Wasserglas

[844] Wasserglas, glasartige, durch Schmelzung von Kieselerde mit Kali (Kaliwasserglas), Natron (Natronwasserglas), mit Kali und Natron (Doppelwasserglas oder Kalinatronwasserglas) erhaltene, im Wasser lösliche Verbindung, auch Silikat, flüssiges. Silikat, Kalisilikat, Natronsilikat, lösliche Kieselsäure, Kieselerdelösung, Kieselsäurelösung, versteinernde Kieselsäurelösung, bei den Alten Oleum silicium, Liquor silicii, Liquor silicium, Kieselfeuchtigkeit genannt. Es läßt sich mit Wasser in allen Verhältnissen mischen und muß vollkommen klare und durchsichtige Lösungen bilden.

Im Handel gibt man gewöhnlich an, wieviel festes Wasserglas in 100 Teilen Lösung sich befindet und unterscheidet so 33 prozentiges und 66 prozentiges. Streicht man die Wasserglaslösung auf einen Gegenstand auf, der sie aufsaugen kann, so erhält man eine glänzende, glasähnliche, spröde Schicht; verdünnt man Wasserglas mit gewöhnlichem Wasser, so wirken die Kalk- und Magnesiasalze derselben zersetzend ein und verursachen Trübung und Niederschlag, weshalb man zum Verdünnen nur destilliertes oder abgekochtes Wasser verwenden soll. Die Kohlensäure der Luft, welche von dem Wasserglas angezogen wird, zersetzt dasselbe unter Bildung von kohlensauerm Alkali und gallertartiger Kieselsäure. Auch die trockene, glasartige Schicht, die nach dem Eintrocknen hinterbleibt, zersetzt sich an der Luft, blättert und fällt endlich ganz ab. Alkohol scheidet aus der Wasserglasauflösung das kieselsaure Alkali ab; dieser Eigenschaft kann man sich bedienen, um reines Wasserglas aus einer unreinen Lösung herzustellen. Säuren zersetzen sowohl flüssiges als auch festes Wasserglas und wirken auf letzteres in verdünntem Zustande schneller als in konzentriertem, wobei sie Kieselsäure in Pulverform abscheiden. Salze mit alkalischen Basen erzeugen kleisterartige Niederschläge. Die alkalischen Erden machen aus Wasserglaslösung etwas Alkali frei und vereinigen sich mit der Kieselerde und dem übrigen Kali zu dreifachen in Wasser unlöslichen Verbindungen. Tonerde verbindet sich damit zu in Wasser unlöslichem Produkte, und eine ähnliche Verbindung entsteht, wenn man Auflösungen von Ton- und Kieselkali zusammenbringt. In den Lösungen fast aller Metallsalze bringt die Wasserglaslösung sehr voluminöse Niederschläge hervor, teils als kieselsaure Metalloxyde, teils Verbindungen von basischen Metallsalzen mit kieselsauerm Kalk mit geringerem Kaligehalt als im Wasserglas. Kupfersalze geben einen blauen Niederschlag, der bald mehr, bald weniger grün in der Hitze die Farbe behält. Poröse lockere Gesteinsmassen, z.B. gebrannte Tone, Ziegel, Töpferwaren, ebenso Sandsteine, saugen das Wasserglas begierig auf und erhalten größere Dichtigkeit und Härte. Quarzpulver adhäriert mit Wasserglas für sich nicht, wohl aber, wenn man es mit wenig an der Luft zerfallenem Kalk vermischt. Zinkoxyd und Bittererde zersetzen Wasserglas, indem sich die Kieselerde mit einem Anteil Kali und der Magnesia bezw. dem Zinkoxyd verbindet und bei Gegenwart von Kohlensäure zugleich kohlensaures Kali entsteht; hierbei bildet sich eine stark bindende, in Wasser unlösliche Substanz. Gips mit Wasserglas zusammengerieben gerät sogleich ins Stocken, und beim Austrocknen treten an der Oberfläche Ausblühungen von schwefelsauerm Kali (und Natron) auf; es tritt eine Zersetzung ohne Erhärtung ein. Barytweiß, schwefelsaurer Baryt, mit Wasserglas auf Glas aufgetragen, erteilt diesem eine schöne milchweiße Farbe, mit heißem Wasser nicht abwaschbar und bei höherer Temperatur sich in weißes Email verwandelnd. Mit farbigen Metalloxyden, die Wasserglas nicht zersetzen, lassen sich verschiedene Anstriche und Kitte erzeugen; die letzteren entstehen auch mit solchen Farben, welche mit der Kieselsäure des Wasserglases sich unlöslich verbinden. In diesem Falle ist Wasserglas im Ueberschusse hinzuzufügen, damit die farbige Verbindung durch letzteres festgehalten wird. – Die Darstellung erfolgt nach drei Methoden: 1. jene, bei welcher die Mischung der Rohmaterialien, der Glassatz, geschmolzen und die erkaltete Schmelze in kochendem Wasser gelöst wird. Man bezeichnet sie als Schmelzmethode (Fuchs, Buchner, Schurr). 2. Diejenige, bei welcher Kieselerde in Pulverform unter einem Druck von 7 bis 8 Atmosphären in starker Kali- oder Natronlauge gelöst wird; nasse Methode (Kuhlmann, Liebig, Sauerwein). 3. Diejenige, bei welcher Chloralkalien (Chlornatrium, Chlorkalium) verflüchtigt und mit überhitztem Wasserdampf vermischt durch glühende Kieselerde in kieselsaure Alkalien und Chlorwasserstoff zersetzt werden. – Diese Methode nennt man Verdampfungsmethode (Gossage, Ungerer). – Hardings stellt Wasserglas als Nebenprodukt bei Gewinnung des Goldes aus Gold führenden Quarzen dar; nach Persoz kann man kieselsaures Ammoniak (Ammoniakwasserglas) darstellen, wenn man ein Gemenge von Kieselgallerte in Ammoniak in einem verschlossenen Gefäße erhitzt. Die Versuche, aus Hochofenschlacke Wasserglas herzustellen, haben zu keinem praktischen Resultate geführt. Scheurer-Kestner versuchte, aus Quarz Wasserglas herzustellen, doch konnte kein genügend mit Kieselsäure gesättigtes Produkt erzielt werden. Um nach einer oder der andern genannten Methode ein gutes Produkt zu erzielen, muß man reine, namentlich eisenfreie Rohmaterialien anwenden. Als[844] Rohmaterialien dienen ätzende oder Chloralkalien und Kieselerdeverbindungen. Schwefelnatriumwasserglas, eine Verbindung von Schwefelnatrium mit Wasserglas, findet in der Papierfabrikation, Kaseinwasserglas (frischer Käse in Wasserglas gelöst) zu Anstrichen Anwendung. Aethersilikat ist ein durch Aether gereinigtes Wasserglas in fester Form, Fixierungswasserglas ein Doppelwasserglas, in der Stereochromie angewendet, flammensicheres Wasserglas ist ein gewöhnliches dünnflüssiges Wasserglas; neutrales Silikat ist ein Wasserglas, in welchem noch eine gewisse Menge Infusorienerde gelöst wurde. Kalknatronsilikat entsteht beim Behandeln von Wasserglassteinen (aus Sand, Portlandzement und Wasserglas) mit Chlorkalium.

Das Wasserglas findet ausgedehnte Anwendung zu Anstrichen, in der Appretur, als Bindemittel für künstliche Steine, zu. Kitten, zum Bleichen, in der Druckindustrie, zum Konservieren von Eiern, in der Seifenfabrikation teils als Füllmaterial, teils zu besonderen Seifensorten (Natronwasserglasseife, Schmierseife), zu Waschzwecken (Wasserglaskomposition), als Glasur und Email (kaltes Email), in der Papierfabrikation zum Leimen des Papiers (Harzleimwasserglas), zum Imprägnieren von Mauerwerk, Steinen und Holz, in der Färberei, als Kesselsteinlösungsmittel, für Meerschaumimitation, zum Reinigen von Rübensaft u.s.w.


Literatur: Bernhard, Das Wasserglas, seine Darstellung und Anwendung, Frankfurt a.M. 1893; Krätzer, Wasserglas und Infusorienerde, 2. Aufl., Wien 1907.

Andés.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 844-845.
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