Ehre

[410] Ehre, im subjektiven Sinn (honor, dignitas) die sittliche Würde einer Person; im objektiven Sinn (existimatio) die dieser Würde entsprechende äußere Achtung, die eine Person von andern beanspruchen kann. Dabei ist zwischen der allgemein menschlichen und der bürgerlichen E. zu unterscheiden. Erstere ist diejenige Würde und Achtung, die dem Menschen als solchem zukommt und nach den Grundsätzen der Moral von ihm einerseits beobachtet werden muß und anderseits beansprucht werden kann. In diesem Sinne pflegen schon die mittelalterlichen Rechtsbücher namentlich von der weiblichen E. zu sprechen. Die bürgerliche E. dagegen ist die Anerkennung und Achtung, die der Persönlichkeit als Rechtssubjekt gebührt, die wir sowohl als rechtsfähige Wesen überhaupt (sogen. gemeine E.), als auch kraft unsrer besondern, Rechte und Pflichten bestimmenden Stellung im Kreise der Rechtsgenossen (sogen. besondere oder Standes- und Berufsehre) in Anspruch nehmen können. Diese bürgerliche E. ist der unmittelbare Ausfluß der Rechtsfähigkeit, und darum muß ein totaler oder teilweiser Verlust der letztern auch den Verlust oder die Minderung der bürgerlichen E. nach sich ziehen; mit andern Worten: die Schmälerung und der Verlust der bürgerlichen E. sind gleichbedeutend mit Minderung und Entziehung der Rechtsfähigkeit selbst. Eine völlige Ehrlosigkeit im wahren Sinne des Wortes aber, einen bürgerlichen Tod (s. d.), kennt unser heutiges deutsches Recht nicht mehr. Ebenso hatte nach dem deutschen Rechte des Mittelalters die Erklärung einer Person in die Oberacht oder Reichsoberacht die Friedlosigkeit oder Ehrlosigkeit, d.h. die völlige Rechtlosigkeit und Ehrlosigkeit des Geächteten, zur Folge (s. Acht). Auch das ältere deutsche Recht kannte eine teilweise Entziehung der bürgerlichen E. in der sogen. Rechtlosigkeit, welche die Folge gewisser Verbrechen, wie Raub und Diebstahl, auch gewisser Gewerbe, wie des Gewerbes der Gaukler, Spielleute und des Henkers, war. Auch die sogen. Ehrlosigkeit des ältern deutschen Rechtes gehört hierher, die in dem Verlust der besondern Standesrechte und Standesehre, namentlich des Adels, bestand und vom Richter bei manchen Verbrechen, z. B. bei Verräterei, sowie regelmäßig als Folge der Rechtlosigkeit ausgesprochen wurde. Auch war die Ehrlosigkeit eine stillschweigende Folge aller durch Henkershand vollzogenen Strafen. Endlich ist hier auch die sogen. Anrüchigkeit (s. d.) des ältern deutschen Rechtes zu erwähnen, die eine Folge der unehelichen Geburt und des Gewerbes des Abdeckers war. Das moderne deutsche Recht kennt eine Minderung der Rechtsfähigkeit und Schmälerung der bürgerlichen C. in privatrechtlicher Beziehung nicht mehr; nur auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ist eine gänzliche oder teilweise Entziehung der bürgerlichen E. statthaft (s. Ehrenrechte). Nicht die innere sittliche Würde, wohl aber der Anspruch auf Achtung ist der Verletzung zugänglich und eben darum des rechtlichen Schutzes bedürftig: der vorsätzliche und rechtswidrige Ausdruck der Nichtachtung erscheint als strafbare Beleidigung (s. d.). Einige Duelle der letzten Zeit und vor allem das Empfinden, daß der Schutz der E. durch das Strafgesetzbuch nicht den Anforderungen der Jetztzeit und den gegenwärtigen Verhältnissen entspricht, haben eine starke Bewegung zu gunsten der Verschärfung der Strafen wegen Ehrenbeleidigung hervorgerufen, die zur Gründung einer Antiduell-Liga in Deut schland und Österreich führte, an deren Spitze hervorragende Gelehrte beider Länder stehen. S. auch die Art. »Bescholtenheit« und »Zweikampf«. Vgl. Binding, Die C. und ihre Verletzbarkeit (Leipz. 1892); v. Boguslawsky, Die E. und das Duell (2. Aufl., Berl. 1897); Klein und Lammasch, Die Verbesserung des Ehrenschutzes. Berichte, erstattet der konstituierenden Generalversammlnug der allgemeinen Antiduell-Liga für Österreich (Wien 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 410.
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