Cicero

[430] Cicero (Marcus Tullius), der berühmteste Redner des alten Roms, geb. 106 v. Chr. zu Arpinum, einem Landgute seines Vaters, der ein vermögender Mann aus einem ritterlichen aber unberühmten Geschlechte war, die Wissenschaften liebte und daher auch seine zwei Söhne durch ausgezeichnete Lehrer frühzeitig mit Philosophie, griech. Schriftstellern, Dicht- und Redekunst bekannt machen ließ. Von Jugend auf zeigte Marcus Luft und Talent zur Beredtsamkeit, durch welche man damals am besten sein Glück als Staatsmann machen konnte, und nachdem er unter Sulla einem Feldzuge beigewohnt, studirte er die Gesetze seines Vaterlandes, übte sich mit seinen Freunden in Ausarbeitung und Haltung von Reden und eignete sich eine so vielseitige Bildung an, daß er nicht nur ganz Herr seiner Sprache war, sondern sich auch über jeden ihm nicht ganz unbekannten Gegenstand mit Geist und Anmuth ausdrücken konnte. Mit 26 Jahren trat er als Sachwalter öffentlich auf und übernahm die schwierige Vertheidigung des von einem vielgeltenden Manne des Vatermordes angeklagten Schauspielers Roscius, der in Folge derselben losgesprochen wurde. Seiner Gesundheit wegen reiste C. jetzt nach Griechenland und Kleinasien, hielt sich eine Zeit lang in Athen auf und übte sich auf der Insel Rhodus unter einen berühmten Lehrer in der Beredtsamkeit, den er eines Tages zu den bedauernden Worten bewog: »Ihr Römer habt uns die Freiheit und die Güter genommen, aber bis jetzt den Ruhm der Beredtsamkeit lassen müssen; nun nimmst du uns auch diesen!« Nach Rom zurückgekehrt, blieb C. Sachwalter, bis er im 31. Lebensjahre als Quästor nach Sicilien geschickt wurde, wo er sich durch Thätigkeit und Gerechtigkeit allgemeine Achtung erwarb. Fünf Jahre darauf wurde er zum Ädil gewählt, und hatte als solcher dem Volke Schauspiele zu geben. Obgleich er nun keine großen Kosten darauf verwenden konnte, so war doch das Volk damit zufrieden, da er wohlfeile Kornpreise bewirkte und sich das Verdienst erwarb, den Verres, der als Proprätor in Sicilien die schamlosesten Bedrückungen sich erlaubt hatte, durch eine ebenso kräftige als geschickt geführte Anklage zu entlarven und zur freiwilligen Verbannung zu zwingen. Als er zwei Jahre später Prätor wurde, zeigte er seine Rechtskunde und Gerechtigkeitsliebe durch Schlichtung der schwierigsten Processe im schönsten Lichte und verschmähte es, nach Ablauf seines Amtsjahres die Statthalterschaft einer Provinz zu übernehmen, weil er sich in Rom auf die höchste Würde, das Consulat, vorbereiten wollte. Zu dieser gelangte et, sobald er das gesetzmäßige Alter, das 43. Jahr, erreicht hatte, obgleich sich noch sechs Candidaten, älter als er, darum bewarben und alle Mittel der Bestechung anwendeten. Hier erwarb er sich durch Vereitelung der Verschwörung des Catilina (s.d.) den Namen eines Vaters des Vaterlandes und erreichte den höchsten Punkt seines Glanzes, denn die Partei seiner Feinde, deren seine Gerechtigkeitsliebe ihm viele zugezogen hatte, wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn zu stürzen. Auf ihren Betrieb wurde C. angeklagt, daß er röm. Bürger, die Theilnehmer an der Catilinarischen Verschwörung, ohne Verhör und Urtheil zum Tode verdammt habe. Vergebens nahmen sich des Angeklagten alle Gutgesinnte an; jene gewannen den Pöbel für sich, und selbst die damaligen Machthaber, Pompejus und Cäsar, zogen sich von C. zurück, welcher der Verurtheilung durch freiwillige Verbannung zuvorkam. Er wandte sich nach Sicilien, allein der Prätor verweigerte ihm die Erlaubniß, zu landen und erst in Macedonien nahm ihn ein Freund auf seiner Villa bei Thessalonich auf. Hier erfuhr er, daß er in Rom geächtet und seine Güter eingezogen wären und dies, sowie die Nachricht, daß seine Frau und seine Kinder verfolgt würden, schlug ihn tief nieder. Allein schon im folgenden Jahre setzten es seine Freunde durch, daß er, trotz seiner Feinde, zurückgerufen, jubelnd empfangen und für sein zerstörtes Haus entschädigt wurde. Seit dieser Zeit war C. vorsichtiger und bewarb sich um die Gunst des Cäsar und Pompejus, hatte auch die Ehre, zum Augur gewählt und, obgleich gegen seine Neigung, auf ein Jahr als Statthalter nach Cilicien geschickt zu werden. In dem Bürgerkriege zwischen Cäsar und Pompejus suchte er anfangs neutral zu bleiben, endlich schloß er sich dem Letztern an und Cäsar war großmüthig genug, ihm nach des Pompejus Besiegung zu vergeben. Als nach Cäsar's Tode zwischen Octavius und Antonius [430] ein Bürgerkrieg ausbrach, hielt er es mit dem Erstern und wurde deshalb von Antonius geächtet. Unentschlossen, wohin er sich nun wenden sollte, wurde er auf einem seiner Landgüter von der gegen ihn ausgesandten Mörderschar eingeholt, und ein Hauptmann hieb ihm 43 v. Chr. den Kopf herunter, als er diesen aus der Sänfte steckte, in welcher er sich eben durch die Flucht retten wollte. Antonius ließ Kopf und Hände C.'s an der Rednerbühne aufstecken, während alle Gutgesinnte seinen Tod beklagten. Von seinen vielen Schriften hat sich ein großer Theil erhalten und die Reinheit und Eleganz ihres Styls sichern C. für immer die erste Stelle unter den röm. Classikern. – Ciceronianisches Latein heißt sprüchwörtlich soviel wie treffliches Latein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 430-431.
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