Schwarzes Meer

[123] Schwarzes Meer (im Mittelalter Pontus Euxinus, bei den Russen Tschornoje more, bei den Neugriechen Mauri Thalassa, bei den Türken Kara Dengiz), ein fast abgeschlossenes Binnenmeer, das im W. die Ostküsten der europäischen Türkei (mit Ostrumelien und Bulgarien), Rumäniens und das russische Gouv. Bessarabien, im N. die neurussischen Gouvernements Cherson, Taurien, Jekaterinoslaw, das Donische Gebiet und das Kubangebiet, im O. die transkaukasischen Länder und im Süden Kleinasien bespült. Es steht im äußersten Südwesten durch die schmale, flußartige Meerenge, die Straße von Konstantinopel (Thrakischer Bosporus) und die Straße der Dardanellen (Hellespont), zwischen denen das Marmarameer (Propontis) liegt, mit dem Mittelmeer in Verbindung (s. die Karten »Länder des Mittelmeers«, »Rußland« und »Kaukasien«, für die Südküste auch Karte »Kleinasien«, für die Westküste die Karte »Balkanhalbinsel«). Die Größe des Schwarzen Meeres mit seiner seichten Fortsetzung im NO., dem Asowschen Meer, beträgt 453,000 qkm, ohne das Asowsche Meer 417,000 qkm, seine größte Länge von W. nach O. 1200 km und seine größte Breite 600 km. Das Asowsche Meer steht durch die Straße von Kertsch (Kimmerischer Bosporus) mit dem Pontus in Verbindung. Das Schwarze Meer mit den niedrigen, versumpften Gestaden im N. enthält außer der in der Straße von Kertsch durch die Mündungen des Kuban gebildeten Insel Taman nur ein einziges Eiland, die Schlangeninsel, in der Nähe der Donaumündungen, ist somit beispiellos inselarm. In der einförmigen Küstengestaltung des nördlichen Ufers bringt die Halbinsel Krim, die durch den schmalen Isthmus von Perekop mit dem Festland zusammenhängt, einige Gliederung[123] hervor. Ihre Nordostseite bespült das Faule Meer oder Siwasch. Das Schwarze Meer mit seinen dichten Nebelmassen, nordischen Stürmen, unter Eisdecken erstarrenden Flußmündungen bildet einen Gegensatz zu dem griechischen Archipelagus und mußte den Griechen mit Recht als ein Pontos axeinos (»unwirtliches Meer«), wie es ursprünglich hieß, erscheinen; erst später, nach der Stiftung zahlreicher Kolonien, wurde der Name in Pontos euxeinos (»gastliches Meer«) umgewandelt. Wegen der meist aus O. und NO. tobenden Stürme und des besonders im Winter häufig auftretenden Nebels, nicht wegen seiner Wasserfarbe hat das Meer seinen gegenwärtigen Namen erhalten.

Die Gewässer des Schwarzen Meeres haben einen geringern Salzgehalt als jene des Mittelmeers, nämlich nur 15–18‰. Das Schwarze Meer empfängt (wie die Ostsee) aus den in dasselbe mündenden großen Strömen eine bedeutende Menge süßen Wassers und ist dabei einer sehr geringen Verdunstung ausgesetzt. Regelmäßige Strömungen sind an der Oberfläche des Schwarzen Meeres nach den neuesten russischen Untersuchungen nicht nachweisbar, dagegen existiert eine Tiefenströmung, die dem Schwarzen Meer durch den Bosporus ständig salzreiches Wasser zuführt. Ebbe und Flut sind im Schwarzen Meer kaum bemerkbar. Die Tiefe beträgt an der Nordwestküste nur 70–110 m, steigt bedeutend im Ostteil und erreicht zwischen der Krim und Kleinasien 2244 m; die mittlere Tiefe des Schwarzen Meeres ist zu 1197 m berechnet. Die Temperatur am Boden beträgt in großen Tiefen 9°, doch findet man in den Tiefen von 50–60 m auffälligerweise niedrigere Temperaturen von nur 6–7°. Auch in dieser Beziehung ist somit das Schwarze Meer der Ostsee ähnlich, aber unähnlich den offenen Ozeanen. In Tiefen von 150 m hat das Wasser einen Geruch von Schwefelwasserstoff, und von 400 m ab enthält es so viel von diesem Gase, daß jedes organische Leben unmöglich wird. Ankerplätze finden sich an allen Küsten des Schwarzen Meeres. Die Fischerei ist nicht unbedeutend, ihr Ertrag erreicht für die russische Küste 9 Mill. Rub. jährlich. Ferner werden in den Strandseen (in der Krim und bei Akkerman) bedeutende Mengen von Salz gewonnen (1892: 4,1 Mill. metr. Ztr.).

Die wichtigsten Seehäfen an der europäisch-russischen Küste und: Odessa und Nikolajew an der Nordwestküste; Eupatoria, Sebastopol, Jalta, Feodosia, (Kassa) und Kertsch in der Krim; Berdjansk, Taganrog und Mariupol am Asowschen Meer, an der Ostküste des Schwarzen Meeres, in Kaukasien: Anapa, Noworossijsk, Suchumkalé, Poti und Batum. Die wichtigsten türkischen Hafenplätze in Kleinasien sind: Trapezunt, Samsun, Sinob und Skutari; an der europäisch-türkischen Küste Konstantinopel. An der Westküste gehören Burgas und Warna zu Bulgarien, Constantza, Sulina, Galatz und Braila zu Rumänien. Die wichtigsten Dampferlinien im Schwarzen Meer sind: die Deutsche Mittelmeer Levante-Linie (Norddeutsche Lloyd mit Levante-Linie vereint), der Österreichische Lloyd, Messageries Maritimes, Navigazione Generale Italiana, Russische Gesellschaft für Dampfschiffahrt und Handel, Russische freiwillige Flotte, Schwarze Meer-Donau-Dampfschiffahrt-Gesellschaft; außerdem mehrere griechische, rumänische, und türkische Linien. Telegraphenkabel liegen: ein deutsches von Constantza nach Konstantinopel, ein russisches von Odessa nach Konstantinopel und eins durch die Straße von Kertsch. Sturmsignale werden von 16 russischen Küstenplätzen gemacht. Von jeher hatte die Pforte die Einfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus fremden Kriegsschiffen in Friedenszeiten verboten. Nachdem sie sich 1833 Rußland gegenüber insgeheim verpflichtet hatte, so oft es Rußland verlange, die Dardanellen den Kriegsschiffen jeder andern Nation zu verschließen, setzten die Großmächte 13. Juli 1841 zu London fest, daß beide Meerengen ebenso den russischen Kriegsschiffen verschlossen sein sollten. Auch der Pariser Friede vom 30. März 1856 bestätigte diese Abmachung; es verpflichteten sich Rußland und die Türkei, nur je 10 Schiffe, darunter 6 Kriegsdampfer, im Schwarzen Meer zu halten. Von letzterer Bestimmung sagte sich 31. Okt. 1870 Rußland los und erreichte auf der Pontuskonferenz in London (22. Jan. bis 13. März 1871) die Zustimmung der Großmächte, daß es im Schwarzen Meer Kriegsschiffe in beliebiger Anzahl halten dürfe. Dagegen blieb die Durchfahrt durch beide Meerengen auch nach dem Berliner Vertrage vom 13. Juli 1878 von der Zustimmung der Pforte abhängig; s. Dardanellen. Vgl. Bruhn, Das Bassin des Schwarzen Meeres (russ., Odessa 1880); M. Litwinow, Das Schwarze Meer, ein kriegsstatistischer Überblick (russ., St. Petersb. 1881); Luksch und Wolf, Das Schwarze Meer (in der »Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik«, das. 1886); ***La Mer Noire et les de détroits de Constantinople (Par. 1900); »Segelhandbuch für das Schwarze Meer« (Berl. 1906). Über die unter Kapitän Smirnow (»Tschernomorez-Expedition«) ausgeführten Tiefseeforschungen von 1890–91 vgl. die Schriften der Russischen Geographischen Gesellschaft 1891–94 und besonders 1899. – Den Titel »Fürst des Schwarzen Meeres« führte der ehemalige Zar von Mingrelien (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 123-124.
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