Haverei

[8] Haverei (Havarei, Havarie, franz. Avarie, engl. Average, ital. und portug. Avarīa, span. Avería, skandinav. Havarie, holländ. Avarij; vom arab. awâr [beschädigte Ware] abgeleitet) ist Bezeichnung für Schäden und Unkosten, die während einer Seereise Schiff und Ladung treffen, ausgenommen Totalverlust von Schiff oder Ladung. Je nach dem Umfang und der Art des Schadens unterscheidet man: 1) partikulare oder besondere H., die lediglich durch einen Unfall verursachten Schäden und Kosten; sie wird von den Eigentümern des Schiffes und der Ladung getragen, und zwar von jedem für sich allein (Handelsgesetzbuch, § 701); 2) ordinäre, kleine oder uneigentliche H., die gewöhnlichen Unkosten, die ein beladenes Schiff regelmäßig und abgesehen von eigentlichen Seeschäden auf der Reise zu entrichten und die mangels abweichender Vereinbarung der Verfrachter zu tragen hat (Lotsen-, Hafen-, Leuchtfeuergeld, Schlepplohn etc.; Handelsgesetzbuch, § 621); 3) die eigentliche, große, extraordinäre oder gemeinschaftliche H. (Havarie grosse), betrifft alle Schäden, die dem Schiff oder der Ladung oder beiden zum Zweck der Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr von dem Schiffer oder auf dessen Geheiß vorsätzlich zugefügt werden, sowie auch die infolge dieser Maßregeln ferner entstehenden Schäden und endlich die Kosten all dieser Maßregeln (Handelsgesetzbuch, § 700). Seine Entstehung verdankt dieses Rechtsinstitut einem in das römische Recht und von da erweitert in das Seehandelsrecht übergegangenen Gesetze der Insel Rhodus über das geworfene Gut oder den Seewurf (lex Rhodia de jactu), nach dem alle, die an der Rettung eines Schiffes oder dessen Ladung ein Interesse haben, sich in den Schaden teilen müssen, der dadurch entstand, daß in gemeiner Seenot zur Erleichterung und dadurch ermöglichten Rettung des Schiffes Waren über Bord geworfen wurden. Nach dem Handelsgesetzbuch, § 706, liegt große H. namentlich vor, wenn Waren, Schiffsteile oder Schiffsgerätschaften über Bord geworfen, Masten gekappt, Taue, Segel weggeschnitten, Anker, Ankertaue, Ankerketten geschlippt oder gekappt werden, wenn zur Erleichterung des Schiffes die Ladung ganz oder teilweise in Leichterfahrzeuge übergeladen wird, wenn das Schiff zur Abwendung des Unterganges oder der Wegnahme absichtlich auf den Strand gesetzt wird, wenn es zur Vermeidung einer gemeinsamen Gefahr in einen Nothafen einläuft, gegen Feinde oder Seeräuber verteidigt oder von ihnen losgekauft wird. Der durch große H. entstandene Schaden wird von Schiff, Fracht und Ladung gemeinschaftlich getragen, und zwar bestimmt sich die Größe dieses Schadenanteils nach dem Verhältnis des Wertes von Schiff, Ladung und Höhe der Fracht (§ 700 und 716 ff. des Handelsgesetzbuches). Den Nachweis einer großen H. hat der Schiffer durch die sogen. Verklarung (s. d.) zu führen und zur Feststellung und Verteilung der Schäden die sogen. Aufmachung der Dispache (s. d.) ohne Verzug zu veranlassen. Ähnlich ist die H. im Binnenschifffahrtsverkehr geregelt (§ 78–91 des Binnenschifffahrtsgesetzes). Vgl. außer den Kommentaren zum Handelsgesetzbuch und den Lehrbüchern des Handelsrechts, die das Seerecht behandeln (s. Handelsrecht): Ulrich, Große H. (2. Aufl., Berl. 1903, Bd. 1).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 8.
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