[140] Militair (das) wird nach dem Lateinischen überhaupt der Soldaten- oder Kriegerstand und militairisch daher Alles geheißen, was sich auf denselben bezieht. Unter Militairverfassung wird demnach die Art und Weise verstanden, wie in einem Lande das Kriegs- oder Heerwesen eingerichtet ist, von dem natürlich die Militair- oder Kriegspflichtigkeit der Einwohner, d.h. ihre Verpflichtung zum Dienst im Heere auf eine bestimmte Zeit, einen wesentlichen Theil ausmacht, worüber jedoch selbst in den deutschen Bundesstaaten sehr ungleiche gesetzliche Bestimmungen gelten. So ist z.B. in Preußen im Allgemeinen jeder Staatsangehörige, mit alleiniger Ausnahme der Mitglieder standesherrlicher Familien, vom 20. Jahre an zu dreijährigem Dienste im stehenden Heere verbunden, nach welcher Zeit er zwei Jahre als Kriegsreserve, wie die im Fall eines Kriegs zur unmittelbaren Verstärkung des Heers bestimmte Mannschaft heißt, in die Heimat entlassen, nach, her aber bis zum 39. Jahre zur Landwehr (sch.) versetzt wird. Auch im Königreiche Sachsen ist mit wenigen Ausnahmen nach zurückgelegtem 20. Jahre jeder taugliche Mann zu sechsjährigem Dienste im Heere verpflichtet, kann sich aber in Friedenszeiten durch Bezahlung von 200 Thlr. an die dazu bestellte Militairbehörde, im Kriege nur durch Stellung eines tauglichen Ersatzmannes vom persönlichen Dienste losmachen, für den er aber auch wenigstens 200 Thlr. bei derselben Behörde niederlegen muß, welche Gelder den Stellvertretern bei ihrer Entlassung ausgezahlt werden. In Östreich beginnt dagegen die Verpflichtung zum Kriegsdienste mit zurückgelegtem 19. Lebensjahre und die Dauer desselben ist auf 14 Jahre bestimmt; durch Stellung eines Ersatzmannes auf eigne Kosten kann sich indeß Jeder vom persönlichen Dienste befreien, auch sind unter Andern Adel, Geistliche, Staatsbeamte, Doctoren und Candidaten der Rechte und Medicin, Gewerbsinhaber, Eigenthümer von Bauernwirthschaften und Studenten, insofern sie sich vorzügliche Zeugnisse erworben haben, vom Kriegsdienst ausgenommen. Für die wissenschaftliche und höhere Ausbildung junger Leute zu Offizieren bestehen in allen größern Staaten Militair- oder Kriegsschulen, Militairakademien, Cadettenanstalten (s. Cadet), sowie für besondere Zweige des Dienstes Artillerie- und Ingenieurschulen. Ebenso bestehen in mehren Ländern besondere Bildungsanstalten für die vom Staate ausschließlich zur Behandlung kranker oder verwundeter Soldaten in Friedens- und Kriegszeiten angestellten Militairärzte und Militairchirurgen, welche jetzt einen wesentlichen Theil der Heere bilden und in Generalstabs-, Regiments-, Bataillons- und Compagnieärzte und -Chirurgen eingetheilt werden. Sie begleiten die Truppen auf dem Marsche, in die Lager und Schlachten und leisten ihnen überall die mögliche Hülfe, weshalb sie dann die nothwendigsten Heilmittel, chirurgische Instrumente und Verband. stücke bei sich führen müssen. – Die Militairgeographie betrachtet die Länder vorzugsweise hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und Beschaffenheit für die Kriegführung, daher die zum Unterhalte eines Heeres tauglichen Landesproducte, die Eigenschaften des Bodens, die Beschaffenheit der Festungen, die Bauart der Städte und Ortschaften und inwiefern sie sich zur Vertheidigung, zur Anlegung von Kriegsvorräthen und Hospitälern eignen, sowie der kriegerische Geist der Bevölkerung, der Zustand der Landstraßen, Brücken, schiffbaren Flüsse, Hauptsachen für sie sind und auf Militairkarten deshalb die möglichst genaue Angabe der Beschaffenheit des Bodens, der Bäche, Sümpfe, Haupt- und Nebenwege, der Gebüsche, einzelnen Häuser, kurz die sorgfältigste Darstellung der betreffenden Gegend gefodert wird. – Militairstraßen werden im Allgemeinen Heerstraßen genannt, welche den Truppen in gewissen Richtungen zu allen Jahreszeiten das Fortkommen sichern und gewöhnlich von ihnen eingeschlagen werden. Frankreich hat deren neuerdings in der Vendée anlegen lassen, um bei Truppenbewegungen auf keine Hindernisse des Bodens zu stoßen. Ferner heißen auch Militairstraßen diejenigen, auf welchen vertragsmäßig fremde [140] Truppen durch ein Land ziehen und nach Übereinkunft verpflegt werden, wie z.B. die östr. Besatzung von Mainz (s.d.) durch Baiern und die preuß. Truppen durch braunschweiger und hanöv. Gebiet, wenn sie sich aus einem der zwei getrennten Theile des Staats in den andern begeben sollen. – Militairetat heißt der Anschlag des Bedarfs zur Erhaltung des stehenden Heeres eines Landes; Militaircommission eine Commission zur Besorgung gewisser militairischer Angelegenheiten. Das Benehmen des Soldaten gegen seine Vorgesetzten, gegen den friedlichen Einwohner und gegen den Feind ist durch die Militair- oder Kriegsgesetze bestimmt, auf deren Übertretung die in frühern Zeiten ungemein strengen Militairstrafen gesetzt sind. So wurden die Landsknechte durch die Spieße gejagt, d.h. der Verbrecher ward in eine von Lanzenträgern gebildete Gasse gestoßen und von den zu beiden Seiten Stehenden erstochen. Später entstand daraus das Spießruthen- oder Gassenlaufen, bei dem der Sträfling mit nacktem Oberleibe zwischen zwei Reihen Soldaten, die mit Ruthen auf ihn losschlugen, mehr oder weniger oft hindurchgehen mußte, was aber auf zwei und drei Tage vertheilt ward, wenn es 16–24mal geschehen mußte. In neuester Zeit ist jedoch das Gassenlaufen gänzlich, sowie meist auch die Stockschläge, abgeschafft und durch verschiedene Grade von Arrest oder Gefängniß und andere Strafen ersetzt worden. Der strengste Arrest wird in einem Raume bestanden, dessen Fußboden aus auf die scharfe Kante gelegten Latten besteht, sodaß der ohne Schuhe und nur dünn gekleidete Sträfling ohne Schmerzen weder stehen, liegen noch sitzen kann, daher bei langen Verurtheilungen alle drei Tage ein Tag zur Erholung gestattet wird. Als Lebensstrafe ist das Erschießen die gewöhnliche; Ausreißer, die nicht wieder zu erhalten sind, werden abwesend zum Galgen verurtheilt und ihre Namen an denselben angeschlagen. Gelindere Strafen sind das Exerciren mit umgekehrter Montirung, das Stehen mit geschultertem Gewehr, während die Andern exerciren, und der Haus- oder Stubenarrest. – Militaircolonien werden solche Ansiedelungen von Truppenabtheilungen genannt, mit denen die stete Vereinigung bedeutender Streitkräfte an bestimmten Orten und auf verhältnißmäßig kleinem Raume, sowie die Ergänzung derselben und die Versorgung mit den gewöhnlichen Lebensbedürfnissen aus eignen Mitteln beabsichtigt wird. Schon Alexander der Große legte solche militairische Niederlassungen an, ebenso die alten Römer namentlich an den Grenzen des Reichs, wie z.B. am Rheine. In neuerer Zeit war die östr. Militair grenze (s.d.) die ausgebildetste Einrichtung der Art, seit 1817 sind aber auch in Rußland in der Nähe seiner westl. und südl. Grenzen große Militaircolonien gegründet worden. Den Plan dazu entwarf der unlängst verstorbene Artilleriegeneral Graf Araktschejeff, der auch bis 1825 Oberbefehlshaber derselben war, und es wurde zuerst eine Division Infanterie im Gouvernement Nowgorod und eine Division Reiterei im Gouvernement Charkoff angesiedelt. Die Schwierigkeiten dieser Einrichtungen waren nicht gering, indem nicht nur die dazu ausersehenen Kronländereien meist erst urbar gemacht, Sümpfe ausgetrocknet, Waldungen ausgerottet, sondern auch große Bauten ausgeführt werden mußten. Zu beiden Seiten eines breiten Weges wurden in gewissen Zwischenräumen Gehöfte errichtet, hinter denen nur durch einen zweiten Weg geschieden die einem jeden zugetheilten Küchengärten und Felder liegen; sodann wurden eine bestimmte Anzahl von Kronbauern auf die neuen Anlagen versetzt und endlich in jeden Hof mehre Soldaten gelegt, welche die Bauern erhalten müssen, von ihnen aber beim Feldbau unterstützt werden. Das auf diese Art einem Bataillon angewiesene Gebiet ist über drei Stunden lang, nach Compagnien abgetheilt, deren jede, sowie das ganze Bataillon, seinen Exercierplatz hat, welcher nebst Kirche, Magazinen und Wohnungen der Offiziere im Mittelpunkte des Ganzen liegt. Da die ganze männliche Bevölkerung der russ. Militaircolonien in den Waffen geübt wird und Alles unter derselben militairischbürgerlichen Verwaltung steht, so tritt eine Verschmelzung des Bauern- und Kriegerstandes ein, welche für Bodencultur und Verbreitung einer gewissen Bildung sehr günstig sein muß und sich am vortheilhaftesten in der heranwachsenden Generation der Ansiedelungen ausspricht, welche in den angelegten Schulen unterrichtet und schon frühzeitig in den Waffen geübt wird, auch Gelegenheit zur Erlernung aller für diese Anstalten ersprießlichen Handwerke und Künste erhält. Die Dienstzeit der Soldaten ist 25 Jahre, wovon unter gewöhnlichen Verhältnissen 15 auf den wirklichen Dienst und das Übrige auf den als Reservemannschaft kommen. Man hat es auf diese Weise schon jetzt dahin gebracht, daß jedes colonisirte Regiment eine Reserve von fast 3000 M. hat und den Sold für die Soldaten, das Tuch zur Montur und die Bewaffnung ausgenommen, alles Übrige von den Colonien bestritten wird, die außerdem noch große Vorräthe von Getreide aufspeichern und davon einen großen Theil des Bedarfs der russ. Armee im letzten türk. Kriege lieferten.