[894] Erbrecht, im objektiven Sinn der Inbegriff der Rechtssätze, die den Übergang des Vermögens eines Verstorbenen, des Erblassers, auf eine andre Person, den Erben, regeln; im subjektiven Sinn das Recht auf den Erwerb des Vermögens eines Verstorbenen (jus succedendi) und das Recht des Erben, der den Nachlaß erworben hat, an diesen Nachlaß (jus successoris). Die Gesamtheit dessen, was auf den Erben übergeht, ist die Erbschaft oder der Nachlaß, wozu aber nur vermögensrechtliche Gegenstände, Rechte wie Verbindlichkeiten, einschließlich des Besitzes (Bürgerliches Gesetzbuch, § 857), gehören. Jedoch sind nicht alle Vermögensrechte vererblich (s. Erblichkeit, S. 893), so nicht die höchstpersönlichen Rechte, z. B. der Anspruch auf Schmerzensgeld, Widerrufsrecht des Schenkers, ferner der Nießbrauch, der Anspruch auf Dienstleistungen etc. Erbe ist nur derjenige, der in die Gesamtheit des Vermögens allein oder neben andern nachfolgt, Voll- oder Alleinerbe und Teil- oder Miterbe (vgl. Erbe); wer sonst von Todes wegen etwas erwirbt, wird als Vermächtnisnehmer (s. Vermächtnis) oder als einem Vermächtnisnehmer gleichstehend bezeichnet.
Das E. ist ein Ausfluß des Privateigentums und wie dieses (vgl. Eigentum) heftigen Angriffen seitens der Feinde der heutigen Wirtschaftsorganisation ausgesetzt. Seine wirtschaftlich soziale Begründung findet das E. darin, die Güter, die das Vermögen eines Verstorbenen ausmachen, ihren vernünftigen Zwecken zu erhalten, und die ordnungsmäßige Abwickelung der Geschäfte, die der Erblasser eingegangen hat, zu ermöglichen. Für die Frage, wem das Vermögen zu übertragen ist, da mit obige Zwecke am besten erreicht werden, sind vier Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen: die Verteilung des Nachlasses kann nach der Blutsverwandtschaft erfolgen, so in allen modernen Erbrechten; oder nach dem sozialen Zusammenhang des Erblassers mit den Hinterbliebenen; oder nach dem Anteil, den die Hinterbliebenen an der Schaffung des Vermögens gehabt haben; oder endlich kann die Verteilung des Nachlasses an diejenigen erfolgen, die davon den im Interesse der Volkswirtschaft besten Gebrauch machen, so Saint-Amand Bazard (s. d.) und die Saint-Simonisten (s. d.).
Die heute in Deutschland geltenden erbrechtlichen Vorschriften finden sich in den § 1922 mit 2385 des Bürgerlichen Gesetzbuches und Artikeln 24 mit 28, 138 mit 140, 213 mit 217 des Einführungsgesetzes hierzu sowie in den § 72 mit 98 des Reichsgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit.
Voraussetzung der Erbfolge (s. d.) ist, daß der Erbe zur Zeit des Erbfalles lebt, wobei der in diesem Zeitpunkt bereits erzeugte als vor dem Erbfall geboren gilt (vgl. auch Erbfähigkeit). Zur Erbschaft berufen wird der Erbe entweder auf Grund letztwilliger Verfügung, Testament (s. d.) und Erbvertrag (s. d.), oder unmittelbar auf Grund des Gesetzes (testamentarische Erbfolge und Intestaterbfolge). Als gesetzliche Erben kommen in Betracht die Verwandten des Erblassers, sein Ehegatte und der Fiskus (s. Erbfolge). Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erwirbt der Erbe, im Gegensatze zum römischen Rechte, wo ausdrückliche Annahmeerklärung (cretio) und Antritt derselben (aditio hereditatis) gefordert wurde, die Erbschaft unmittelbar mit dem Erbfall, hat jedoch das Recht, die Erbschaft auszuschlagen (s. Erbschaftserwerb). Der Erbe kann von jedem, der nur auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus dem Nachlaß oder mit Mitteln des Nachlasses erlangt hut, Herausgabe des auf diese Weise Erlangten beanspruchen. Das Recht des Erben am Nachlaß kann durch Vermächtnisse (s. d.), durch Auflagen (s. d.) und durch Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten (s. Pflichtteil) beschränkt sein, er kann einen Testamentsvollstrecker[894] (s. d.) neben sich haben, hat Anspruch auf einen Erbschein (s. d.), kann die Erbschaft verkaufen (s. Erbschaftskauf), kann auf sie verzichten (s. Erbschaftserwerb) und kann sie verwirken (s. Erbunwürdigkeit).
An und für sich tritt der Erbe nicht nur in die Rechte, sondern auch in die Verbindlichkeiten des Erblassers ein, wobei zu berücksichtigen ist, daß manche Verbindlichkeiten, wie die aus Pflichtteilsrechten (s. Pflichtteil), Vermächtnissen (s. d.) und Auflagen (s. d.) erst mit dem Erbfall in der Person des Erben entstehen. Auch diese Verbindlichkeiten gehören zu den sogen. Nachlaßverbindlichkeiten (s. d.). Für diese Nachlaßverbindlichkeiten haftet der Erbe grundsätzlich unbeschränkt, d.h. nicht nur mit dem Nachlaß, sondern auch mit seinem eignen Vermögen. Er hat aber die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlaß zu beschränken, und zwar sowohl einzelnen als allen Nachlaßgläubigern gegenüber. Einzelnen Nachlaßgläubigern gegenüber wird die Haftung des Erben beschränkt durch Aufgebot der Gläubiger und Erwirkung eines Ausschlußurteils (s. d.) gegen diejenigen Gläubiger, die sich im Aufgebotsverfahren nicht gemeldet haben. Diesen ausgeschlossenen Gläubigern gegenüber haftet der Erbe nur mit dem, was vom Nachlaß nach Berichtigung der rechtzeitig angemeldeten Forderungen noch übrig ist. Dem Ausschlußurteil steht der Ablauf einer fünfjährigen Ausschlußfrist gleich, d.h. der Erbe darf einen Nachlaßgläubiger, der sich erst nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Erbfall meldet, ebenso behandeln, wie wenn er sich in einem Aufgebotsverfahren nicht gemeldet hätte. Allen Nachlaßgläubigern gegen über tritt die beschränkte Erbenhaftung ein, wenn über den Nachlaß auf Antrag eines Nachlaßgläubigers oder eines Erben die Nachlaßverwaltung (s. d.) oder der Nachlaßkonkurs (s. d.) eröffnet wird. Reicht der Nachlaß nicht zur Bestreitung der Kosten einer Nachlaßverwaltung oder des Nachlaßkonkurses aus, so kann der Erbe mit der Unzulänglichkeitseinrede die Befriedigung der Gläubiger insoweit verweigern, als der Nachlaß nicht ausreicht. Dieses Recht, die Haftung auf den Nachlaß zu beschränken, kann der Erbe jedoch verwirken und haftet dann endgültig unbeschränkt. Diese Verwirkung tritt ein, wenn er die ihm auf Antrag eines Gläubigers durch das Nachlaßgericht (s. d.) auferlegte Inventarpflicht verletzt. Jeder Nachlaßgläubiger hat nämlich das Recht, durch das Nachlaßgericht dem Erben eine Frist bestimmen zu lassen, binnen der er ein Nachlaßverzeichnis (s. d.) zu errichten, bez. beim Nachlaßgericht einzureichen hat. Versäumt der Erbe diese Inventarfrist, die mindestens einen und höchstens drei Monate beträgt, oder ist das eingereichte Verzeichnis unvollständig oder falsch, so haftet der Erbe endgültig unbeschränkt. Die Inventarerrichtung ist also nicht wie im römischen und gemeinen Rechte das Mittel, um die Haftung zu beschränken, vielmehr zieht nur die Verletzung der Inventarpflicht die Verwirkung der Möglichkeit, die Haftung zu beschränken, nach sich. Übrigens hat der Erbe auch das Recht, selbst ohne Aufforderung des Gerichts ein Nachlaßverzeichnis einzureichen; dieses Verzeichnis begründet dann zugunsten des Erben die Vermutung, daß zur Zeit des Erbfalls andre Nachlaßgegenstände als die verzeichneten nicht vorhanden gewesen sind. Über die Form der Errichtung des Nachlaßverzeichnisses s. d. Eine vorübergehende Befreiung des Erben von der Haftpflicht für die Nachlaßverbindlichkeiten besteht insofern, als der Erbe bis zum Ablauf der ersten drei Monate nach der Annahme der Erbschaft und falls er Antrag auf Aufgebot der Nachlaßgläubiger innerhalb eines Jahres nach der Annahme der Erbschaft gestellt hat, bis zur Beendigung des Aufgebotsverfahrens die Berichtigung einer Nachlaßverbindlichkeit verweigern kann; diese Befreiung tritt jedoch nicht ein, wenn der Erbe bereits endgültig unbeschränkt haftet. Über die Haftung von Miterben s. d. Ist der Erbe unbekannt oder ungewiß, so kann Nachlaßpflegschaft (s. d.) angeordnet werden. Vgl. die Lehrbücher und Kommentare des bürgerlichen Rechts und Bohm, Das E. des Bürgerlichen Gesetzbuches (2. Aufl., Hannover 1900); Strohal, Das deutsche E. (3. Aufl., Berl. 1903); Mayer u. Reis, Lehrbuch des Familien- und Erbrechts, Bd. 2 (4. Aufl., Stuttg. 1902); Binder, Die Rechtsstellung des Erben (Leipz. 1901 bis 1903, 2 Tle.); Jäger, Erbenhaftung und Nachlaßkonkurs im neuen Reichsrecht (Berl. 1898).
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