Eklampsīe

[584] Eklampsīe (griech.), eine Krankheit des Nervensystems, äußert sich durch Krampfanfälle, die mit Bewußtlosigkeit verbunden sind. Die E. der Kinder (Eclampsia infantum) ist eine meist auf einer erblichen Disposition des Nervensystems beruhende häufige Erscheinung, stellt indessen kein in sich geschlossenes Krankheitsbild dar, sondern ist meist die Folge anderweitiger krankhafter Zustände. Die beiden ersten Lebensjahre neigen besonders zur E. Am häufigsten wird sie im Säuglingsalter beobachtet, namentlich während des Zahndurchbruches. Krankheiten des Gehirns, der Ausbruch von Scharlach, Masern etc., Störungen der Verdauung, besonders Stuhlverstopfung, Eingeweidewürmer, anämische Zustände, psychische Erregungen etc. können E. hervorrufen. Zuweilen gehen dem Ausbruch der Krankheit Vorboten, Unruhe, mürrisches Wesen, Träume, nächtliches Aufschreien und Zähneknirschen, voraus, oft aber bricht der eklamptische Anfall ganz plötzlich aus. Je nach dem Alter des Kindes ist die Bewußtlosigkeit mehr oder weniger erkennbar; der Blick ist stier, die Augen werden umhergerollt, das Gesicht ist verzerrt, die Mundwinkel zucken, die Zähne knirschen, und der Körper ist vollkommen unempfindlich. Gleichzeitig treten krampfhafte Zuckungen oder starrkrampfähnliche Zustände im ganzen Körper auf. Infolge derselben werden die Atmung und der Kreislauf des Blutes beeinträchtigt, es entsteht eine bläuliche Färbung des Gesichts, der Finger und Zehen, Schaum tritt vor den Mund; Hände und Füße sind kalt, der Puls ist schnell und klein. Zuweilen gehen Kot und Urin unwillkürlich ab. Diese Ersch einungen sind jedoch nicht immer sämtlich und gleichzeitig vorhanden; manchmal heschränken sie sich auf krampfhafte Bewegungen der Augen, des Gesichts oder der Finger und Zehen. Die Dauer der Anfälle beträgt einige Augenblicke bis zu fünf Minuten und noch länger. Die Krankheit verläuft zuweilen mit einem oder wenigen Anfällen oder mit tage- und wochenlang sich erstreckenden Reihen von solchen. Sie gehört zu den gefährlichern Krankheiten des zarten Kindesalters, zuweilen führt schon der erste heftige Anfall zum Tode, meist durch Erstickung infolge krampfhaften Verschlusses der Stimmritze. Ost aber, namentlich bei Gehirnkrankheiten, wird die die Anfälle hervorrufende ursprüngliche Krankheit die Ursache tödlichen Ausganges. Der häufigste Ausgang ist aber vollkommene Genesung, namentlich in den Fällen, wo nicht ein wichtiges Organ, besonders das Gehirn, tiefer erkrankt ist. Bisweilen bleiben Lähmungen der Körpermuskulatur, Schielen und Schwächezustände des Geistes zurück. Die Behandlung der Anfälle kann leider wenig eingreifen. Bricht ein eklamptischer Anfall aus, so muß vor allem jede festere Bekleidung entfernt werden, besonders am Halse; man legt das Kind so, daß es sich keinen Schaden zufügen kann, gibt ein möglichst rasch wirkendes Klistier oder macht noch besser eine gründliche Darmausspülung. Innerlich reicht man Abführmittel und, wenn nötig, beruhigende Mittel. In andern Fällen sind warme Bäder von vorzüglicher Wirkung. Im übrigen richtet sich die Behandlung nach der veranlassenden Krankheit.

Die E. der Schwangern und Gebärenden, weit seltener als die vorher beschriebene Krankheit, befällt vorzugsweise Frauen, die zum erstenmal schwanger sind, und zwar selten vor dem sechsten Monat, meist erst während des Gebäraktes, nur zuweilen auch während des Wochenbettes. Die Ursache der E. ist nicht genau bekannt. Selten gehen Vorboten voraus (heftiger Kopfschmerz, Flimmern vor den Augen, einzelne Zuckungen), meist tritt der Anfall plötzlich auf, und das Bewußtsein verliert sich oft so lange, daß Gebärende hinterher von dem ganzen Geburtshergang nichts wissen, der sich während eines Anfalles vollzogen hat. Beim Anfall sind Zuckungen und[584] krampfhafte Zusammenziehungen der Muskeln vorhanden; Rücken und Kopf sind nach hinten gebogen, die Daumen eingeschlagen. Infolge der Atembehinderung stellt sich Blausucht ein, Schaum tritt vor den Mund, die Zähne sind aneinander gebissen, die Zunge wird hierbei oft eingeklemmt und stark gequetscht. Der Puls ist schnell und hart, die Kranke trieft von Schweiß, Kot und Urin werden nicht selten unwillkürlich entleert. Die Körpertemperatur steigt sehr hoch. Zusammenziehungen der Gebärmutter fehlen selten dabei, oft wird das Kind sehr schnell, zuweilen tot geboren; manchmal aber tritt ein krampfartiger Zustand der Gebärmutter auf, ohne daß dadurch die Geburt in ihrem Verlauf befördert wird. Die Anfälle währen verschiedene Zeit, von einigen Minuten bis zu einer Viertelstunde, und gehen in der Regel in einen schlafsüchtigen Zustand von kürzerer oder längerer Dauer über. Meist wiederholen sich die Anfälle unter zunehmendem Kräfteverfall, selten bleibt es bei Einem Anfall. Die E. gehört zu den gefährlichsten Krankheiten schwangerer und gebärender Frauen, da etwa ein Drittel aller Befallenen der E. erliegen. Ost besteht bei der E. Albuminurie, es ist aber fraglich, ob die Nierenaffektion die Ursache der E., oder ob sie nur eine Komplikation darstellt. Die Behandlung ist eine rein symptomatische. Abführmittel, Schweiß- und Urinabsonderung anregende Mittel müssen zur Anwendung kommen; vor allem aber ist danach zu streben, weitere Anfälle zu verhüten und abzukürzen, am besten durch Chloroformeinatmungen. Als Regel gilt, den Geburtsvorgang so schnell wie möglich, unter Umständen durch Wendung und Extraktion des Kindes oder durch Anlegung der Zange zu beendigen, weil andernfalls auch das Leben des Kindes bedroht ist, und weil die eklamptischen Anfälle in der Regel aufhören, sobald die Geburt erfolgt ist. Als Nachkrankheiten können Lähmungen, Blindheit, Aphasie und vorübergehende Geistesstörungen auftreten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 584-585.
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