Nativität

[708] Nativität (v. lat.), 1) das Geborenwerden u. Alles, was auf Geburt unmittelbar Bezug hat; 2) der astralische Einfluß, welchen, nach astrologischer Lehre, der Stand der Planeten zur Zeit der Geburt eines Kindes auf dasselbe u. sein künftiges ganzes Leben hat. Die besondere Anwendung der vermeintlichen Wissenschaft dieses Bezugs auf einzelne Individuen wurde als Nativitätstellen (Prognosticon genethliologicum) bezeichnet. Die Grundlage dafür ist das Horoskop (Thema genethliacum), das am einfachsten nach folgender Figur gezeichnet wurde; in einem Quadrat wird ein zweites eingezeichnet, dessen Winkel an die Mitte der Seiten des erstern stoßen, u. in diesem in gleicher Art ein drittes Quadrat, dessen Seiten denen des äußern parallell laufen. Aus den Winkeln des großen Ouadrats werden nun Diagonalen gezogen, die aber in den Stellen, wo das innerste Quadrat das mittlere berührt, unterbrochen sind, so daß das innerste Quadrat leer bleibt, welches zur Eintragung des Jahres, des Tages, der Stunde u. auch wohl der Minute der Geburt bestimmt ist. Die Räume zwischen dem inneren u. mittleren u. zwischen diesem u. dem äußeren Quadrate sind nun nach obigem Verfahren in zwölf gleiche u. ähnliche Dreiecke getheilt, von denen jeder der vier Seiten des äußeren Quadrats drei zufallen. Eine andere Art das Horoskop vorzubereiten ist die, daß man in einem Kreise vier gleich weit von einander stehende Punkte wählt u. vier Bogenlinien, die mit ihren concaven Seiten einander zugewendet sind, von jedem dieser vier Punkte zu dem entgegengesetzten zieht, so daß man also auch vier Bogenlinien erhält, die sich in vier Punkten schneiden u. dann von den vier Durchschnittspunkten aus zu den Mitten in der Peripherie zwischen den vier gewählten Punkten an derselben kleinere Bogen zieht, wonach man zwölf sphärische Dreiecke erhält, die sich um einen mittlern, leer bleibenden, von vier Segmenten der Hauptbogenlinien eingeschlossenen Raum herumziehen. Diese 12 Räume in einem od. dem andern hiernach entworfenen Horoskop denkt man sich nun in Bezug auf zwölf am Himmel unterschiedene, als Häuser (s.d.) bezeichnete Räume. Gewöhnlich nahm man zu deren Abtheilung sechs größte Zirkel an (unter denen der Meridian u. der Horizont zwei bilden), u. von welchen jeder 30° des Äquators durchschneidet. Hiernach liegen zu jeder Zeit sechs solche Häuser über dem Horizont u. sechs unter demselben, an diesen aber ober- u. unterhalb des Horizonts sechs auf östlicher u. sechs auf westlicher Seite. Wenn nun das Horoskop eingerichtet werden soll, so wird an ihm, wenn es in viereckiger Figur entworfen ist, die obere Seite als Mittag, die untere als Mitternacht, die Seite links als Morgen, die entgegengesetzte als Abend bezeichnet; in der Zirkelfigur entsprechen die Punkte, in denen zwei Hauptbogen zusammenstoßen, jenen Seiten. Hierauf wird das mittlere Dreieck (Haus) der Morgenseite (das überhaupt als das hauptsächlichste betrachtet wird) mit 1 bezeichnet, das nächste darunter mit 2 u. so fort in der Reihe, so daß der Raum über dem ersten die Zahl 12 erhält. Nun kommt es darauf an, das erste himmlische Haus, od. dasjenige Zeichen im Thierkreis, welches zur Zeit der Geburt eines Kindes im Horizont auf der Morgenseite gestanden hat, u. bes. den Grad desselben zu wissen, der im Momente der Geburt den Horizont berührte. Hiernach werden nun die Zeichen des Thierkreises sowohl, als die Planeten (diese nach der Ansicht der Alten, wonach, außer Mercur, Venus, Mars, Jupiter u. Saturn, auch Sonne u. Mond in die Planetenreihe aufgenommen sind), welche in einem od. dem andern dieser Zeichen stehen, eingetragen. Nun beherrscht aber nach der Astrologie jeder Planet ein od. ein Paar der Zeichen vor andern; jedes der einzelnen Häuser aber hat wieder besondere Lebensverhältnisse, auf welche es hindeutet, von denen aber immer nur eins als das vornehmste in ein Haus des Horoskops eingetragen wird, so in das erste (Haupthaus) Leben, in das zweite Gewinn, in die folgenden, der Reihe nach, Brüder, Eltern, Kinder, Gesundheit, Ehe, Tod, Gottesfurcht, Ehre, Freunde, Feinde. Jedes Haus beherrscht ferner einen Körpertheil, od. mehre, das erste das Haupt, das zweite den Hals u. so fort abwärts, das letzte die Plattfüße. Zugleich nahm man aber auch auf den Stand der Planeten gegen einander, ihre Conjunction, Opposition u. andere Aspecten Rücksicht, wodurch also die Grundlage für das Nativitätstellen höchst complicirt wurde u. es den Astrologen als Nativitätstellern nicht an Ausreden fehlen konnte, wenn ihre Vorhersagungen auch nicht zutrafen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 708.
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