Gera [2]

[619] Gera, Stadt im Fürstentum Reuß j. L., Hauptstadt der gleichnamigen Herrschaft oder des unterländischen Verwaltungsbezirks, liegt im Tal der Weißen Elster, 189 m ü. M., und hat nach dem Brande von 1780 ein neues und schönes Ansehen erhalten, das jetzt durch Anlegung mehrerer neuer Stadtteile gehoben worden ist. Charakteristisch für den alten Stadtteil sind die hohen, fast immer mit Felsenkellern versehenen Häuser. G. hat 3 evangelische und eine kathol. Kirche. Bemerkenswert ist besonders das altertümliche Rathaus.

Wappen von Gera.
Wappen von Gera.

Außer dem Standbild des Grafen Heinrich Posthumus (gest. 1635) besitzt G. ein Denkmal Kaiser Wilhelms I., eine Bronzebüste des Komponisten Tschirch, ein Zabel- und ein Liebe-Denkmal und eine Bismarcksäule. Die Bevölkerung beläuft sich 1900 inkl. Garnison (1 Infanteriebataillon Nr. 96) auf 45,634 Seelen, darunter 1089 Katholiken und 170 Juden. Die Industrie ist sehr bedeutend. Obenan steht die Wollwarenmanufaktur (über 30 Fabriken) mit Fabrikation von Kammgarnstoffen, Kammgarnspinnereien, Stückfärbereien und Appreturanstalten. Bedeutend sind auch die Leder-, Tabak- und Zigarren-, insbes. aber die von Wien hierher verpflanzte Harmonikafabrikation. Außerdem besitzt G. ein Elektrizitätswerk, Maschinenbau und Eisengießerei, Wurst-, Handschuh-, Nähmaschinen- u. Wagenfettfabrikation, große Buch- und Steindruckereien und lithographische Anstalten, Bierbrauereien, zahlreiche Kunstgärtnereien mit starker Blumenzucht etc. Der lebhafte Handel, unterstützt durch eine Reichsbankstelle (Umsatz 1902: 684,6 Mill. Mk.), durch die Geraer Gewerbebank und andre Geldinstitute sowie durch eine Handelskammer und ein Konsulat der Vereinigten Staaten Nordamerikas, befaßt sich außer mit den heimischen Erzeugnissen mit Landesprodukten, Mehl, Öl, Spiritus etc. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Bahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Leipzig-Probstzella, Weimar-G. u. a. Von Bildungs- und andern Anstalten hat G. ein Gymnasium (gegründet 1608), ein Realgymnasium, die Amthorsche höhere Handelsschule und Handelsakademie, eine Webschule, Baugewerkschule, Waisenhaus, Theater, ein Bezirksarmen- und Arbeitshaus etc. Die Stadt ist Sitz der Landesbehörden für Reuß j. L., eines Landratsamtes, eines gemeinschaftlichen Landgerichts für Reuß j. L. und den sächsisch-weimarischen Kreis Neustadt (für die fünf preußischen Amtsgerichte G., Hirschberg a. S., Hohenleuben, Lobenstein und Schleiz und die drei[619] weimarischen Amtsgerichte Auma, Neustadt a. Orla und Weida), eines Schwurgerichts und eines Hauptsteueramtes. G. gegenüber, am linken Ufer der Elster, liegt der Ort Untermhaus mit (1900) 6255 Einw., über diesem, am, Abhang des bewaldeten Hainbergs, das fürstliche Residenzschloß Osterstein (300 m ü. M.) mit vielen Kunstschätzen. Auf der gegenüberliegenden Höhe steht der Ferberturm mit prachtvoller Rundsicht.

G., in Urkunden Geraha, verdankt seine Entstehung wahrscheinlich den Sorben, gehörte seit 999 dem Stift Quedlinburg und wurde um 1200 den Vögten von Weida (s. Reuß, Fürstent.) überlassen, während die Lehnshoheit über G. 1358 an die Markgrafen von Meißen fiel. Im sächsischen Bruderkrieg ward G. 15. Okt. 1450 vom Landgrafen Wilhelm III. von Thüringen erstürmt und von den böhmischen Hifssvölkern des letztern niedergebrannt. Im Vertrag zu G. 1598 überließ Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg die fränkischen Fürstentümer seinen Stiefbrüdern. Am Osterfest 1639 wurde G. fast zur Hälfte von den Schweden verwüstet, ferner 1686 und 1780 durch große Feuersbrünste heimgesucht. – Die Herrschaft G., 240 qkm groß, war seit Mitte des 13. Jahrh. Besitztum einer Linie der spätern Fürsten von Reuß, fiel 1550 an die Plauensche Hauptlinie und wurde 1666 mit Saalburg einer Speziallinie zugeteilt, nach deren Aussterben (1802) die Herrschaft an die Fürstenhäuser Reuß-Schleiz und Reuß-Lobenstein-Ebersdorf fiel, welche die Regierung gemeinschaftlich führten, bis 1848 nach der Abdankung des letzten Fürsten von Lobenstein-Ebersdorf das Haus Schleiz in den Alleinbesitz der Herrschaft gelangte (weiteres s. Reuß). Vgl. F. Hahn, Geschichte von G. und dessen Umgebung (Gera 1855, 2 Bde.); Fischer, Die Stadt G. und ihre kommunalen Einrichtungen (das. 1878); »Urkundensammlung zur Geschichte der Herrschaft G. im Mittelalter« (hrsg. von Alberti, das. 1882); Meißner, Die Stadt G. und das fürstliche Haus Reuß j. L. (das. 1893–95).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 619-620.
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