Tugendbund

[491] Tugendbund wird gewöhnlich jener Verein genannt, welcher nach dem tilsiter Frieden in Königsberg in Preußen sich bildete und der um die Wiedergeburt dieses Staats und die Abwerfung der franz. Fremdherrschaft die wesentlichsten Verdienste sich erworben hat. Es traten zuerst im Frühjahre 1808 nur 20 patriotisch gesinnte Männer zusammen, um gemeinsam zur Beruhigung und Ermuthigung der vom allgemeinen Unglück gebeugten Gemüther beizutragen, und Liebe und Vertrauen zum Vaterlande und königl. Hause zu erhalten und zu mehren; ferner um Mittel gegen das Unglück des Staats aufzufinden und dieselben ausführen zu helfen, um eine verbesserte Einrichtung des Heers zu vermitteln, für Verbesserung der Erziehung zu sorgen, einzelne Nothleidende zu unterstützen, der Policei hülfreich an die Hand zu gehen und mittels der Presse Denen entgegen zu arbeiten, welche Unfrieden ausstreuten. Die sorgfältig erwogenen Gesetze des Vereins wurden den höchsten preuß. Staatsbeamten, ja dem König Friedrich Wilhelm III. selbst mitgetheilt und von diesem in einer eigenhändig vollzogenen Cabinetsordre bestätigt. Es mußten ferner von Zeit zu Zeit der Regierung Verzeichnisse seiner Mitglieder und Berichte über sein Wirken eingereicht werden, und schon deshalb war dieser, in seinem Grundgesetz der sittlich wissen schaftliche Verein genannte kein geheimer. Es lagen ferner die Zwecke und Einrichtungen desselben jedem Mitgliede offen vor und nur darin fand eine Beschränkung statt, daß nicht über ihn geschrieben und mit Nichtmitgliedern gesprochen werden durfte. Übrigens wurden aber nach seiner größern Verbreitung weder seine Versammlungen noch seine Arbeiten auf irgend verheimlichende Weise betrieben. Zur Aufnahme befähigt waren nur christliche, unbescholtene Unterthanen des Königs von Preußen, und der Beitretende mußte schriftlich die Beförderung der Zwecke des Vereins und die treue Anhänglichkeit an das in Preußen regierende Haus Hohenzollern geloben. Wer aus dem preuß. Unterthanenverband trat, hörte auf Mitglied zu sein; ebenso [491] konnte man jederzeit aus irgend einem Grunde von selbst austreten, aber auch der Verein hatte das Recht, unwürdige Mitglieder auszuschließen.

Nachdem der Verein in Königsberg außerordentlich zahlreich geworden war und seine Sitzungen und gemeinsamen Arbeiten in einem dazu besonders gemietheten Locale vor sich gingen, ward auch die Bildung von Zweigvereinen in andern Städten beschlossen. Der erste derselben kam in Braunsberg zu Stande, und rasch entstanden deren im ganzen Königreiche Preußen, in Pommern, in Schlesien und auch einzelne in der Mark Brandenburg, welche Mitglieder aus allen Volksclassen zählten. Eine der ersten wohlthätigen Wirkungen desselben war die Ausgleichung der zwischen dem Krieger- und Bürgerstande bestehenden Spaltung, indem jenem sein vor dem Kriege übermäßig hochfahrendes Benehmen gegen den letztern jetzt auf gleich empfindliche Art vergolten wurde. Der Verein legte deshalb seinen Mitgliedern die Verpflichtung auf, sich jedes in Gesellschaft wegen seines Standes oder für seine Person angegriffenen Offiziers anzunehmen, und den militairischen Mitgliedern wurde dasselbe hinsichtlich der Bürger zum Gesetz gemacht, wodurch die Eintracht sich allmälig herstellte. Die Arbeiten militairischer Mitglieder des Vereins wurden von den höchsten, mit der Wiedergeburt des preuß. Heers beauftragten Offizieren mit dem größten Erfolg benutzt, wie denn überhaupt seine belebende und erhebende Wirksamkeit sich nach allen Richtungen erstreckte. Die ursprünglichen Gründer desselben blieben übrigens auch die Leiter des Ganzen, und aus der Mitte dieser 20 wurde halbjährlich der aus fünf Männern bestehende hohe Rath erwählt, welcher an der Spitze des Ganzen stand und in Königsberg seinen Sitz hatte. Zu ihm gehörte ein sechster als Obercensor, welcher auf Beobachtung der Gesetze zu sehen und überhaupt die allgemeine Beaufsichtigung des Vereins in diesem Sinne über sich hatte. Geldbeiträge zur Bestreitung der Kosten des Vereins wurden von den Mitgliedern nur freiwillig gegeben. Es konnte indessen nicht fehlen, daß den auf alle Vorgänge in Preußen sehr aufmerksamen Franzosen die zwar in den Grundgesetzen des Vereins nicht ausgesprochene, allein daraus folgernden Zwecke desselben einleuchteten, welche auf Abwehr der Fremdherrschaft und Herstellung des preuß. Staats in seiner frühern Bedeutung gingen. Daher suchten sie ihn zu beschränken, wo sie konnten und sahen ihn ausschließlich als eine geheime politische Gesellschaft an. Als nun vollends der Major von Schill (s.d.), ein bekanntes Mitglied desselben, 1809 ihren Argwohn durch seinen abenteuerlichen Zug gegen die Franzosen von Berlin aus erhöhte, und aufgefangene Briefe des damaligen preuß. Ministers Freiherrn von Stein, eines entschiedenen Beschützers des Vereins, dem er aber nicht selbst angehörte, ihre Meinung bestärkten, dieser von ihnen ohnedies gefürchtete Mann beabsichtige eine allgemeine Erhebung der Deutschen durch den Tugendbund zu vermitteln, so setzte Napoleon die Entfernung desselben vom Amt und die Aufhebung des Vereins durch. Diese erfolgte im Dec. 1809 durch eine königl. Cabinetsordre, welche die augenblickliche Auflösung und die Einsendung aller Papiere desselben nach Berlin verfügte, wohin der König und die Regierung zurückgekehrt waren. Man leistete diesem Befehle willig Folge, allein wie bei der letzten Sitzung in Königsberg ein Vorsteher desselben aussprach: »Nach dem Willen des Königs ist unser Verein der Form nach aufgelöst; wir werden uns nie mehr versammeln und die gemeinsame Thätigkeit hat aufgehört. Aber daß der Bund in unsern Herzen fortlebe, wie ich hoffe, ist nicht dem Willen unsers Monarchen entgegen. Wir werden noch bessere Zeiten sehen!« so geschah es, und nach dem Rückzuge der Franzosen aus Rußland waren es besonders ehemalige Mitglieder des Tugendbunds, welche in Ostpreußen die allgemeine Landesbewaffnung so erfolgreich vorbereiten halfen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 491-492.
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