[611] Hagel, ein fester atmosphärischer Niederschlag, der in sehr wechselnder Gestalt auftritt. Am häufigsten besitzt er die Form einer Kugel (Fig. 3, S. 612) oder eines Kugelsektors, d. h. einer Pyramide mit kugeliger Grundfläche (Fig. 1). In beiden Fällen ist in der Kugelmitte ein schneeiger Kern, um den sich abwechselnd klare durchsichtige und undurchsichtige Schichten legen (Fig. 7, 11 u. 12); der Kern besteht aus zusammengeballten Schneekristallen wie die Graupeln (s. d.). Außen setzen sich oft noch Kristalle oder kristallähnliche Gebilde an, so daß die Hagelkörner dann ein stacheliges Äußere zeigen (Fig. 4, 12 u. 13). Bisweilen fallen kristallinische Formen (Fig. 2) oder Kombinationen mehrerer Kristallformen (Prismen, Rhomboeder etc.) sowie klare Eisplatten. Häufig sind die Hagelkörner von Pfirsichgestalt; andre stellen flache Rotationskörper mit verdicktem Rande dar (Fig. 9). Nicht selten sind auch radförmige Hagelstücke, bei denen sich um eine klare Scheibe ein ringförmiger Wulst legt (Fig. 5). Die Größe der Hagelkörner ist sehr verschieden, von Erbsen- bis Hühnereigröße und darüber. Unter den kleinern werden solche wie Fig. 1 besonders oft beobachtet, unter den größern herrscht die Kugelform vor; erstere nennt man H., letztere meist Schloßen. Da die Hagelkörner nach dem Fallen leicht zusammenbacken und große Eisklumpen bilden, so sind Nachrichten[611] über besonders große Hagelstücke mit Vorsicht aufzunehmen, doch sind solche von der Größe einer Orange und selbst Kegelkugel in Steiermark schon beobachtet worden; das Gewicht eines solchen Hagelstückes erreichte 1 kg und mehr.
In Mitteleuropa haben die Hagelkörner meist weniger als 1 cm Durchmesser; bei 600 Hagelfällen in Indien hatten 27 Proz. Erbsengröße, 51 Proz. zwischen Erbsen- und Zitronengröße und 22 Proz. darüber. Die Temperatur der Hagelkörner kann bis -15° betragen. Obwohl die Hagelwetter rasch ziehen (durchschnittlich 40 km in der Stunde), fallen oft außerordentlich große Eismassen, die bisweilen erst nach mehreren Tagen (in Missouri einmal nach vier Wochen) fortschmelzen; 1894 fiel in Wien einmal fast 1 Ztr. H. auf 1 qm. Nicht bloß kann dadurch der Verkehr gehemmt, sondern auch viel Schaden verursacht werden; in Rustschuk zerstörte ein Hagelwetter 15. Aug. 1900 in 10 Minuten 50,000 Fensterscheiben, tötete ein Kind, vernichtete für etwa 1 Mill. Mark Weinberge, für 100,000 Mk. Garten- und Feldfrüchte und demolierte 10 Häuser und 2 Türme.
Die Hagelbahnen haben durchschnittlich 510 km, bisweilen aber auch nur wenige Meter Breite. Ihre Richtung wird meist durch die obere Luftdruckverteilung bestimmt, nicht aber durch die Bodengestalt; Gebirgszüge von 2000 m Höhe bilden kein Hindernis, beeinflussen nur manchmal die Intensität. Die Hagelwolken haben gewöhnlich eine gelblichgraue Farbe und verwaschene oder zerrissene Ränder; sie hängen teilweise schlauchartig herab, selbst bis in die Nähe der Erde. Kurz vor dem Hagelfall hört man oft ein rasselndes Geräusch infolge des Aneinanderwirbelns der Hagelkörner; auch fallen häufig zuerst sehr große vereinzelte Regentropfen, die vom Schmelzen des Hagels in den untern warmen Luftschichten herrühren. H. wird selten ohne Gewitter beobachtet, dem er unmittelbar vorangeht; diesen Gewittern sind sehr zahlreiche, aber schwache elektrische Entladungen eigentümlich.
Für die Bildung des Hagels hat man sich vorzustellen, daß in den bis zu 10 km und mehr sich erhebenden Gewitterwolken oben gleichzeitig unterkühlte Tropfen und Schneekristalle, in der Mitte unterkühlte Tropfen allein und unten Nebeltröpfchen von nahe 0° vorhanden sind. Die Schneekristalle backen durch die unterkühlten Tropfen zu Graupeln zusammen, die den Hagelkern abgeben; um ihn lagern sich beim Fallen in der Wolkenmitte Eisschichten in der Weise, daß zunächst ein plötzlich erstarrender Teil des flüssigen Wassers eine glasklare, der dann allmählich gefrierende Teil eine durch Luftblasen weißlich erscheinende Schicht bildet. Unten in der Wolke kommen dann die Ansatzkristalle (Fig. 4 u. 13) hinzu. Beim Fallen setzt sich aber nur dann eine genügende Menge flüssigen Wassers an, wenn infolge Änderung der elektrischen Ladung (beim Blitzen) das Zusammenfließen der Tropfenelemente gefördert wird. Durch den stark wirbelnden Luftstrom werden öfter auch Fremdkörper mit emporgehoben, die bisweilen in den H. einfrieren, z. B. kleine Insekten, Steinstaub etc.
Der H. fällt in Deutschland am häufigsten im Jahr vom Mai bis August (Maximum meist im Mai), am Tage von 26 Uhr nachmittags (10 Proz. vor-, 90 Proz. nachmittags). Wenn somit der H. eine Erscheinung der wärmern Jahres- und Tageszeit ist, so kommt er auch im Winter und in der Nacht vor. Hagelfälle sind überall auf der Erde beobachtet worden, im allgemeinen aber werden die mittlern Breiten am häufigsten vom H. heimgesucht. In den Niederungen der Tropenzone ist der H. eine seltene Erscheinung, kommt aber zuweilen vor, wie die Beobachtung vom 17. April 1886 in Venezuela zeigt, wo nach einem Gewitter sehr dichter H. fiel (manche Körner 60 g). Bei größerer Seehöhe kommt der H. in den Tropen nicht so selten vor (z. B. in Bornu, Habesch, Maisur, Mexiko, Carácas, Peru), und in Ostindien fällt er selbst in tiefern Gegenden häufiger (1. Mai 1888 wurden hier ca. 250 Personen durch H. getötet). In höhern Breiten kann man die eigentliche Hagelzone, in der H. häufiger als in andern Gegenden auftritt, auf der nördlichen Halbkugel zwischen 30 und 60° [612] Breite annehmen. In Europa fällt H. besonders häufig zwischen 40 und 55° Breite (namentlich ist das südliche Frankreich sehr oft von schweren Hagelwettern heimgesucht worden) und nimmt dabei von W. nach O., d. h. landeinwärts, ab. Auf dem Meere kommt H. häufiger vor als man bis vor kurzem annahm, aber doch (namentlich Schloßen) seltener als auf dem Land; auch die Sahara ist nicht hagelfrei. In den Polarzonen ist der H. eine seltene Erscheinung, nicht aber Graupeln. Im Gegensatz zu den niedern Breiten kommt H. in der gemäßigten Zone in der Tiefe häufiger als in höher gelegenen Gegenden vor, wo er meist Graupelform besitzt. Es scheint, als ob es gewisse Hagelstraßen gäbe, d. h. Gegenden, die weit öfter von H. zu leiden haben als benachbarte. Der Einfluß der Wälder auf die Ablenkung des Hagelwetters ist noch sehr fraglich, vielleicht sogar nur Trugschluß infolge Verwechselung von Hagelstatistik und Schadenstatistik, weil in bewaldeten Gebieten Beobachter fehlen; so ergab sich für Württemberg, daß die Zahl der Hageltage von der Größe der Bewaldung unabhängig ist. Vgl. Abich, Über kristallinischen H. etc. (Tiflis 1871); v. Bezold, Zur Thermodynamik der Atmosphäre IV (Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 1892); Trabert, Die Bildung des Hagels (Meteorologische Zeitschrift, 1899); R. Russell, On hail (Lond. 1893); Hann, Lehrbuch der Meteorologie (Leipz. 1901).
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