Wasserbau

[406] Wasserbau, alle Bauten, die im und am Wasser herzustellen sind, im engern Sinne die Bauten, die zur Benutzung des Wassers oder zur Verhütung von Wasserschaden dienen. Hierher gehören alle Fluß- und Strom-, See- und Hafen-, Kanal- und Schleusenbauten, Wehr- und Stauanlagen, ferner alle Deichbauten, Ent- und Bewässerungsanlagen, Stadtkanalisationen und Wasserleitungen. Unter Fluß- und Strombau begreift man alle Arbeiten, welche die Benutzung des fließenden Wassers zur Schiffahrt befördern, zum Schutze der Ufer, gegen Überschwemmungen und Abbrüche dienen. Die Fluß- und Strombauten beziehen sich daher auf die Verbesserung der Vorflut, also des Wasserzuflusses von den Seitengeländen zu dem Wasserlauf, auf die Regelung und Erhaltung des Flußbettes und auf die Anlage und Befestigung der Ufer. Sie hängen hauptsächlich von der Richtung und Stärke der Strömung sowie von der Beschaffenheit des Flußbettes und der Ufer ab. Zwischen geraden und gleichlaufenden Ufern wird die stärkste Strömung (Stromstrich) sowie die tiefste Stelle des Strombettes (Stromrinne, Talweg) ungefähr in der Mitte liegen. Ist daselbst die der Breite des Stromes entsprechende Tiefe hinreichend, um die Geschiebe des Flusses regelmäßig abzuführen, ohne die Ufer nachteilig anzugreifen, so besitzt der Strom sein Normalquerprofil und fließt im Beharrungszustand. Eine im Beharrungszustand befindliche Flußstrecke kann dem Wasserbaumeister die Anhaltspunkte liefern, um in einer verwilderten Flußstrecke ein Normalprofil herzustellen und einen Beharrungszustand herbeizuführen. Wird der Strom auf die dem Normalprofil entsprechende Breite (Normalbreite) eingeschränkt, so bildet er selber das Normalprofil aus, wenn ihm »mit geschickter Hand der Weg dazu gewiesen wird«.

In Flußkrümmungen pflegt der Strom das eingebogene Ufer auszutiefen und abzubrechen, das ausgebogene anzusetzen. Flußwindungen streben daher, in Flüssen mit stark schwankenden Wassermengen, immer mehr auszuarten, während sie bei Gewässern mit nahezu gleichbleibenden Abflußmengen das wirksamste Mittel sind, dessen die Natur sich bedient, um das Gefällverhältnis herbeizuführen, das der Beharrungszustand verlangt. Man trachtet daher, Flußkrümmen, die nicht schädlich, also z. B. nicht der Schiffahrt hinderlich sind, zu erhalten, indem man ihre Sohlen durch Grundschwellen befestigt und durch geeignete Bauwerke die Ufer, namentlich in den Einbiegungen, festlegt und den Strom lenkt. Hierzu dienen Bühnen (s. d.) und Parallel- oder Streichbauten. Die Streichbauten heißen Leitwerke, wenn sie in einiger Entfernung vom Ufer hinlaufen, und Deckwerke, wenn sie am Ufer anliegen. Die Leitwerke sind Dämme aus Steinen oder aus Faschinen. Ihr oberes Ende wird aus Ufer angeschlossen und ihre Krone wird so hoch angelegt, daß höhere Wasserstände darüber hinweggehen. Wenn es gelingt, den Raum zwischen Ufer und Leitwerk zu verlanden, wird das Leitwerk zum Deckwerk des neuen Ufers. Die Verlandung wird beschleunigt, indem man die mit Sinkstoffen beladenen höhern Wasser nicht bloß über die Krone der Werke, sondern auch durch Öffnungen in den Leitwerken auf die zu verlandenden Flächen gelangen läßt. Diese Öffnungen bringt man besser am obern als am untern Ende der Felder an, die durch die Querbänder, Querzeilen, Traversen gebildet werden, die man von den Leitwerken der Quere nach zum Ufer führt, und die verhindern sollen, daß die Ufer hinter den Leitwerken durch die Strömung angegriffen werden; sie beruhigen auch das Wasser und nötigen es, seine Sinkstoffe abzusetzen. Eine noch raschere Verlandung erreicht man durch deren Bepflanzung mit Weiden. Wo die Flußkrümmungen zu bedeutend sind, insbes. da, wo eine förmliche Halbinsel vorhanden ist, kann ein Durchstich gemacht werden, um den Wasserweg abzukürzen und die Ufer vor Abbruch zu schützen. Da der Durchstich ein größeres Gefälle erhält als der alte Stromlauf, so genügt meist die Herstellung eines Grabens, in den man das Wasser einströmen läßt, worauf es allmählich selbst sein Normalprofil ausgräbt. Der alte Stromarm wird der allmählichen Verlandung überlassen. Wo Inseln den Strom in zwei Arme teilen, von denen keiner das für die Schifffahrt nötige Fahrwasser enthält, ist der mit dem günstigern Fahrwasser versehene Arm durch Bühnen oder Parallelwerke zu verbessern und zu vertiefen. Je spitzer[406] der Winkel ist, unter dem ein Fluß in einen Strom einmündet, je mehr also deren Stromstriche tangential ineinander übergehen, desto vorteilhafter erscheint dies für die Erhaltung eines guten Fahrwassers.

Die natürlichen Einmündungen von Flüssen in Ströme, wo jener Winkel sich einem rechten Winkel nähert, führen Störungen der Schiffahrt durch Verlegung der Stromrinne und Abbrüche der Ufer, gegen die der einmündende Flußlauf wirkt, herbei. Die Verbesserung derartiger Mündungen besteht in der Herstellung neuer Ufer mit möglichst spitzem Einmündungswinkel durch eine Trennungsbühne oder ein Separationswerk. Unter die Uferschutzbauten gehören: 1) flache, mit Rasen bekleidete Böschungen; 2) mit Strauchwerk bepflanzte Böschungen; 3) Faschinenanlagen (Faschinenbuhnen, Packwerk s. Bühne); 4) flache Steinwürfe; 5) regelmäßige Steinbekleidungen oder Pflasterungen aus großen, möglichst tief eingreifenden, in den Fugen mit Steinsplittern gedichteten Steinen; 6) verpfähltes Pflaster, dessen Steine durch reihenweise zwischen den Fugen eingetriebene Spitzpfähle gegen Abrutschen geschützt werden; 7) Futtermauern mit mehr oder minder starkem Anzug aus Mörtel oder Trockenmauerwerk. Sollen die Ufer zugleich den Wasser- und Landverkehr vermitteln, so werden sie, wenn nur vorübergehende Dauer verlangt wird, 8) mit Bohlwerken (s. d.), wenn möglichst große Dauer verlangt wird, 9) mit Kaimauern bekleidet. Die vorerwähnten Fluß- und Strombauten erreichen ihren Zweck nur dann, wenn sie mindestens innerhalb eines größern Fluß- oder Strombereichs im Zusammenhang und in solcher Reihenfolge ausgeführt werden, daß die erwähnten Bauten rechtzeitig und ausreichend auseinander sowie auf das Bett, die Sohle und die Ufer des Stromes einwirken. Man begreift diese in längern und kürzern Zeitabschnitten innerhalb größerer oder kleinerer Stromstrecken auszuführenden Arbeiten unter dem Namen Korrektion oder Bändigung, wenn namentlich der Verwilderung des Stromes Einhalt geschehen soll, oder Regulierung, Berichtigung, Lenkung, wenn es sich hauptsächlich darum handelt, natürliche Verhältnisse, die dem Zweck bereits nahezu entsprechen, zu verbessern und festzuhalten. Man entwirft, unter Berücksichtigung und Beteiligung der verschiedenen Uferstaaten und Interessenten, einen Plan, der unter Einhaltung der zweckmäßigsten Reihenfolge der Arbeiten allmählich ausgeführt wird. Der Seebau umfaßt alle Arbeiten und Bauten, welche die Schiffahrt auf offener See und an der Küste sowie das Einlaufen in Häfen betreffen, die Errichtung von Wellenbrechern, Dämmen, Bühnen, die Beseitigung von Untiefen etc. Vgl. Gotth. Hagen, Handbuch der Wasserbaukunst (3. Aufl., Berl. 1869–81, 10 Bde.), das wichtigste der ältern Werke; »Handbuch der Ingenieurwissenschaften«, 3. Teil: Der Wasserbau, begründet von Franzius, Sonne u. a. (4. Aufl., Leipz. 1905 ff.); Franzius, Der W. (im »Handbuch der Baukunde«, 3. Abt., Berl. 1890); »Waterbouwkunde«, hrsg. von Henket, Schols und Telders (Haag 1878 ff., noch nicht abgeschlossen); Perels, Handbuch des landwirtschaftlichen Wasserbaues (2. Aufl., Berl. 1884); Schubert, Landwirtschaftlicher W. (das. 1879); Friedrich, Kulturtechnischer W. (2. Aufl., das. 1906–08, 2 Bde.); Tolkmitt, Grundlager. der Wasserbaukunst (2. Aufl., das. 1907); Strukel, Der W. (Leipz. 1897–1904, 4 Tle.); Sonnen. Esselborn, Elemente des Wasserbaues (das. 1904); Möller, Grundriß des Wasserbaues (das. 1906, 2 Bde.); W. Schulz, Der Wasserbau-Verwaltungsdienst in Preußen (3. neubearbeitete Aufl., Berl. 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 406-407.
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