[896] Erbschaftssteuern, d.h. Steuern von Hinterlassenschaften Verstorbener, sind schon seit langer Zeit bekannt. Sie bestanden in Rom unter Augustus mit Befreiung der Aszendenten und Deszendenten unter der Form der vigesima hereditatum, wurden in England 1694 eingeführt ohne Unterscheidung der Verwandtschaftsgrade und bestehen gegenwärtig in den meisten Kulturstaaten. Neben den E. werden auch eigentliche Gebühren (Erbschafts- oder Erbengebühr) nach Maßgabe der bei Vererbungen in Anspruch genommenen Amtshandlungen (Hinterlegung eines Testaments, Sicherung der Beweisgründe etc.) erhoben. Zu Rechtfertigung der E. werden teils sozial-, teils finanzpolitische Gründe vorgeführt. Jene stützen sich unter anderm auf den Gedanken, daß Eigentums- und Erbrecht wesentlich Schöpfungen der öffentlichen Gewalt seien, und daß dem Staate deswegen ein Miterbrecht zustehe, was praktisch auch dadurch anerkannt werde, daß erblose Hinterlassenschaften dem Staat zufließen und in manchen Ländern das Erbrecht von einem bestimmten Verwandtschaftsgrad an überhaupt seinen Abschluß finde. In finanzpolitischer Beziehung wird zugunsten der E. angeführt, daß sie kapitalisierte Einkommensteile, die andern Steuern entschlüpft seien, nachträglich belasten, daß sie ferner eine außergewöhnliche Einnahme des Erben treffen, ohne denselben empfindlich zu drücken, daß sie ein gutes Kontrollmittel bezüglich der richtigen Erfüllung der Steuerpflicht seitens des Erblassers seien. Weiter ist zu erwähnen, daß die E. einträglich sind und mit wachsendem Wohlstand steigende Erträge in Aussicht stellen (Ertrag in England 1864: 77,1874. 120,1902: 373 Mill. Mk.); ihre Erhebung ist einfach, sicher und billig, belästigt nicht weiter den Verkehr und gestattet keine Überwälzung. Die gegen die E. gerichteten Einwendungen, wie z. B.: die E. minderten den Sinn für Sparsamkeit und hätten eine kommunistische Tendenz, können meist nur auf eine unverhältnismäßige Höhe oder auf eine fehlerhafte Veranlagung bezogen werden. Dem Reize zur Umgehung derselben läßt sich z. T. dadurch begegnen, daß auch Schenkungen unter Lebenden für steuerpflichtig erklärt werden (in Preußen nur, wenn eine schriftliche Beurkundung der Schenkung stattfindet). Nicht immer allerdings sind Hinterlassenschaften für die Erben wirkliche Bereicherungen, oft tritt sogar das Gegenteil ein (z. B. bei einer ihres Ernährers beraubten Familie, die bei geringerm Einkommen augenblicklich drückende Zahlungen zu machen gezwungen ist). Diesem Übelstand läßt sich im wesentlichen durch die Art der Veranlagung und Bemessung der[896] E. abhelfen, indem diese abgestuft werden einmal nach dem Verwandtschaftsgrad unter mäßiger Belastung oder vollständiger Befreiung derjenigen, für welche die Erbschaft keine ihre Lage verbessernde Bereicherung bildet (Deszendenten, Aszendenten, Ehegatten), unter höherer, bei entfernterm Verwandtschaftsgrad steigender Besteuerung der Seitenverwandten (Kollateralsteuer) und der Nichtverwandten, dann durch Abstufung der E. nach der Größe der Hinterlassenschaft, bez. der auf die einzelnen Erben entfallenden Teile derselben.
Im einzelnen weisen die Gesetzgebungen manche Verschiedenheiten auf. In den größern deutschen Staaten: Preußen (Gesetz vom 19. Mai 1891 mit Novelle vom 31. Juli 1895), Bayern (Gesetz vom 11. Nov. 1899), Sachsen (Gesetz vom 13. Nov. 1876 mit Novelle vom 9. März 1880), Württemberg (Gesetz vom 26. Dez. 1899), Hessen (Gesetz vom 23. Dez. 1901), Elsaß-Lothringen (Gesetz vom 17 Juni 1900), finden sich folgende Bestimmungen. Die Verwandten in absteigender Linie (Kinder etc.) besteuert Elsaß-Lothringen, und zwar mit 1 Proz. (außerdem Hamburg und Lübeck). Für Verwandte in aufsteigender Linie besteht eine Steuer, und zwar für Eltern und Voreltern in Elsaß-Lothringen mit 1 Proz., Bayern mit 46, Württemberg 23, Baden 12, Hessen 56 Proz. In Preußen und Sachsen ist die Vererbung in direkter Linie und unter Ehegatten steuerfrei. Geschwister haben zu entrichten in Preußen, Sachsen und Württemberg 2 Proz., Bayern 4, Baden 34, Hessen 56, Elsaß-Lothringen 6,5 Proz.; Abkömmlinge ersten Grades von Geschwistern in Preußen 2 Proz., Bayern 4, Sachsen und Württemberg 3, Baden 34, Hessen 5, bez. 6, Elsaß-Lothringen 6,5 Proz.; Abkömmlinge folgender Grade in Preußen 2 Proz., Bayern 4, Sachsen 4, bez. 8, Württemberg 4, bez. 6 u. 8, Baden 34, Hessen 8, bez. 10, Elsaß-Lothringen 7, bez. 8 Proz.; sonstige Verwandte dritten Grades in Preußen, Sachsen und Württemberg 4 Proz., Bayern und Baden 6, Hessen 10, Elsaß-Lothringen 6,5 Proz.; bei sonstigen Verwandten beträgt die Steuer je nach der Entfernung des Verwandtschaftsgrades in Preußen 4 u. 8 Proz., in Bayern, Sachsen und Württemberg 6 u. 8, in Baden 6 u. 10, in Elsaß-Lothringen 7,8 und 9 Proz.; bei Nichtverwandten in Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg 8, in Baden und Hessen 9, in Elsaß-Lothringen 10 Proz. Kleine Anfälle sind in Preußen und Sachsen (bis 150 Mk.), in Bayern (bis 50 Mk.), in Württemberg bei beweglichem Vermögen (bis 100 Mk.) steuerfrei; auch Anfälle an Wohltätigkeitsanstalten sind begünstigt. Wo Besteuerung in gerader Linie stattfindet, beginnt sie erst bei höhern Beträgen. Abzug etwaiger Schulden der Erbschaftsmasse ist überall gestattet.
In Österreich beträgt die Steuer (Gesetz vom 9. Febr. 1850 mit Novelle vom 31. März 1890) bei Anfällen an Aszendenten, Deszendenten und Ehegatten 1 Proz. (bei unbeweglichem Vermögen 2,5 Proz.), bei Seitenverwandten bis zum 4. Grad 4 (bez. 5,5) Proz., sonst 8 (bez. 9,5) Proz. Schulden, auch Hypothekenschulden, werden zunächst vom beweglichen Vermögen abgerechnet. Frankreich hat seine Erbschaftsbesteuerung durch Gesetz vom 26. Febr. 1901 und Novelle vom 30. März 1902 neu geregelt. Danach wird nunmehr nur der Nettobetrag der Erbschaft besteuert und findet neben der Progression nach Verwandtschaftsgraden auch eine solche nach der Größe der Erbschaft statt. Die Steuer beträgt in der direkten Linie für Anfälle von 10002000 Fr. 1 Proz., 200110,000 Fr. 1,25, 10,00150,000 Fr. 1,50, 50,001100,000 Fr. 1,75, 100,001250,000 Fr. 2, bei noch größern Anfällen 2,505 Proz., bei Ehegatten steigt die Steuer von 3,759 Proz., bei Geschwistern von 8,5014, bei Onkeln, Tanten, Neffen, Nichten von 1015,50, bei Großonkeln und -Tanten, Großneffen und -Nichten und Geschwisterkindern von 1217,50, bei Verwandten 5. und 6. Grades von 1419, 50, in allen übrigen Fällen von 1520,50 Proz. In England war die Erbschaftssteuer bis zur Reform von 1894 sehr verwickelt und bestand aus fünf Unterarten. Nunmehr bestehen drei Unterarten: Die Estate Duty, die nach der Größe der Erbmasse steigt (100500 Pfd. Sterl. 1 Proz., 5001000 Pfd. Sterl. 2 Proz., 1000 bis 10,000 Pfd. Sterl. 3 Proz. etc. bis 8 Proz. für über 1 Mill. Pfd. Sterl.), die Legacy Duty, erhoben vom Werte des beweglichen, und die Succession Duty. erhoben vom Werte des unbeweglichen Vermögens, die nach dem Verwandtschaftsgrad abgestuft ist und 110 Proz. beträgt. Frei von den beiden letztern Unterarten sind Anfälle bis 1000 Pfd. Sterl. und Aszendenten und Deszendenten, welche die Estate Duty entrichtet haben. Besonders stark wird die Erbschaftssteuer in der Schweiz zu Finanzzwecken herangezogen; fast allenthalben Ehegatten, vielfach auch Kinder und Eltern herangezogen; die Abgaben für Nichtverwandte bewegen sich zwischen 10 u. 20 Proz.; in mehreren Kantonen wächst die Steuer auch mit der Größe der Erbanteile. Auch in den Vereinigten Staaten zeigt sich eine starke Neigung zur Steigerung der Steuer.
Vgl. v. Scheel, E. und Erbrechtsreform (2. Ausg., Jena 1877); Berghoff-Ising, Das staatliche Erbrecht und die E. (Leipz. 1885); Eschenbach, Erbschaftsreform und E. (Berl. 1891); K. Krüger, Die E. nach ihrer Ausübung in den außerdeutschen Staaten. Die Berechtigung ihrer Reform in Deutschland und ihre Einführung als Reichssteuer (Tübing. 1889); Hoyer, Die E. und der Wertstempel von Schenkungen unter Lebenden. Gesetz vom 30. Mai 1873 (Berl. 1875); die Ausgabe der preußischen Gesetze von 1891 und 1895 von Böhm (das. 1897); Kommentar dazu von Schück und Kruse (das. 1896); für Bayern: H. Schmidt (2. Aufl., Münch. 1900), für Sachsen: Wahl (4. Aufl., Leipz. 1894), für Württemberg: Geyer (Stuttg. 1899), für Baden: Becker (Karlsr. 1900), für Elsaß-Lothringen: Jacob (2. Aufl., Straßb. 1900).