Dichtkunst. Poesie

[250] Dichtkunst. Poesie.

Die Kunst den Vorstellungen, die unter den Ausdruk der Rede fallen, nach Beschaffenheit der Absicht den höchsten Grad der sinnlichen Kraft zu geben. Der Dichter hat dieses mit dem Redner gemein, daß er vermittelst der Rede in andern gewisse Vorstellungen erweket; aber die besondre Art, wie jeder seinen Zwek zu erreichen sucht, macht den Unterschied zwischen der Beredsamkeit und Dichtkunst. Der Redner behandelt seinen Stoff als ein Mensch, der sich besitzet, der sieht, beurtheilet und empfindet, was vor ihm liegt; der Dichter wird von seinem Gegenstand lebhafter gerühret, er wird davon so hingerissen, daß er in Begeisterung oder doch in eine Träumung geräth, in welcher seine Phantasie freyer und lebhafter würket. Daher kommt es, daß er seinen Gegenstand anders sieht, als andre Menschen, daß ihm das Vergangene und Zukünftige, als gegenwärtig, das blos eingebildete, als würklich vorhanden vorkommt, daß seine Vorstellungskraft durch die geringste Veranlasung eine Menge Nebenbegriffe aufweket, die ihn eben so lebhaft rühren, als die, welche unmittelbar in seiner Materie liegen. Die Rede des Dichters wird also ihrem Inhalt nach sinnlicher, und an Materie reicher; er mischet unter das würklich vorhandene viel eingebildetes, dem er den Schein des würklichen giebt; die Vorstellungen haben weniger Zusammenhang, als in dem Vortrag des Redners. Nicht nur die Materie wird durch diese ungleiche Art, wie der Redner und Dichter jeder von derselben gerührt wird, sehr verschieden behandelt; es zeiget sich auch natürlicher Weise eine eben so grosse Verschiedenheit in beyder Ausdruk. Der Ton des Redners, so stark, so nachdrüklich und pathetisch er auch wird, ist doch immer der Ton eines Menschen, der weiß, was er spricht, und vor wem er spricht; aber der Ton des Dichters ist durchaus, auch da wo er blos sanft fließt, schwermerisch und durch abgemessene Schritte, durch mehr Klang und Musik von dem Ton der gemeinen Rede unterschieden; es ist der Ton eines Menschen, der, von seiner Materie ungewöhnlich gerührt, auch ungewöhnlich davon spricht, dessen Worte, wenn es auch gemeine Worte sind, wenigstens in dem Ton das Gepräge einer tiefen Rührung der Seele haben. Auch der Ausdruk des Redners ist von des Dichters seinem stark unterschieden. Jener nihmt ihn aus der gewöhnlichen Sprache der Menschen, dieser findet den gemeinen Ausdruk selten stark genug; ungewöhnliche Figuren und Versetzungen, kühne Methaphern, Bilder, die [250] dem anschauenden Erkenntniß mahlen, was der Redner dem Verstand entwikelt, sind des Dichters gewöhnliche Mittel zum Ausdruk.

Auf diese Weise muß nothwendig die Rede des Dichters von des Redners Rede, sowol in der Materie, als in der Form, dem Ausdruk und dem Ton ganz verschieden werden; und deswegen theilet sich die Kunst der Rede in die zwey Hauptäste, die Beredsamkeit und die Dichtkunst.

Der Grund der Dichtkunst ist in dem Genie des Dichters zu suchen, und die verschiedenen Zweyge derselben, oder die Gattungen der Gedichte entstehen sowol aus der besondern Art des dichterischen Genies, als aus den besondern Veranlasungen dazu. Von jenem ist in dem vorhergehenden Artikel gesprochen worden; von diesem aber wird in dem Artikel Gedicht gehandelt. Demnach bleiben uns hier allgemeine Betrachtungen über die Dichtkunst, ihre Anwendung und Würkung übrig

Der Gegenstand der Dichtkunst, oder die Materie, die sie bearbeitet, ist jede Vorstellung des Geistes, die klar genug ist, unter den Ausdruk der Rede zu fallen, und interessant genug, die Gemüther der Menschen einzunehmen. Sie scheinet einen weitern Umfang zu haben, als die Beredsamkeit. Diese muß das Interessante ihres Stoffs in der Materie selbst suchen, da der Dichter durch die Wärme seiner Empfindung, Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft und den sonderbaren Gesichtspunkt, in welchen ihn seine Laune setzet, auch den schlechtesten Stoff intressant machen kann. Der Gesang einer Nachtigall, so gar eines Insekts1 kann ihn so reizen, seine Einbildungskraft und sein Herz so erwärmen, daß er in die angenehmste Schwermerey von sanften Empfindungen zärtlicher Art geräth, und manch liebliches Bild der Phantasie vor seinen Augen sieht; dieses reitzt ihn durch einen dieser Empfindung angemessenen Gesang auch uns in den angenehmen Gemüthszustand zu setzen, darin er sich befindet. So bildet der Dichter durch sein Genie einen schlechten Stoff, den der Redner ungebraucht lassen muß, zu einer angenehmen Materie, und dem, der schon an sich selbst reich ist, giebt er durch seine eigene Gedanken, Phantasien und Empfindungen, einen Ueberflus an jeder Art von Kraft. Was hat nicht Homer bey Vorstellung der Belagerung von Troja gefühlt, und Klopstok bey dem Leiden und dem Tode Jesu? Nichts scheinet so geringe, das die Dichtkunst nicht intressant, und nichts so groß, das sie nicht noch weit mehr vergrössern könne. Denn eigentlich zeiget der Dichter seinen Gegenstand nicht, wie er in der Welt vorhanden ist, sondern wie sein fruchtbares Genie ihn bildet, wie seine Phantasie ihn schmüket, und was sein empfindungsvolles Herz noch dabey empfindet, läßt er uns mit geniessen. Wir sehen durch ihn mehr die Scenen, die seine Phantasie und sein Herz beschäftigen, als Scenen der Natur. Also wird einem Dichter, dessen Kopf und Herz merkwürdig sind, der geringste Stoff Gelegenheit zu einem guten Werk: aber allemal wird er ihn nach der Stimmung seines Charakters wählen; der einen grossen und ernsthaften, der einen lieblichen; der einen traurigen, und der einen fröhlichen. Aber in dieser Wahl hat er, wenn ihn Verstand und Ueberlegung nicht verläßt, eine genaue Rüksicht auf die, die seine Gesänge hören sollen. Nicht jeder außerordentliche Zustand seiner Einbildungskraft oder seines Herzens ist ihm wichtig genug, um ihn auf dem Dreyfus des Apollo der Welt zu entfalten; so wol seine eigene Ehre, als das, was er der Gesellschaft, darin er lebt, was er den Menschen überhaupt schuldig ist, leitet seine Wahl, und dadurch versichert er sich der Hochachtung und Dankbarkeit seiner Zeitgenossen und der späthesten Nachwelt.

Dieses sind die Würkungen der Dichtkunst auf den Dichter. Nicht weniger wichtig sind die, welche sie auf die Gemüther der Menschen hat, die dem Dichter ein aufmerksames und empfindliches Ohr leihen. Wenn nach einer alten sehr richtigen Bemerkung das Wort, das aus dem Herzen entstanden ist, wieder in die Herzen dringt, so ist der Dichter ein Meister über die Herzen der Menschen. Nicht nur die Gedanken und Bilder selbst, die er vorlegt, tragen das Gepräge eines empfindsamen Herzens; auch der Ausdruk und der Ton der ganzen Rede bestätigen es, und lassen es uns unmittelbar empfinden. Die unerforschliche Tiefe des menschlichen Herzens zeiget sich auch darin, daß bisweilen Vorstellungen, die sehr oft ohne alle Würkung vor uns vorübergegangen, blos durch eine glükliche Wendung, selbst nur durch den Ton der Worte, in denen sie uns wieder vorkommen, die Kraft gewinnen, sich der ganzen Seele zu bemächtigen. Lieder, die nichts enthalten, als was man schon tausendmal ohne Kraft gedacht und empfunden [251] hat, thun oft eine erstaunliche Würkung,2 blos weil sie den Ton getroffen haben, der alle Sayten der Seele in Bewegung bringt. Keine Ueberlegung, keine Kunst ist vermögend, uns die Vorstellungen an die Hand zu geben, die in jedem besondern Fall in dem Gemüthe das bewürken, was wir zu bewürken wünschen. Aber der Dichter, dessen tieffühlendes Herz izt von einem Gegenstand durchdrungen ist, äussert seinen Gemüthszustand auf eine Weise, die uns in dieselbe Empfindung setzet. Der Dichter, der itzt selbst einen unüberwindlichen Muth fühlet, flößt auch uns ihn ein. Ist er von harten Schlägen des Schiksals getroffen standhaft, so werden wirs mit ihm; fühlet er warme Empfindungen der Rechtschaffenheit, so wärmet er auch unsre Herzen mit derselben Gluth; sehen wir ihn mit der freudigsten Erwartung dem Tod entgegen gehen, so erlöscht auch in uns die Liebe zum Leben. Also kann die Poesie jede Triebfeder der Seele in Würksamkeit setzen, und mit zauberischer Kraft über die Herzen der Menschen herrschen. Diese Würkung hat sie nicht nur denn, wenn sie von feiner Kunst und tiefforschender Critik unterstützt wird: blos Natur und Genie sind dazu schon hinlänglich. Die Dichter scheinen noch immer die Größten zu seyn, die die Natur zu Dichtern gemacht, ehe die Kunst dem Genie sich zur Gehülfin angebothen hat.3

Eine so wichtige Kunst verdiente in der genauesten Verbindung mit Religion und Politik zu stehen. Die menschliche Natur ist großer Dinge fähig, obgleich der Mensch selten große Dinge thut. Die Dichtkunst von Religion und guter Politik geleitet, kann das Große, das in ihm liegt, würksam machen. Wenn nach der Meinung eines der größten Philosophen alle Künste unter der Aufsicht und den Befehlen der Politik stehen sollten,4 so würde die Dichtkunst mit ihrer Schwester der Beredsamkeit, als die wichtigsten, vorzüglich die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber verdienen. Dieses ist auch in den ehemaligen Zeiten, und ehe die falsche Politik aufgekommen, die meisten Gesetze zum einseitigen Vortheil der Regenten zu lenken, vielfältig geschehen. Die jüdischen Könige hatten Propheten, eigentliche Nationaldichter an ihrer Seite, und manche andre Könige oder Gesetzgeber waren entweder selbst Dichter, oder hatten solche zum Dienst der Politik bey sich. Man weiß, was für einen ansehnlichen Rang sie bey den verschiedenen Celtischen Völkern den Barden gegeben. Aber itzt bemühet sie sich mehr diejenigen Künste zu ermuntern, und in ihren verschiedenen Würkungen zu lenken, die einem Volke das Uebergewicht der Macht und des Reichthums zu geben scheinen. Die göttliche Kunst die Gemüther der Menschen zu lenken, den Verstand mit Vorstellungen und das Herz mit Empfindungen zu erfüllen, aus deren vereinigter Würkung die Seele ihre wahre Gesundheit und Stärke bekommt, wird dem Zufall überlassen. Wol dem Dichter, der auch unberufen, durch das himmlische Feuer, das die Muse in seiner Seele angezündet hat, unsern Geist erleuchtet und unser Herz erwärmt, daß wir für jedes Schöne und Gute empfindsam werden, der durch seine reizende Gesänge heilsame Wahrheiten und liebenswürdige Empfindungen würksam macht.

Der Ursprung der Dichtkunst ist unmittelbar in der Natur des Menschen zu suchen. Jedes Volk, das sich zu irgend einer Cultur der Vernunft und der Empfindungen herauf zu schwingen gewußt, hat seine Dichter gehabt, die keinen andern Beruf, keine andre Veranlasungen gehabt, das, was sie stärker, als andre gedacht und empfunden, unter sinnlichen Bildern und in harmonischen Reden ihnen vorzustellen, als die Begierde, die jede edle Seele fühlt, andern das Gute, davon sie durchdrungen ist, mitzutheilen. Ohne Zweifel sind die ersten Dichter jeder Nation Menschen von größerm Genie und wärmern Empfindungen als andre gewesen, die in ihrem Verstand Wahrheiten und in ihrem Herzen Empfindungen entdeket, deren Wichtigkeit sie lebhaft gefühlt, und aus Liebe für ihre Mitbürger auszubreiten gesucht haben. Man hat auch in den Geschichten der Völker, ob sie gleich nie bis auf den Zeitpunkt, da Vernunft und Empfindung sich zu entwikeln angefangen haben, heraufsteigen, Spuhren, daß die ältesten Dichter verschiedener Nationen Lebensregeln und Maximen, die sie entdekt und deren Wichtigkeit sie lebhaft gefühlt haben, dem Volke zur Lehre in wolklingenden Sätzen vorgetragen. [252] So bald dieser erste Keim der Dichtkunst die Menschen auf die Mittel, nützliche Wahrheiten durch einen angenehmen Vortrag auszubreiten, aufmerksam gemacht hatte, entdekten sie auch, daß außer dem gut abgemessenen Fall der Worte, die gute Einkleidung, der feurige Ausdruk der Gedanken, und lebhafte Bilder eine ähnliche Würkung thun, und so wurd nach und nach die poetische Sprach entdeket und gebildet. Vermuthlich sind die ersten poetischen Versuche überall blos einzele Verse, wie unsre meiste Sprüchwörter, oder kurze aus zwey oder drey Versen bestehende Sätze gewesen. Als die Kunst zunahm, erfand man Mittel durch Allegorien und Fabeln das Volk zu lehren; Gesetze und was zur Religion gehörte, wurd in diese neue Sprache eingekleidet, und man hörte bald Lieder den patriotischen Muth zu stärken. Die edelsten Seelen von lebhaftem Genie wurden blos durch die Musen ermuntert Lehrer und Anführer ihrer Mitbürger, und so wurd die Dichtkunst zur Lehrerin und Führerin der Menschen. Manche Nation erkannte den Nutzen dieser Kunst auf die Gemüther zu würken so lebhaft, daß sie die glüklichen Menschen, die sie besaßen, mit besondern Vorzügen belohnten, und so kam die Ordnung der Profeten oder Barden auf.

Die wahre Geschichte der Dichtkunst nur von einem einzigen Volke, wär ohne Zweifel zugleich die Geschichte dieser Kunst bey jeder andern Nation, und gewiß ein wichtiger Theil der allgemeinen Geschichte des menschlichen Genies: aber sie fehlt überall. Am meisten weiß man von dieser Geschichte, in so fern sie die Griechen betrift. Man kann sie in vier Hauptzeiten eintheilen, nach eben so viel Gestalten, in denen sie sich gezeiget hat. Die erste Zeit, von welcher alle Nachrichten fehlen, ist die, darin sie angefangen hat aufzukeimen, da ihre Werke Sittensprüche, oder auch sehr kurze Aeusserungen irgend einer aufwallenden Leidenschaft gewesen, die tanzend gesungen worden. In dieser Zeit war sie noch keine Kunst; wer etwa bey einer Versammlung ein ausserordentliches Feuer der Einbildungskraft fühlte, der reitzte die andern zu unförmlichem Gesang und Tanz, bey welchen der Gegenstand der Leidenschaft in hüpfenden Worten angezeiget wurde. So äussern sich gegenwärtig bey den noch nicht gesitteten Völkern in Canada die ersten Versuche in Musik, Tanz und Poesie. Einige scharfsinnige Männer haben in der mosaischen Geschichte der ersten Menschen noch Spuhren solcher unförmlichen Gesänge entdeket. Aristoteles scheinet eben diesen Begriff vom Anfang der Kunst gehabt zu haben, und nennt diese ersten Versuche ἀυτοχηδιασματα5 oder Werke, die aus Instinkt, ohne Absicht, entstanden sind.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon in dieser Zeit die poetischen Versuche Spuhren von dem verschiedenen Charakter der drey Hauptgattungen, des lyrischen, des epischen und des dramatischen Gedichts, gezeiget haben. Die Karre des Thespis ist noch nicht sehr weit von diesen rohen Gestalten der entstehenden Dichtkunst entfernt; dennoch versichert Plato, daß die ersten Versuche der Tragödie sehr weit über die Zeiten des Thespis heraufsteigen.6 Das lyrische scheinet natürlicher Weise die älteste Gattung zu seyn, da es durch den Ausbruch der Leidenschaften verursachet worden, und die Lustbarkeiten, die jedes wilde Volk nach einem glüklichen Streit anstellt, konnen auch Spuhren der nachher entstandenen epischen Poesie gezeiget haben.

Auf diese erste Zeit folgte, vermuthlich nach einer langen Reyhe von Jahren, die zweyte, in welcher die scharfsinnigsten unter den Autoschediasmatisten, oder den durch Instinkt gebildeten Poeten, über die Form und Würkung der ersten Versuche nachgedacht, und nun aus Absichten, entweder sich ein Ansehen unter dem Volke zu geben, oder dasselbe nach ihrem Willen zu lenken, oder würklich aus väterlicher Zuneigung ihm Kenntniß und Sitten beyzubringen, sowol den Inhalt, als den Vortrag nach überlegten Regeln eingerichtet. Die Dichter dieser zweyten Zeit scheinen Lehrer, Gesetzgeber, Häupter und Führer der Völker gewesen zu seyn. In diese Zeiten möchte man, wiewol vielleicht schon etwas späth herunter, die ersten Dichter setzen, die von den Griechen nahmhaft gemacht werden, und deren Gesänge unter der Nation aufbehalten worden. Orpheus besang in dieser Zeit die Cosmogonie oder den Ursprung der Welt, und sein von den Aegyptiern gelerntes System der Theologie. Musaus sein Schüler besang in der Redeart der Orakel, (in dunkeln Hexametern) [253] denselben Inhalt. Eumolpus faßte die Geheimnisse der Ceres in ein Gedicht, und trug darin alles vor, was damals Moral, Politik und Religion vorzügliches hatten. Thamyris besang den Krieg der Titanen, ein allegorisches Werk über die Schöpfung. Man kann die Dichter dieses Zeitpunkts einigermaassen mit den Propheten des jüdischen Volks vergleichen. Aus dieser Zeit haben sich verschiedene Werke unter den Griechen lang erhalten, sind aber nicht bis zu uns gekommen.

Die dritte Zeit der Dichtkunst ist die, da sie angefangen, als eine zu einer besondern Lebensart gehörige Kunst angesehen zu werden, da die Sänger einen besondern Stand ausmachten, und sonst nichts, als Sänger waren. Man könnte diese Zeit, die Zeit der Barden nennen. Diese waren berufene oder gedungene Sänger, die an den Höfen der Häupter der damaligen kleinen Völkerschaften gehalten wurden, wie Phämius an dem Hofe des Ulysses, und Demodokus an dem Hofe des Alcinous. Sie sangen bey festlichen Zusammenkünften, sowol zum Vergnügen als zum Unterricht der Gesellschaften, Lieder von allegorischem Inhalt über die Götterhistorie, oder von Heroischem über die Thaten der Helden. Sie scheinen zugleich die Freunde und Rathgeber der Grossen, die sie unterhielten, gewesen zu seyn. Dergleichen Sänger sollen von uralten Zeiten her, bis nahe an unsre Tage von den Häuptern der schottischen Stämme unterhalten worden seyn. An das End dieser Zeit, oder allenfalls an den Anfang der folgenden setzen wir den Homer.

Die vierte Zeit ist die, da durch Abschaffung der königlichen Regierung in den meisten Stämmen der Griechen, eine mehrere Gleichheit unter den Menschen eingeführt worden, und keine Grossen mehr da waren, die Barden oder Sänger an ihren Höfen hielten. Da scheinet es abgekommen zu seyn, die Sänger als Menschen von einem besondern Stand, oder von besondrer Lebensart zu betrachten. Aber die Gesänge der Barden waren noch übrig und wurden gesungen. Wessen Genie sich gegen die Dichtkunst lenkete, der wurd ein Dichter, ohne von jemand dazu bestellt zu seyn, und vermuthlich, ohne die ihm sonst gewöhnliche Lebensart aufzugeben; man legte sich, wie noch itzt unter uns geschieht, auf die Dichtkunst, entweder blos beyläufig aus unwiderstehlichem Trieb des Genies, oder um sich einen Namen zu machen.

Man kann die Dichter dieser Zeit in zwey Classen eintheilen. Ein Theil arbeitete zum Dienst der Religion, der Philosophie und Politik; ein andrer blos zu seinem Vergnügen, und diese machten damals die Classe der Menschen aus, die itzt unter uns den Namen der witzigen Köpfe, oder wie man sie in Frankreich nennt, der schönen Geister bekannt sind. Die erstern sahen die Dichtkunst aus dem edlen Gesichtspunkt, als eine Lehrerin der Menschen an, die ihnen als Philosophen, oder Menschen, die das Glük hatten, über sittliche und politische Angelegenheiten richtiger als der grosse Haufen zu urtheilen, und weiter hinaus zu sehen, dienen konnte, Vernunft und bürgerliche Tugend allgemeiner auszubreiten. Sie faßten die durch Nachdenken erlangte Weisheit in Gedichte, die sie, ohne andern Beruf, der Welt mittheilten, wie Hesiodus, Aesopus, Solon, Epimenides, Simonides und andre; oder auf Veranlasung des Staates, bey feyerlichen Gelegenheiten verfertigten, wie Aeschylus, Sophokles, Euripides, Pindar und andre. Diese haben die künstliche Poesie auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit gebracht. Jene witzigen Köpfe aber, Anakreon, Sappho, Alcäus und viel andre, haben zuerst die Dichtkunst blos zum Vergnügen, zur Belustigung der Einbildungskraft und des Witzes angewendet. Seit der Zeit muß man sich die Dichtkunst, so wie die Venus unter zwey Personen, einer himmlischen und einer irrdischen, vorstellen; jene von erhabener, diese von buhlerscher Schönheit.

So lange Griechenland seine Freyheit genoß ,und die vorzüglichsten Genie ihren Gedanken und Empfindungen freyen Lauf lassen konnten, erhielt sich die Dichtkunst auf der Höhe, auf welcher sie allen Künsten vorzuziehen ist. Als aber mit der Freyheit auch die grossen Empfindungen der bürgerlichen Tugend unterdrükt worden, müßte nothwendig auch die Dichtkunst ihre beste Kraft verlieren. Es war nun nicht mehr darum zu thun, die Menschen gesittet und tugendhaft zu machen. Durch die Ueppigkeit der Höfe unter den Nachfolgern Alexanders, schweiffte man schon über die natürlichen Sitten hinaus, und Tugend wurd unnütze oder gar schädlich. Die Regenten, vornehmlich die Ptolomäer in Aegypten, beruften die witzigsten Köpfe an ihre Höfe, nicht mehr wie ehemals, als Barden, auch nicht als [254] Philosophen und Rathgeber, sondern blos als Personen von angenehmen Talenten, die man zu guten Gesellschaftern brauchen konnte. Dieses zeugte ein neues Geschlecht der Dichter, die nicht blos aus Temperament, wie Anakreon, noch aus edler Ruhmbegierde, wie Sophokles und seine Zeitverwandten, sondern aus Mode, oder den Grossen zu gefallen, oder durch die niedrigere Gattung des Ehrgeizes, die man Ruhmsucht nennt, gereitzt, die Kräfte ihres Genies an den verschiedenen Dichtungsarten versuchten. Unter diese gehören Callimachus, Theokritus, Apollonius und viele andre, deren Schriften zum Theil noch vorhanden sind. Diese waren also Schriftsteller von der Art, wie sie noch itzt Mode sind, und suchten als solche, nicht etwa ihren Zeitverwandten nützlich zu seyn, sondern durch ihre Talente berühmt zu werden, und mit ihnen fieng das silberne Zeitalter der Dichtkunst an.

Man muß gestehen, daß sie, ob sie gleich nur aus Nachahmung Dichter waren, die Art der wahren Originaldichter sehr gut nachgeahmt haben. Sie stehen deswegen unmittelbar nach den besten Originaldichtern, und können als Muster für die Neuern angesehen werden. Aber nach ihnen kam die griechische Dichtkunst allmälig in Verfall, und sank immer tiefer, wiewol sie noch bis in die Zeiten der römischen Kayser beträchtliche Reste ihrer ehemaligen Schönheit behalten hat.

Es wäre für dieses Werk zu weitläuftig, die verschiedenen Zeiten der Dichtkunst andrer Völker aufzusuchen. Ihr Ursprung und ihre verschiedenen Schiksale sind, da sie von dem Genie der Menschen abhangen, das im Grund immer dasselbe bleibt, ohngefehr überall einerley. Nur die verschiedenen Gestalten der deutschen Dichtkunst dürfen hier nicht ganz übergangen werden.

Man weiß zuverläßig genug, daß die Alten deutschen ihre Barden gehabt, obgleich itzt keine Spuhr von ihren Gesängen mehr übrig ist. Die Gesänge Oßians, eines alten caledonischen Barden, von denen wir nicht ohne einiges Recht auf unsre Barden schliessen können, lassen uns vermuthen, daß es den deutschen Bardengesängen weder an dem Feuer, wodurch die Heldengedichte sich der Herzen bemächtigen, noch auch bey andern Gelegenheiten an Größe und Schönheit sittlicher Empfindungen gefehlt habe. Aber freylich war ihre Sprache weder so biegsam, noch so reich, noch so wolklingend, als die Sprache des Volkes, dem die Natur vor allen andern Völkern die Feinheit des Geschmaks und Anmuthigkeit in den Empfindungen in so vollem Maaße verliehen hat. So weit das griechische Clima an Lieblichkeit das, so unter einem weit nördlichern Himmel liegt, übertrifft, so weit mag Homers Sprach und Einbildungskraft die übertroffen haben, die in den deutschen Bardengesängen vorgekommen. Man sieht an den ältesten Ueberbleibseln der deutschen Sprache noch gar wenig von Wolklang und periodischer Einrichtung. So hatten auch die Religion und die Sitten der alten Deutschen sehr wenig von der Annehmlichkeit der Religion und der Sitten der glüklichen Völker, die ehemals unter dem griechischen Himmel wohnten.

Nach den Barden, die vermuthlich durch Einführung des Christenthums abgekommen sind, scheinen andre, vielleicht doch von den Häuptern der deutschen Stämme dazu aufgemunterte Dichter gekommen zu seyn, die zwar nicht mehr die unter ihren Augen verrichtete Heldenthaten besungen, aber doch das Andenken älterer Begebenheiten und persönliche Verdienste verstorbener Männer ihren Zeitverwandten zur Nacheyferung in Gesängen vorgetragen haben. Der Anfang des bekannten alten Gesanges auf den heiligen Anno, welcher allem Anschein nach eine Gebuhrt des XIII Jahrhunderts ist, giebt uns zu erkennen, wovon die Dichter der kurz vorhergehenden Zeiten gesungen haben. Wir hörten öfter (sagt der Dichter) von alten Begebenheiten singen, wie schnelle Helden fochten, wie sie feste Schlösser zerstöhrt, wie sie Friede und Bündnis gebrochen; wie viel reiche Könige umgekommen. Nun ist es Zeit, daß wir an unser eigen Ende denken7. Es läßt sich vielleicht aus dieser Stelle auch schließen, daß Gedichte von geistlichem Inhalt damals eben noch nicht gewöhnlich gewesen, da der Dichter seinen Inhalt dem, wie es scheinet, [255] gewöhnlichen kriegerischen Inhalt der gemeinen Gedichte entgegen setzet. Wenn man von dem Werk, dessen so eben erwähnt worden ist, auf den damaligen Zustand der deutschen Dichtkunst schließen kann, so hat es diesen alten Dichtern weniger an poetischem Genie und an lebhafter Einbildungskraft, als an einer mehr ausgearbeiteten Sprache gefehlt. Indessen sieht man doch itzt, seit dem der unermüdete Eyfer unsers um die deutsche Litteratur und den guten Geschmak unsterblich verdienten Bodmers, die Maneßische Sammlung ans Licht gebracht und durch den Druk ausgebreitet hat; daß in dem XII und XIII Jahrhundert die blühendste Zeit der deutschen Dichtkunst gewesen ist. Die Kayser aus dem schwäbischen Haus haben ohne Zweifel viel dazu beygetragen, daß feinere Sitten, Geschmak und eine große Liebe zur Dichtkunst unter dem deutschen Adel ziemlich herrschend worden. Die aus diesen Zeiten übrig gebliebenen Gedichte sind in großer Anzahl. Nur die Maneßische Sammlung8 enthält Lieder von 140 Dichtern, darunter viele vom höchsten Rang sind, als Kayser Heinrich, König Conrad, König Wenzel von Böhmen, viele Marggrafen und Fürsten. Es fällt dabey in die Augen, daß damals die Dichtkunst einen großen Theil des Vergnügens der Höfe ausgemacht habe.

Und zwar nicht eine Dichtkunst, die als eine fremde Waare griechischen oder lateinischen Ursprungs, blos zum Vergnügen der Höfe herumgeboten worden, sondern eine Dichtkunst, die aus den Sitten, aus der Denkungsart und aus den herrschenden Empfindungen der damaligen großen Welt entsprungen ist, die also ganz natürlicher Weise einen eben so unmittelbaren Einflus auf die Gemüther der Menschen haben mußte, als die ehemaligen Gesänge der Barden, obgleich von einer ganz andern Art. Denn in diesem schönen Zeitpunkt Deutschlands herrschten die höflichsten und galantesten Sitten, die zärtlichsten Empfindungen so wol der Liebe, als der Freundschaft und Gefälligkeit, feine Maximen der Ehre, der Tapferkeit und eines edlen Betragens gegen Lehnsherren, gegen Fremde, gegen das schöne Geschlecht, gegen Männer von Talenten, gegen Freunde und Feinde. Nach diesem Ton war der Geist der damaligen Dichter gestimmt, welche Gedanken und Empfindungen, die der Umgang mit der größern Welt ihnen zuerst gegeben, durch ihr Genie verschönert, in angenehmen Gesängen wieder mittheilten. Es scheinet, daß damals, wenigstens in Oberdeutschland, kein Hof gewesen, an dem nicht Dichter gelebt haben. Bodmer sagt sehr angenehm von diesem schönen Zeitpunkt der Dichtkunst:


Hier ist poetisches Land, das die Gabe vom Himmel empfangen

Dichter in seinem Schooß zu erziehen.

Kein anmuthig Gefild liegt zwischen dem Rhein und der Limmat,

Da nicht ein Dichter die Minn' und den May sang.


Und von der Muse Helikons sagt er in Beziehung auf diese Zeit:


Ihr dient ein fürstliches Volk von Graven, Werthen und Frien,

Der Ausbund des allemannischen Bluts.

Sie sangen einst um das Gefield des Rheins, der Donau, der Elbe,

An Schwabens, an Oestreichs und Thüringens Hof.


Damals war die Dichtkunst, nicht wie itzt, ein Zeitvertreib weniger empfindlichen Menschen, deren Genie durch die Schönheit der griechischen und römischen Dichter, die sie zufälliger Weise durch die Schulgelehrsamkeit kennen gelernt, zur Nachahmung gereizt worden; sie war, wie sie ihrer Natur nach seyn muß, ein aus den Sitten der Zeiten entstandenes und auf dieselben wieder zurükwürkendes Geschäfft. Die erwähnte Sammlung der Minnesinger enthält zwar meistens Lieder von galantem Inhalt; aber diese Materie war nicht der einzige Stoff der damaligen Dichtkunst. Wir haben auch daher noch Werke von verschiedenen andern Dichtungsarten; Fabeln, moralische Gedichte und einige von epischem Inhalt und ritterlichen Thaten.9 Ueberhaupt scheinet es, daß die Dichtkunst dieses Zeitpunkts ganz in dem Geschmak der provenzalischen Dichter gewesen, deren Werke noch häufig in den französischen Büchersammlungen vorhanden, und von denen Johann von Nostradam, ein Bruder des bekannten Profeten, viel Nachrichten herausgegeben hat. In den epischen Gedichten dieser Zeit [256] hat man Mühe sich über das Abentheuerliche, das darin herrscht, wegzusetzen, auch herrscht der Aberglaube in voller Stärke darin; aber weder die Charaktere der handelnden Personen, noch das Genie der Dichter können uns gleichgültig bleiben.

Mit dem Anfang des XIV Jahrhunderts nahm die schwäbische Dichtkunst stark ab, in der Mitte desselben war sie schon sehr schlecht, und der gute Gesang gieng unter. Weder der Haufe der im XV und XVI Jahrhundert entstandenen Meistersänger, noch die Verfasser der ungeheuren dramatischen Stüke des letztgedachten Jahrhunderts, verdienen in der Geschichte der Dichtkunst einen Platz. Aber die Kirchenverbesserung, hatte angefangen auf einen Zweig der Dichtkunst einen günstigen Einfluß zu haben. Man hat aus dieser Zeit geistliche Lieder, die völlig die Sprach und den Ton haben, der dieser Gattung zukommt; nur sind sie unter der großen Menge ganz schlechter so einzeln, daß sie keine Epoche in der Geschichte der deutschen Dichtkunst machen können, die man von den Zeiten der schwäbischen Dichter an bis in das XVI Jahrhundert, obgleich eine unzählbare Menge Reimer in diese Zwischenzeit fallen, für erloschen ansehen kann.

Die Sitten und der Geschmak der Nation scheinen der Dichtkunst entgegen gewesen zu seyn; man fand mehr Gefallen an theologischen Untersuchungen, als an schönen Gegenständen der Einbildungskraft und der Empfindung. Die beyden Straßburger Johan Fischart und Sebastian Brand, die am Ende des XV und Anfange des XVII Jahrhunderts gelebt haben, beydes Männer von wahrem poetischen Genie, machten keinen Eindruk auf ihre Zeitverwandten, und ihr beyspiel beweißt hinlänglich, daß die Sitten und der Geschmak der damaligen Zeiten schlechterdings nichts gehabt, das der Dichtkunst günstig gewesen. Die große Welt hatte das Gefühl dafür verlohren; sie gerieth dem Pöbel in die Hände10, und ward von ihm so gemißhandelt, wie sie noch in den Schriften Hans Sachsens aussiehet.

In der ersten Hälfte des XVII Jahrhunderts erschien Martin Opitz, den die neuern Dichter Deutschlands für den Vater der erneuerten Dichtkunst halten. Er hatte nicht nur das Genie eines Poeten, sondern auch hinlängliche Kenntnis der Alten um es auszubilden, und Geschiklichkeit die Sprache dem starken und richtigen Ausdruk der Gedanken zu unterwerfen, und doch wolklingend zu seyn.

Nach einer so langen Barbarey, in welche die deutsche Dichtkunst versunken gewesen, hätte dieser große Dichter nicht nur durch sein Beyspiel andre Köpfe zur ächten Poesie wieder ermuntern, sondern der Nation selbst einen Geschmak daran geben können. Aber weder das eine noch das andre erfolgte. Fast noch ein ganzes Jahrhundert hindurch, nachdem Opitz so schöne Proben von starken Gedanken, von einer natürlich fließenden und dabey sehr nachdrüklichen Sprache gegeben, sah Deutschland eine Menge schlechter Dichter, die weder durch ihre Materie noch durch ihre Schreibart die geringste Aufmerksamkeit verdienten. Und obgleich in dieser Zeit hier und da einzele Spuhren des ächten poetischen Geistes, wie z. B. in den kleinen Arbeiten eines Logau und eines Wernike erschienen, so bedekte doch auf der einen Seite ein falscher und abentheuerlicher, auf der andern ein pöbelhafter Geschmak die ganze deutsche Litteratur.

Erst gegen die Mitte des itzigen Jahrhunderts drang das Genie einiger wahrhaftig schönen und starken Geister durch die Dike der Finsternis hindurch, und zeigte Deutschland in vortrefflichen Proben, so wol das helle Licht der Critik, als den wahren Geist der Dichtkunst. Bodmer, Haller, Hagedorn sind die ersten gewesen, die den Schimpf der Barbarey in Absicht auf die Dichtkunst, von Deutschland weggenommen. Nun haben wir seit dreyßig Jahren manchen schönen Geist, manchen angenehmen, auch manchen starkdenkenden Dichter gesehen; wir haben von einheimischen Dichtern Proben, daß der Geist, der den Homer, Pindar und Horaz belebt hat, unter dem deutschen Himmel nicht fremd sey. Alles scheinet uns gegenwärtig ein schönes Jahrhundert für die deutsche Dichtkunst zu versprechen. Aber der Geist und die Denkungsart desjenigen Theils der Nation, der durch seinen Beyfall den Dichtern Ruhm bringen, der den wichtigen Einfluß der Dichtkunst auf die Gemüther an sich empfinden und weiter ausbreiten sollte – Wird dieser Theil der Nation, ohne welchen die Dichtkunst blos eine Beschäftigung weniger Liebhaber bleibet, wird er die anscheinende Hoffnungen in Erfüllung bringen? Wird ein feineres Gefühl des Schönen und Guten bey dem ansehnlichsten Theile der Nation so allgemein werden, wie das Gefühl von Galanterie und Artigkeit, ritterlicher Ehre und Tapferkeit in den Zeiten der schwäbischen Dichter gewesen ist? [257] Werden unsre Dichter diesem Theil der Nation wichtige Männer seyn? Werden wir Dichter sehen, die es nicht deßwegen sind, weil ihr noch junger Geist von den Schönheiten der Alten zur Nachahmung gereizt worden, sondern von dem Geiste getrieben, der einen Homer, einen Sophokles, einen Euripides zu Dichtern gemacht, und der dem Horaz seine starken Oden an das römische Volk eingegeben hat?11 Diese Fragen muß die Zukunft beantworten.

1S. Anakreons Ode auf die Cicada.
2S. Lied.
3La poesie populaire & purement naturelle a des naivetés & des graces, par où elle se compare à la principale beaute de la poesie parsaite selon l'art: comme il se void és villanelles de Gascongne & aux chansons, qu'on nous rapporte des Nations, qui n'ont cognoissance d'aucune science, ni même d'écriture. Montagne. L. I. c. 54.
4S. Aristot. Eticor. L. I c. 2.
5Poetic. c. 4.
6Pl. in dem Gespr. Mönos. Ἡ δε Τραγῳδια ἐςι παλαιον ἐνϑαδε, oχ, ὠς ὀιονταμ, ἀπο Θεσπιδος ἀρξαμενη, oδ' απο φευνιχον. 'Αλλ' ἐι δελεις ἐννοῆσαΙ πανυ παλαιον ἀυτο ἐυρησεις ὀν τῆς δε τῆς πολεως ἐυρημα.
7

Wir horten je dikke singen

Von alten dingen,

Wi suelle helide vuhten

Wi si veste burge brechen

Wi sich lieb in vuiniscefle Schieden,

Wi riche Künige al zegiengen.

Nu ist ciht daz wir dencken

Wi wir selve sülin enden.

8Sammlung von Minnesingern aus dem schwäbischen Zeitpunkte CXL Dichter enthaltend &b. Zurich bey Orell u. Comp. 1758. 4. 2 Theile.
9Eines der beträchtlichsten ist das, was Bodmer unter dem Titel: Chriemhilden Rache 1757. herausgegeben hat.
10S. Sammlung critischer, poetischer und andrer geistvoller Schriften, 7 St. f. 54.
11Lib. III. od. 5. u. 6. Epod. 7. u. 16.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 250-258.
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