Seume

[384] Seume, Johann Gottfried, Schriftsteller, geboren als der Sohn eines Landmanns 29. Jan. 1763 in Poserna bei Weißenfels, gest. 13. Juni 1810 in Teplitz. Sein Vater übernahm 1770 die Pachtung eines Gutes in Knautkleeberg bei Leipzig, starb aber schon 1775, die Familie in Armut zurücklassend. Ein Graf von Hohenthal-Knauthain nahm sich Seumes an, schickte ihn zum Rektor Korbinsky in Borna, später auf die Nikolaischule und 1780 auf die Universität[384] in Leipzig. Das theologische Studium Seumes wurde hier durch dessen besonders von der Lektüre Shaftesburys und Bolingbrokes angeregten Skeptizismus gekreuzt, und der Jüngling beschloß, um mit seinem Gewissen nicht in Zwiespalt zu geraten, in das Weite zu ziehen, und zwar nach Paris. Auf der Wanderung dahin von hessischen Werbern ergriffen und den vom Landgrafen Friedrich II. an England verkauften Truppen eingereiht, mußte S. die Fahrt nach Amerika mitmachen, wo er bis zum Frieden, ohne daß sein Regiment eigentlich am Kriege teilnahm, in Kanada die Mühsale des Lagerlebens überstand. Nach der Rückkehr (1783) desertierte er von Bremen aus, ward aber von preußischen Werbern eingefangen und nach Emden gebracht. Wiederholte Fluchtversuche von hier aus mißlangen, und nur durch die Gunst des Generals Courbière entging S. der Strafe des Spießrutenlaufens. Bald darauf erlangte er, nachdem ein Bürger von Emden 80 Taler Kaution für ihn hinterlegt hatte, Urlaub zum Besuch seiner Heimat (1787). Er kehrte, wie er jenem gleich von vornherein angekündigt hatte, nicht in den Dienst zurück, bezahlte seine Schuld mit dem Honorar für die Übersetzung eines englischen Romans und lebte dann in Leipzig vom Unterricht in neuern Sprachen. Bald darauf Erzieher eines jungen Grafen Igelström, ging er 1792 mit seinem Zögling nach Warschau, wurde dort Sekretär des Generals v. Igelström und russischer Offizier und durchlebte 1794 die Schrecknisse der polnischen Erhebung und der Belagerung Warschaus. Nachdem er sich auf Befehl der Kaiserin 1796 zur Begleitung des jungen Majors Muromzow nach Leipzig begeben hatte, verschloß der bald darauf erfolgte Tod Katharinas ihm die Aussicht, in russischen Diensten befördert zu werden. Der Buchhändler Göschen berief ihn nach Grimma zur Übernahme der Redaktionen bei seinen Verlagsunternehmungen. Diese Tätigkeit unterbrach S. durch seine berühmte Fußreise nach Sizilien, die er im Dezember 1801 antrat, binnen neun Monaten durch Österreich, Italien, die Schweiz, über Paris nach Leipzig zurück ausführte und in seinem »Spaziergang nach Syrakus« (Leipz. 1803) beschrieb. Einige Jahre später machte S. eine abermalige große Reise zum Teil als Begleiter eines jungen Edelmanns nach Rußland, Finnland und Schweden, von der er in »Mein Sommer im Jahr 1805« (Leipz. 1807) berichtete. Seitdem körperlich leidend, starb er während einer in Gesellschaft Tiedges und Elisas von der Recke unternommenen Badekur. S. gehört zu den Schriftstellern, deren literarische Bedeutung zumeist in dem persönlichen Charakter des Autors ruht. Er war ein grundehrlicher Mensch, von stolzer Unabhängigkeit, ja bäurischer Rauheit im Denken und Schreiben; er sagte in unerschütterlicher Wahrheitsliebe, was er über Menschen und Dinge dachte, und seine spartanische Genügsamkeit spiegelte sich auch in seiner herben und derben Lyrik, die aller weichern Töne ermangelte. Auch mit seinem Trauerspiel »Miltiades« (Leipz. 1808) wollte er mehr als freisinniger Patriot denn als Poet gelten. Eine interessante Autobiographie begann er in dem Buche »Mein Leben« (Leipz. 1813, fortgesetzt von C. A. H. Clodius); eine andre wichtige Episode seines stürmischen Daseins schilderten die »Nachrichten über die Vorfälle in Polen« (das. 1796). Ein Denkmal (Marmorbüste von Gerstner) wurde ihm 1895 in Teplitz errichtet. Seumes »Gedichte« erschienen zuerst 1801 in Riga; seine »Sämtlichen Werke« gab A. Wagner heraus (Leipz. 1835, 8 Bde.; 7. Aufl. 1868); eine neue Ausgabe erschien in Hempels Klassikerbibliothek (Berl. 1879, 10 Bde.). Vgl. Planer und Reißmann, Johann Gottfried S., Geschichte seines Lebens und seiner Schriften (Leipz. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 384-385.
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