtige demjenigen zu ersetzen, dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen (§ 844). Die Beerdigung des Unterhaltsberechtigten hat der Unterhaltsverpflichtete und die des unehelichen Kindes dessen Vater zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von dem Erben zu erlangen ist (§ 1615, 1713). Endlich trägt der Erbe die Kosten der standesmäßigen Beerdigung des Erblassers (§ 1968). Beerdigungsplätze dürfen nur noch außerhalb der Städte und nur mit obrigkeitlicher Erlaubnis angelegt werden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 562-563.
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