[643] Elektrischer Strom, der Vorgang der Vereinigung entgegengesetzter Elektrizitäten. Verbindet man z. B. die Belegungen ab eines Kondensators (Fig. 1, S. 644) oder irgend zwei entgegengesetzt geladene Konduktoren durch einen Draht c, so verschwinden die Ladungen. Man macht sich davon die Vorstellung, daß die positive zur negativen Elektrizität fließe und umgekehrt,[643] daß also ein elektrischer Strom entstehe in der Art, daß durch jeden Querschnitt des Schließungskreises in gleichen Zeiten gleichgroße Mengen entgegengesetzter Elektrizitäten in entgegengesetzter Richtung hindurchgehen. Die Stromstärke oder Intensität des Stromes wird definiert als die Menge positiver Elektrizität, die ml Sekunde durch einen beliebigen Querschnitt des Schließungskreises geht; sie ist an allen Stellen des Schließungskreises die nämliche.
Sind a und b, wie angenommen, Kondensatorplatten, so sinkt allmählich während der Dauer der Entladung die Spannung auf Null, der Strom wird immer schwächer und hört schließlich ganz auf. Anders, wenn a und b die Platten eines galvanischen Elements bedeuten, denen durch die elektromotorische Kraft beständig neue Elektrizität zugeführt wird, so daß die Spannungsdifferenz konstant bleibt. In diesem Fall ist auch die Stromstärke konstant. Sie ist gleich 1 (man nennt diese Einheit 1 Ampere), wenn die sekundlich durchfließende Elektrizitätsmenge 1 Coulomb (= 3000 Mill. elektrostatische Einheiten) beträgt (s. Elektrizitätsmenge). Die Messung gegebener Ströme sowie auch die genaue Definition des Ampere gründet sich auf die magnetischen Wirkungen des Stromes.
Jeder elektrische Strom erzeugt in seiner Umgebung ein eigentümliches Magnetfeld. Ein senkrecht zur Ebene der Zeichnung (Fig. 2) aufsteigender geradliniger Stromleiter stellt nach der Ampèreschen Regel eine kleine drehbare, dem Einfluß des Erdmagnetismus nicht unterworfene Magnetnadel senkrecht zu der durch den Stromleiter und die Mitte der Nadel gelegten Ebene, so daß der Nordpol der Nadel nach der Linken des mit dem Strom schwimmend gedachten Beschauers weist. Eine große Anzahl sehr kleiner Magnetnadeln, die gleichweit vom Stromleiter entfernt sind, müssen sich daher um den Stromleiter längs einer Kreislinie ordnen, die eine Kraftlinie des durch den Strom geschaffenen Magnetfeldes ist.
Die den Strom ringförmig umschließenden Kraftlinien werden sichtbar, wenn man auf ein Kartenblatt, durch das der Draht senkrecht durchgesteckt ist, Eisenfeilspäne siebt; die Eisenspänchen werden unter dem Einfluß des Stromes kleine Elektromagnete und bilden rings um den Drahtkreisförmige Ringe (Fig. 3). Schon Arago hatte beobachtet, daß um einen in Eisenfeile getauchten Leitungsdraht die magnetisch gewordenen Eisenteilchen sich zu Ringen zusammenschließen. Wirkt ein geradliniger Strom auf einen einzigen Pol, so muß dieser den Stromleiter beständig umkreisen, und zwar für den mit dem Strom schwimmend gedachten, nach dem Pole hinblickenden Beobachter rechtsherum oder linksherum, je nachdem der Magnetpol ein Süd- oder ein Nordpol ist. Dies läßt sich verwirklichen durch den kleinen Apparat Fig. 4. Ein lotrechter Magnet n s und ein als Gegengewicht dienendes unmagnetisches Stäbchen n1 s1, sind durch Querstäbchen an einem Messingstück d befestigt, das, oben mittels eines Fadens leicht drehbar aufgehängt, unten mit einer Platinspitze in ein mit Quecksilber gefülltes Näpfchen b taucht. Das Näpfchen wird getragen von einem Metallstäbchen a b, das den Strom von c her zuführt; ein horizontaler Draht e mit abwärts gebogener Platinspitze, der an dem messingenen Mittelstück befestigt ist, führt den Strom weiter in eine kreisförmige, mit Quecksilber gefüllte Holzrinne f, von wo er durch den Draht h zum andern Pol g der Stromquelle zurückkeht. Der in dem Metalltsäulchen fließende Strom, der fast nur auf den untern nähern Magnetpol wirkt, versetzt den Magneten in dauernde Rotation, deren Richtung sich mit derjenigen des Stromes umkehrt. Als Niveauflächen gehören zu den kreisförmigen Kraftlinien die durch den geradlinigen Stromleiter gelegten Ebenen. (Ein analoger Fall für die Energie der Lage wäre der, daß ein Mensch eine Wendeltreppe hinauf- oder hinabsteigt. Er bewegt sich dabei stets im Kreise um die Achse der Treppe, und die geraden Kanten der Trepenstufen, die von der Achse ausstrahlen, sind Höhen- oder Niveaulinien.)
Ersetzt man den Faden bei dem Apparat durch einen elastischen Draht oder eine Spiralfeder, so wird sich diese so lange verdrillen, bis die elastische Kraft der magnetischen Wirkung des Stromes gleich geworden ist. Man kunn diese somit durch die Größe der Verdrillung messen. Beträgt die Polstärke m Weber (= m.108 gewöhnliche magnetische Einheiten), die Stromstärke i Ampere und der Abstand des Poles vom Stromleiter r Meter, so ist die Kraft K gleich dem Gewicht von 2/g.(m.i)/r kg, worin z. B. für Karlsruhe g = 9,81 zu setzen ist. Hiernach ist i = (g. K.r)/(2m) Ampere. Nach dieser Formel kann die Stärke eines beliebigen Stromes durch Messung der Kraft K und des Abstandes r ermittelt werden. Wäre m = 1 Weber, r = 1 Meter, so wäre i = 1 Ampere, wenn K = 2/g wäre. Man könnte somit definieren: »Ein Strom hat die Stärke 1 Ampere, wenn er durch einen (sehr langen) geradlinigen Stromleiter fließend auf einen beweglichen Magnetpol von der Stärke 1 Weber im Abstand 1 m eine Kraft ausübt gleich dem Gewicht von 2/g kg«.
Obschon nun die Vorrichtung (Fig. 4) gemäß dieser Definition im Prinzip brauchbar wäre, die Intensität eines gegebenen Stromes zu messen, so verwendet man doch zweckmäßiger andre Instrumente. An Stelle des geradlinigen Stromleiters tritt besser ein kreisförmig gebogener, an Stelle der Torsionskraft des Aufhängedrahtes die richtende Wirkung des Erdmagnetismus auf eine Magnetnadel (s. Elektrodynamische Kraft). Hierdurch verwandelt sich der Apparat in die sogen. Tangentenbussole (s. d.). Ersetzt man den weiten Ring durch eine die Magnetnadel[644] eng umschließende Drahtrolle, so erhält man den Multiplikator. Wird die richtige erdmagnetische Kraft vermindert, indem man die Magnetnadel durch ein asiatisches System ersetzt, so entsteht der astatische Multiplikator. Diese und alle weitern verwandten Modifikationen des Instruments heißen Galvanoskope (s. d.), soweit sie nur zur Schätzung der Stromstärke dienen sollen, oder Galvanometer (s. d.) oder Amperemeter (s. Elektrotechnische Meßinstrumente), insofern sie Messung in Ampere gestatten. Die Stromstärke kann ferner durch die elektrochemischen Wirkungen des Stromes gemessen werden, denn nach den Faradayschen elektrolytischen Gesetzen (s. Elektrolyse) sind die in gleichen Zeiten zersetzten Substanzmengen sowie auch die Mengen der abgeschiedenen Bestandteile der Stromstärke proportional. Zu diesen Messungen bestimmte Apparate heißen Voltameter (s. d.). Bei der Wasserzersetzung liefert die Stromstärke 1 Ampere in 1 Minute 10,44 ccm Knallgas von 0° und 760 mm Druck, oder scheidet aus den entsprechenden Lösungen in derselben Zeit 19,68 mg Kupfer oder 67,09 mg Silber ab.
Zur Berechnung der Stromstärke unter gegebenen Bedingungen dient das Ohmsche Gesetz. Ebenso wie ein Wasserstrom kann sich auch ein e. S. in mehrere Zweige teilen. Solche Stromverzweigung findet z. B. statt in dem Leitungsnetz eines Elektrizitätswerkes. Zur Berechnung der Zweigströme dienen neben dem Ohmschen Gesetz die beiden Kirchhoffschen Sätze. Der erste sagt, daß in einem Punkt, in dem mehrere Leitungen zusammentreffen, die Menge der zufließenden Elektrizität gleich der Menge der fortströmenden sein muß; der zweite, daß, wenn man längs einer Masche des Netzes entlang schreitend, die sämtlichen Spannungszunahmen (s. Elektrische Spannung) zusammenzählt und die Abnahmen in Abrechnung bringt, das Ergebnis, sobald man wieder beim Ausgangspunkt angelangt ist, gleich Null sein muß.
In flächenartig oder allseitig ausgedehnten Leitern findet eine Ausbreitung des Stromes statt ähnlich der Ausbreitung von Wasserströmen in porösem Erdreich sowie der Ausbreitung gelöster Stoffe bei der Diffusion und der Ausbreitung der Wärme durch Leitung. Stromlinien heißen die Linien, die für jede Stelle die Richtung der Strömung angeben. Ebenso wie die Kraftlinien, mit denen sie zusammenfallen, stehen sie allenthalben senkrecht zu den Niveau- oder Äquipotentialflächen (Flächen gleicher Spannung). Stromröhren sind Röhren, die sich aus Kraftlinien zusammensetzen und die Eigenschaft haben, daß durch jeden Querschnitt dieselbe Elektrizitätsmenge hindurchfließt. Einheitsröhren sind solche, deren Querschnitt so bemessen ist, daß sie den Strom 1 Ampere führen. Die Anzahl Einheitsröhren, die an einer Stelle durch 1 qm (bez. 1 qcm) der Niveaufläche hindurchgeht, mit andern Worten, die Stromstärke auf die Flächeneinheit heißt Stromdichte. An der Grenze zweier Medien von verschiedener Leitfähigkeit tritt eine Brechung der Stromlinien ein, und zwar verdichten sie sich in einem besser leitenden Medium, während sie einem schlechter leitenden ausweichen. Über ungeschlossene Ströme s. Elektrodynamische Kraft, S. 672, u. Dielektrische Polarisation.
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DamenConvLex-1834: La Plata (Strom)
Eisler-1904: Strom des Bewußtseins
Herder-1854: Elektrischer Funke · Strom
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Pierer-1857: Elektrischer Strom · Elektrischer Schörl · Elektrischer Telegraph · Elektrischer Aal · Elektrischer Auslader · Elektrischer Funke · Strom
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