Der Tonsezer, der die Verfertigung eines Liedes für eine Kleinigkeit hält, wozu wenig Musik erfodert wird, würde sich eben so betrügen, als der Dichter, der es für etwas geringes hielte, ein schönes Lied zu dichten. Freylich erfodert das Lied weder schweere Künsteleyen des Gesanges, noch die Wissenschaft, alle Schwierigkeiten, die sich bey weit ausschweifenden Modulationen zeigen, zu überwinden. Aber es ist darum nichts geringes durch eine sehr einfache und kurze Melodie, den geradesten Weg nach dem Herzen zu finden. Denn hier kommt es nicht auf die Belustigung des Ohres an, nicht auf die Bewundrung der Kunst; nicht auf die Ueberraschung durch künstliche Harmonien und schweere Modulationen; sondern lediglich auf Rührung.
Eine feine und sichere Empfindung der, jeder Tonart eigenen Würkung, ist hier mehr, als irgendwo nöthig. Denn wo zum Lied der rechte Ton verfehlt wird, da fällt auch die meiste Kraft weg. Darum hat der Liedersezer das feineste Ohr zu der genauesten Beurtheilung der kleinen Abänderungen der Intervalle nöthig, von denen eigentlich die verschiedenen Würkungen der Tonarten abhängen. Wem jede Secunde und jede Terz so gut ist, als jede andre, der hat gewiß das zum Lied nöthige Gefühl nicht.
Ferner muß seiner Natur gemäß das Lied sehr einfach, und ohne viel Melismatische Verzierungen gesezt werden,
–– als ob kunstlos aus der Seele
Schnell es strömte. –1
Fast jeder einzele Ton darin muß seinen besondern Nachdruk haben. Darum muß der Sezer um so viel sorgfältiger seyn, auf jede Sylbe das rechte Intervall zu treffen. Dann hier wird kein Fehler durch das Geräusch der Instrumente bedekt, wie etwa in grössern Stüken geschieht. Wo von jeder Note eine bestimmte merkliche Würkung erwartet wird, muß sie auch so gewählt seyn, daß sie der Erwartung genug thue. Hier werden selbst die kleinesten Fehler merklich, und verderben viel. Es därf hier kaum erinnert werden, daß die Tonarten, welche die reinesten Intervalle haben, und überhaupt [718] die harten Tonarten, zu vergnügten, die weichen aber, und die, deren Intervalle weniger rein sind, zu zärtlichen und traurigen Empfindungen sich am besten schiken.
Nach der guten Wahl des Tones, die der Sezer nicht eher treffen kann, als bis er den wahren Geist des Liedes empfunden hat, muß er den besten, und dem Lied vollkommen angemessenen Vortrag, oder die wahre Declamation desselben zu treffen suchen. Denn es ist höchst wichtig, daß er diese in der Melodie auf das vollkommenste beobachte. Dadurch wird sein Gesang leicht, wie er im Lied nothwendig seyn muß. Darum muß er nicht nur überhaupt die langen Sylben von den kurzen, sondern auch die mehrere Länge von der mindern, wol unterscheiden. Die Füße muß er auf das genaueste in dem Gesange so beobachten, wie der Dichter sie beobachtet hat, und die verschiedenen Sylben derselben, die einen unzertrennlichen Zusammenhang haben, muß er nicht dadurch trennen, daß er mitten in einem Fuß vollkommene Consonanzen sezt, die das Ohr befriedigen. Er muß sich nicht darauf verlassen, daß die Harmonie dergleichen Fehler in der Melodie bedeke; denn das Lied muß auch ohne Baß vollkommen seyn; weil die meisten Lieder, als Selbstgespräche nur einstimmig gesungen werden. Man muß also ohne Schaden, den Baß davon weglassen können; darum muß schon in der bloßen Melodie ein vollkommener Zusammenhang der Töne, die zu einem Einschnitt gehören, und die ununterbrochene Verbindung der kleinern Einschnitte untereinander, merklich werden. Eben so müssen auch die verschiedenen Einschnitte und Abschnitte schon, ohne alle Hülfe der Harmonie, durch die Melodie allein ins Gehör fallen. Den Umfang der Stimme muß man für das Lied nicht zu groß nehmen, weil es für alle Kehlen leicht seyn soll. Darum ist das Beste, das man in dem Bezirk einer Sexte, höchstens der Octave bleibe. Aus eben diesem Grunde müssen schweere Fortschreitungen und schweere Sprünge vermieden werden.
Kleinere Melismatische Verzierungen müssen schlechterdings so angebracht werden, daß aus der Sylbe, worauf sie kommen, nicht zwey, oder noch mehrere gemacht werden. Sie müssen so beschaffen seyn, daß sie als bloße Modificationen oder Schattirungen der Hauptnote erscheinen. Höchst selten können sie auf kurzen Sylben angebracht werden. Aber weder auf diesen, noch auf den langen, sollen sie die Deutlichkeit der Aussprache verdunkeln. Denn das Lied muß auch in Singen von dem Zuhörer in jedem einzeln Worte verständlich bleiben. Jeder verständige Tonsezer wird fühlen, wie schweer es ist diesen Foderungen genug zu thun; und doch ist dieses noch nicht alles; denn die genaue Beobachtung des rhythmischen Ebenmaaßes macht neue Schwierigkeiten, zumal, wenn die Strophen kurz sind. Hat der Dichter es darin versehen; so kann der Tonsezer sich ofte nicht anders helfen, als daß er etwa ein Wort wiederholt, um das Ebenmaaß herauszubringen. Aber wie sehr selten wird dieses alsdenn für jede Strophe schiklich seyn?
Eine besondere Sorgfalt muß auch auf die gute Wahl des Takts und der Bewegung gewendet werden. Dieses macht den Gesang munter, oder ernsthaft, feyerlich oder leicht. Darum müssen beyde dem Inhalt und den Ton, dem der Dichter gewählt hat, vollkommen angemessen seyn. Je grössere Bekanntschaft der Tonsezer mit allen verschiedenen Tanzmelodien aller Völker hat, je glüklicher wird er in diesem Stüke seyn. Wenn man eine gute Sammlung solcher Tänze hätte, so würde das verschiedene charakteristische, das man in dergleichen Stüken, wodurch die Nationalgesänge sich auszeichnen, am leichtesten bemerkt, dem der Lieder sezen will, zu großer Erleichterung dienen. Endlich muß der Sezer auch die Eigenschaften der Intervalle zum guten Ausdruk aus Erfahrung kennen. Er muß bemerkt haben, daß z.B. die großen Terzen, im Aufsteigen etwas fröhliches, die aufsteigenden Quarten etwas lustiges haben; daß die kleinen Terzen im Aufsteigen zärtlich, im Heruntersteigen mäßig fröhlich sind; daß die kleine Secunde aufsteigend etwas klagendes hat, die große Secunde absteigend beruhigend, aufsteigend aber mehr beunruhigend ist; daß besonders ein Fall der großen Septime etwas schrekhaftes hat. Je mehr er dergleichen Beobachtungen gemacht hat, je gewisser wird er den wahren Ausdruk erreichen.
Es giebt Lieder, die am besten Choralmäßig gesezt werden; andre müssen ihren Charakter von dem rhythmischen bekommen, und einstimmig seyn. Es kommen aber auch solche vor, die wie Duette, oder Terzette müssen behandelt werden. Ferner können gesellschaftliche Lieder vorkommen, die man am besten Fugenmäßig, auch solche, die als förmliche Canons können behandelt werden. [719] Es sind vor einigen Jahren kurz hintereinander verschiedene Sammlungen deutscher in Musik gesezter Lieder herausgekommen, darunter die erste Sammlung, auserlesener Oden zum Singen beym Clavier von dem Capellmeister Graun,2 (denn die zweyte Sammlung ist nicht von ihm, ob sie gleich seinen Namen führet) die Oden mit Melodien von Hr. C. P. E. Bach3, die Lieder mit Melodien von Hr. Kirnberger4 die vorzüglichsten sind. Seitdem die comischen Opern in unsern Gegenden aufgekommen sind, hat sich auch Hr. Hiller in Leipzig, als einen Mann gezeiget, der eine große Leichtigkeit hat angenehme und überaus leichte Liedermelodien zu machen.
Die Alten hatten für jede Gattung des lyrischen ihre besondern Vorschriften wegen des Sazes, wie aus einer Stelle des Aristides Quintilianus erhellet, aus welcher auch zu schließen ist, daß sie zu den Liedern die höhern Töne ihres Systems genommen haben, zu den hohen Oden die mittlern, und zu den tragischen Chören die tiefsten.5
1 | Klopst. in der Ode die Chöre. |
2 | Berlin bey Wewer 1764. |
3 | Berlin bey Wewer 1762. |
4 | In demselben Verlag u. Jahre. |
5 | Modi Melopoiæ genera quidem sunt tres; Dythyrambicus, Nomicus, Tragicus. Quoram Nomicus quidem est Netoides; Dithyrambicus Mesoides; Tragicus hypatoides. De Musica L. I. nach S. 30. nach der Meibom. Ausgab und Uebersezung. |
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