In intĕgrum restitutĭo

[914] In intĕgrum restitutĭo (lat., Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), ein dem Römischen Rechte angehöriges, durch das prätorische Edict eingeführtes außerordentliches Rechtsmittel, mittelst dessenn derjenige, welcher den Verlust eines Rechtes od. sonstige Verletzung erlitten hat, aus besonderen gesetzlich gebilligten Rücksichten verlangen kann, daß dieser Verlust für nicht geschehen u. mithin wieder aufgehoben werde. Das Eigenthumliche dieses Rechtsmittels liegt indessen nicht sowohl in der [914] Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welche auch durch andere Rechtsmittel erreicht werden kann, sondern darin, daß damit gewissermaßen eine Ausgleichung des Rechtes mit der Billigkeit (Aequitas) gesucht wird. Die Vorbedingungen einer jeden I. i. r. sind: das Vorhandensein eines wahren u. unverschuldeten Rechtsnachtheils, einer Läsion, z.B. in Folge versäumter Fristen, ein in Folge abgeschlossener Rechtsgeschäfte erlittener Vermögensverlust etc., u. ein gesetzlich anerkannter Billigkeitsgrund (Justa causa restitutionis). Als solche kommen im heutigen Rechte, nachdem mehrere im früheren Recht vorkommende Restitutionsgründe schon im späteren Römischen Rechte zur Grundlage ordentlicher Rechtsmittel geworden sind, nur die Minderjährigkeit (welcher Grund dann auch auf Gemeinden, Kirchen u. milde Stiftungen ausgedehnt worden ist), Irrthum u. Zwang, Abwesenheit u. die sich hieran anschließende sogenannte Clausula generalis, eine Erweiterung des Begriffes der Abwesenheit auf Fälle fingirter Abwesenheit (z.B. bei Wahnsinnigen u. juristischen Personen), u. andere Hindernisse der Geltendmachung u. Ausübung eines Rechtes von dem Belang, daß die Restitution gegen die Versäumung gerecht erscheint, vor. Endlich muß die Lage der Dinge eine solche sein, daß dem Verletzten nicht schon auf eine andere Weise geholfen werden kann; die Wiedereinsetzung ist nur ein ausnahmsweise anzuwendendes, subsidiarisches Rechtsmittel. Das Gesuch um Restitution muß bei dem zuständigen Gericht innerhalb einer Verjährungsfrist von vier Jahren gestellt werden. Diese Frist beginnt bei der Restitution wegen Minderjährigkeit mit dem Beginne der Volljährigkeit, für die Restitution wegen Abwesenheit, Zwangs, Betrugs od. entschuldbaren Irrthums mit dem Tage, an welchem das Hinderniß der Rechtsverfolgung wegfiel, für die Restitution der Kirchen, Gemeinden u. milden Stiftungen vom Tage der Verletzung an. Innerhalb dieser Frist geht das Recht der Restitution dann auch auf die Erben über. Bei dem Verfahren hat man namentlich das sogenannte Judicium rescindens, d.h. das Verfahren, welches zunächst den Zweck hat, eine Entscheidung über die rechtliche Begründung des Restitutionsgesuches u. damit Aufhebung der verletzenden Rechtsänderung durch richterlichen Spruch herbeizuführen, u. das Judicium res titutorium s. rescissorium, d.h. den Streit, welcher sich über die Mittel zur Verwirklichung der aus der für rechtmäßig erkannten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hervorgehenden Ansprüche ergeben kann, zu unterscheiden. Beide Verfahren können aber mit einander verschmolzen werden u. oft, bes. wenn die Rechtsverletzung sich im Laufe eines bereits anhängigen Processes erreichte, wird die ganze Sache schon durch ein einfaches Decret erledigt. Die Wirkungen der erlangten Restitution bestehen darin, daß der Verletzte ganz in die Lage gebracht wird, in welcher er vor dem verletzenden Umstande sich befand. Beim Verlust eines Rechtes durch Versäumniß wird daher zur die Zeit wieder eingeräumt, die durch den Restitutionsgrund verloren ging; bei übernommnen Verbindlichkeiten tritt Befreiung von denselben, bei bereits eingetretenen Vermögensentziehungen Rückgabe des Entzogenen nebst allem Zubehör ein. In keinem Falle darf der Restituirte in Folge der Wiedereinsetzung zum Schaden seines Gegners aber auch seinerseits einen Gewinn behalten. Gegen die Folgen einer einmal ertheilten Restitution kann nur unter Voraussetzung eines andern Restitutionsgrundes wiederum Restitution nachgesucht werden. In einzelnen Fällen ist die Restitution ganz für ausgeschlossen erklärt, nämlich: gegen die Folgen eines von dem Verletzten begangenen Delicts; gegen Geschäfte mit den Eltern als solchen; gegen fiscalische Veräußerungen; gegen Schließung einer Ehe; gegen die dreißig- u. mehrjährige Verjährung; gegen den Verlust einer Pönalklage; wenn der Nachtheil, wegen dessen Restitution nachgesucht wird, ohne Vergleich geringer ist, als derjenige, welcher durch die Gewährung der Restitution für Andere entstehen würde. Vgl. Burchardi, Die Lehre von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Gött. 1831.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 914-915.
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