Cellulose [1]

[428] Cellulose (Pflanzenzellstoff, Zellmembranstoff der Physiologen, Holzfaser, Rohfaser der Chemiker) ist der Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellwand – also gewissermaßen der Baustoff für das Gerüste der Pflanzen; außerdem läßt sich noch eine sogenannte Reservecellulose unterscheiden, die meistens mächtige Verdickungsschichten der Zellwand bildet und im Gewebe vieler Palmensamen (Arekanuß, vegetabilisches Elfenbein, Tahitinuß, Dattelkern), der Kaffeebohne, der Brechnuß beobachtet werden kann. Die Membranen der Pilzzellen sind hingegen von einer besonderen Modifikation, der Pilzcellulose, gebildet. Cellulose oder ein höchst nahestehender Körper ist auch im Tierreich gefunden worden. Der Mantel der Tunicaten und das Ectoskelett der Arthropoden enthalten (letzteres neben Chitin) Cellulose.

Es scheint, daß das chemische Individuum Cellulose, das durch die Formel C6H10O5 (gleich der Stärkeformel, nach Payen) oder C12H10O5 (nach Mitscherlich und Gerhardt) [28] oder (C6H10O5)x (nach E. Schulze) [29], mit dem spez. Gew. 1,63 (nach Henze [20]) oder 1,56–1,57 (nach Sachs und Hartig), ausgedrückt wird, überhaupt niemals für sich allein die Pflanzenzellmembran bildet, sondern daß die Zellwand (nach Wiesner [3], Tschirch [1], [2], E. Schulze, Gilson) viel komplizierter gebaut ist, als man früher angenommen hat. Selbst jugendliche Zellmembranen enthalten organische Beimengungen oder sind von einem Veränderungsprodukt der Cellulose gebildet; in älteren sind nebst organischen auch anorganische Einlagerungen vorhanden, und außer der typischen Cellulose, die sich direkt bei der Hydrolyse in Traubenzucker überführen läßt [14], wurden sogenannte Hemicellulosen nachgewiesen, deren Umwandlungsprodukte andre als die der Cellulose sind. Nach E. Schulze [29] kann man also annehmen, daß die vegetabilische Zellmembran neben den Anhydriden des Traubenzuckers (die der typischen Cellulose angehören) noch andre Substanzen enthält, die bei der Hydrolyse verschiedene Glykosen (Arabinose, Xylose, Galaktose) ergeben. Insofern als die Beimengungen[428] und Veränderungen der Cellulose deren chemische und physikalische Eigenschaften anders gestalten, müssen sie auch eine besondere Besprechung erfahren.

Die typische Cellulose ist unlöslich in Wasser, Alkohol, Aether, Diastaselösung (im Gegensatz zur Reservecellulose, die durch Diastase gelöst wird [31]), in kalter, verdünnter Kalilauge und in verdünnten Säuren. Durch Kupferoxydammoniak (Schweizers Reagens) wird sie zu einer blaßblauen gallertigen Masse gelöst (Baumwolle, Flachsfaser), aus der sie durch Säuren als ein farbloser, nach dem Trocknen hornig-fester Niederschlag gewonnen werden kann; Gilson [15] konnte daraus Sphärokristalle darstellen. Gelöst wird sie ferner durch konzentrierte Säuren, z.B. Schwefelsäure, oder durch eine Lösung von Salzsäure und Zinkchlorid, wobei aber in der Regel die chemische Konstitution zerstört wird und als schließliche Zersetzungsprodukte Dextrin, Zucker oder Humuskörper auftreten. In Jodlösungen färben sich Cellulosemembranen meist gelb, durch Hinzufügung von Schwefelsäure oder Phosphorsäure entsteht eine tiefblaue Färbung, die bekanntere Cellulosereaktion; auch alte wässerige Jodlösung (Jodjodkalium), in der gewöhnlich Jodwasserstoffsäure sich gebildet hat, ruft die Blaufärbung hervor. Chlorzinkjod ist ebenfalls ein viel gebrauchtes Reagens auf Cellulose und färbt diese violett.

Für die Färbetechnik ist das Verhalten der Cellulose gegen Farbstoffe wichtig: diese werden fast gar nicht aufgenommen, und um Cellulosemembranen zu färben, »benutzt man die Eigenschaft der Cellulose, durch mechanische Flächenattraktion Salze der Tonerde, des Eisen-, Chrom- und Zinnoxyds, wenn dieselben schwache Säuren enthalten, aus den Lösungen auf sich niederzuschlagen, und bringt so vorbereitet (gebeizt) die Stoffe in die Farbstoffküpe. Es entstehen dann unlösliche Verbindungen der Farbstoffe mit den Metalloxyden zwischen den Mizellen bezw. Molekülen der Faser selbst« (Tschirch [1], [2], [32]). Mit kaustischen Alkalien behandelt, z.B. mit Natronlauge, und hierauf rasch mit Wasser und verdünnter Schwefelsäure ausgewaschen, wird die Cellulose besser färbbar; dieses in der Färberei schon lange geübte Verfahren ist unter dem Namen Mercerisieren bekannt und dient jetzt vornehmlich zum »Seidigmachen«, der »Seide ähnlich machen« von Baumwollgeweben; läßt man die Alkalien länger einwirken, so quillt die Cellulose zu einer durchscheinenden Masse auf, die, mit Schwefelkohlenstoff zusammengebracht, nach mehreren Stunden in Wasser löslich, äußerst schleimig-klebrig (viskos) wird und ein Thiokarbonat darstellt, das Croß und Bevan Viskoid genannt haben; durch Kochsalz koaguliert, auf 100° erhitzt, scheidet sich Cellulose wieder in unlöslicher Form aus; in dieser Form eignet sie sich besonders zur Füllung baumwollener, leinener Stoffe und des Papieres und kann mineralische Füllstoffe ersetzen; sie läßt sich auch in eine hornartige, feste schneid- und färbbare Masse überführen, aus der verschiedene Gegenstände, unzerbrechliche Gefäße u.s.w. verfertigt werden können [3]–[8], Behandlung mit Kampfer ergibt das Celluloid (s.d.), einen gegenwärtig außerordentlich vielseitig verwendeten technischen Rohstoff.

Mit sehr schwacher Natronlauge behandelt, entsteht aus der Zellmembran Metarabinsäure [21]; stärkere Natronlauge erzeugt das sogenannte Holzgummi C6H10O5 [22], das wohl nur eine lösliche Form der Cellulose darstellt [23], nach Praël (1888) aber ein Bestandteil der Zellwand ist. Konzentrierte Schwefelsäure löst die Cellulose und wandelt sie zunächst in Hydrocellulose oder Amyloid um, das direkt von Jod blau gefärbt wird und den Hauptbestandteil des vegetabilischen Pergaments ausmacht. Die Reservecellulose (z.B. aus der Steinnuß) geht, mit Schwefelsäure behandelt, nach Reiß [24] in eine besondere Zuckerart, Seminose genannt, über, die aber nach E. Fischer und J. Hirschberger [26] mit Mannose identisch ist. Ganz andrer Ansicht über diesen Umwandlungsprozeß sind aber E. Schulze, E. Steiger und W. Maxwell [25], [27], die annehmen, daß die angeführten Zuckerarten nicht aus der Cellulose, sondern aus einer in der Zellmembran (insbesondere der Kotyledonen der Lupinensamen) besonders vorkommenden Substanz entstehen; sie nennen dieselbe Paragalaktan. – Daraus würde nun folgen, daß die Reservecellulose sich nicht durch besondere Reaktionen von der Zellmembrancellulose unterscheide. Die paragalaktonartigen Körper seien innig mit der Cellulose vermengt, könnten durch verdünnte Säuren entfernt werden, worauf der Rückstand die Eigenschaften der Cellulose zeige, also (nebst den bekannten Farbreaktionen) durch starke Schwefelsäure in Dextrose verwandelt werde. Nach Tollens gehören diese Körper zu den Saccharokolloiden, und E. Schulze [14], [25], [29] nennt sie Hemicellulosen. »Die Menge Hemicellulose in den Samen scheint nach approximativen Bestimmungen nicht gering zu sein; sie beträgt in Prozenten der schalenhaltigen Samentrockensubstanz bei Erbsen etwa 18,66%, Ackerbohnen 6,82%, Wicken 7,36%, gelben Lupinen (entschält) 8,76%. Es ist anzunehmen, daß diese Substanzen wegen ihrer leichten Löslichkeit in verdünnten Säuren sowohl bei der Pflanzenernährung als Reservestoff wie bei der tierischen Ernährung als Nährstoff eine wichtigere Rolle spielen als die eigentliche Cellulose« (König [4]).

Läßt man auf Cellulose kochende Salpetersäure einwirken, so entsteht durch Aufnahme von Sauerstoff Oxycellulose C18H26O16; sie soll nach Nastjukoff [18] Aldehyd- oder Ketongruppen enthalten und ein Hydrazon oder ein Osazon bilden. Croß und Bevan [30] sehen die Cellulose der Gräser als Oxycellulose an, wonach auch diese ein Bestandteil der Zellwand sein müßte ( s.a. [19]). Von besonderer Wichtigkeit für die Technik ist die Einwirkung von rauchender Salpetersäure oder einem Gemisch von konzentrierter Salpetersäure und Schwefelsäure auf Cellulose; die auf diese Weise erhaltenen Produkte, fälschlich Nitrocellulosen genannt, sind Di- oder Trinitrate, unter dem Namen Kollodiumwolle, Schießbaumwolle (Pyroxylin), künstliche Seide bekannt; die in Aetheralkohol löslichen Produkte bilden das Kollodium. Wird Cellulose mit Kaliumhydrat zusammengeschmolzen, so erhält man Kaliumoxalat. Auch durch andauernde Einwirkung von Chlor und Chlorkalk oder dem Schulzeschen Gemische (HNO3 + KClO2) entstehen Oxalsäureverbindungen, worauf sich die übliche Methode der Oxalsäurefabrikation gründet. Reine Cellulose erhält man durch Behandlung mit Kupferoxydammoniak oder durch Reinigung von Pflanzengeweben, die größtenteils aus Cellulose[429] bestehen, wie Holundermark, Baumwolle, Flachs; auch Leinwand, gutes Filtrierpapier kann dazu dienen. Diese Stoffe werden mit Wasser, verdünntem Kali, verdünnter Salzsäure, Alkohol, Aether ausgezogen und bei 150° getrocknet. Die verschiedenen Methoden der quantitativen Bestimmung der Cellulose stellt Tschirch folgendermaßen zusammen: Die fragliche Substanz wird sukzesive mit Wasser, Alkohol und Aether extrahiert und dann 1 Teil der Substanz mit 0,8 Teilen chlorsaurem Kali und 12 Teilen Salpetersäure (spez. Gew. 1,10) bei 15° maceriert, mit siedendem Wasser ausgewaschen (Schulze und Henneberg); besonders bei gefärbten Substanzen zu empfehlen. Oder man kocht 3–5 g 1/2 Stunde lang mit 200 ccm einer 1,25 prozentigen Schwefelsäure, dann nach dem Dekantieren mit 200 ccm 1,25 prozentiger Kalilauge und wiederholt mit Wasser. Der auf dem Filter gesammelte Rückstand wird mit Alkohol und Aether gewaschen. Oder aber man digeriert mit Chlorwasser, behandelt mit verdünnter Kalilauge, verdünnter Säure und siedendem Wasser (Fremy und Terrell). Oder man digeriert mit konzentriertem Bromwasser und wäscht mit Ammoniak und heißem Wasser aus (Hugo Müller). Ueber die Bedeutung und den Wert dieser Methoden sind die Arbeiten von E. Schulze [29] und Croß und Bevan [30] einzusehen.

Daß die Cellulose, wie sie die Zellmembran zusammensetzt, kein einheitlicher Körper ist, zeigt auch schon die mikroskopische Betrachtung nach Behandlung mit Kupferoxydammoniak (mitunter auch mit Jod und Schwefelsäure). An vielen Fasern, die aus Cellulose bestehen, z.B. an der Ramie (Boehmeria nivea), an den Apocynumfasern, selbst am Baumwollhaar können verschieden gefärbte und nach ihrem Löslichkeitsgrade verschieden sich verhaltende Schichten unterschieden werden. Für die industrielle Verwendbarkeit haben diese Erscheinungen wohl wenig Bedeutung, hingegen aber sind jene Veränderungen, welche die Cellulose durch Einlagerung andrer Substanzen oder in schwachen Verbindungen erfährt, auch technisch von großer Wichtigkeit. Solche Einlagerungen können durch anorganische Materien verursacht werden, z.B. durch die Kieselsäure. Die Diatomazeen, Kieselalgen oder Stückeltange besitzen einen Kiefelsäurepanzer, der nach Zerstörung aller organischen Substanz unverändert zurückbleibt und bei der Ungeheuern Vermehrung dieser Pflanzen in gewaltigen Massen als höchst seiner Sand sich anhäufen kann; dessen Verwendung als »Kieselguhr« oder (fälschlich) »Infusorienerde« zu Dynamit, zu Isolierschichten, als Putz- und Poliermittel (Tripel) ist bekannt. Viel wichtiger sind die organischen Veränderungen, welche die sogenannte verholzte [9]–[11] und verkorkte Zellmembran erzeugen, wozu auch noch die verschleimte Membran und die Pilzcellulose zu rechnen sind. Durch Einlagerung (oder Verbindung?) eines Gemisches sehr verschiedener Körper, unter denen sich Vanillin (nicht in allen Hölzern [35]), Gummi, aromatische Körper, wie Hadromal, befinden und welches Gemisch den Namen Lignin oder Holzsubstanz erhalten hat, wird die Cellulose eigentümlich verändert; Jod und Schwefelsäure färben sie nur braun (nicht blau), in Kupferoxydammoniak tritt keine Lösung ein, dünne, verholzte Lamellen verfallen an der Luft sehr leicht einem Humifikationsprozeß, gewinnen an Härte, aber in der Regel nicht an Fettigkeit. Verholzte Cellulose wies man bisher mit der bekannten Anilinsulfat- oder Phlorogluzin-Salzsäure-Reaktion u.s.w. nach; ersteres färbt zitronengelb, letzteres rotviolett, Thymol und Kaliumchlorat blau (Molisch), salzsaures Naphthylamin orange. Diese Reaktionen sind nur Gruppenreaktionen, und die Phlorogluzinreaktion gibt nur die Anwesenheit des Hadromals in der Cellulose kund, zeigt aber nach Faber [34] nicht die Verholzung an. Die Verholzung wird am besten und sichersten mit der Probe nach Mäule nachgewiesen [33]. Etwa fünf Minuten in Kaliumpermanganatlösung (1 : 100) eingelegte Schnitte werden mit Wasser gewaschen, in verdünnte Salzsäure 2–3 Minuten eingelegt und mit Ammoniak behandelt; alle verholzten Teile färben sich rot. Verholzte Membranen, die nach Seliwanoff [35] mit Hydroxylamin behandelt worden sind, geben die Phlorogluzinreaktion nicht. Farbstoffe werden von der verholzten Lamelle begierig aufgenommen. Längere Behandlung mit ätzenden Alkalien oder mit Schultzescher Mazerationsflüssigkeit vermag diese Stoffe zu entfernen, und der Rückstand zeigt die Reaktionen und das Verhalten der Cellulose, ist aber nach E. Schulze [29] keine einheitliche Substanz, sondern aus dem Anhydrid, aus dem Traubenzucker entsteht, und aus den Hemicellulosen zusammengesetzt. Die verkorkte Cellulosemembran enthält Suberin eingelagert. Diese Korksubstanz macht die Membran undurchlässig für Flüssigkeiten (und Luft), sehr widerstandsfähig gegen saure Körper und unlöslich in Schwefelsäure. Das Schultzesche Gemisch weist das Cerinvorkommen nach. – Die Verschleimung der Cellulose kommt im Pflanzenreich häufig vor, so in der Samenschale der Senfsamen, im Leinsamen, Quittensamen; hierher gehört auch die Gummibildung der Mandelbaumgewächse, der Akazien (Gummiarabikum), der Tragantpflanze (Tragant). Ein ganz besonderes Verhalten zeigt die Pilzcellulose. Mit Aether und Alkohol extrahierte Pilze ergeben, mit verdünnten Säuren behandelt, Hemicellulosen und ein schleimbildendes, Paradextrose genanntes Kohlehydrat. Als Rückstand verbleibt die eigentliche Pilzcellulose, die von Kupferoxydammoniak nur spurweise gelöst und von Jod und Schwefelsäure nur stellenweise gebläut, bei einigen Pilzen nur gerötet wird; hingegen löst sie sich in Kalilauge und in Schwefelsäure rascher als gewöhnliche Cellulose. Die Pilzmembran schließt aber noch einen stickstoffhaltigen, dem Chitin höchst nahestehenden Körper ein, der beim Kochen mit Salzsäure gleich dem Chitin salzsaures Glukosamin und Essigsäure liefert (Winterstein [17]). Nach Richter [12] und Dreyfuß aber enthalten alle Pilze echte Cellulose.

Unter Cellulose im technischen Sinne [16] versteht man die aus Holz mittels chemischer und physikalischer Prozesse gewonnene Cellulose, die hauptsächlich zur Papierfabrikation verwendet wird. Nachdem die ursprünglich angewendeten Papierrohstoffe (Hadern, Stroh) dem Ungeheuern Bedarf nicht mehr genügten, kam zuerst das Holz selbst in Verwendung, das als Holzstoff (oder besser als Holzschliff bezeichnet) ein Papier von nur ephemerer Dauer liefert. Da die Haltbarkeit eines solchen Holzschliffpapieres gerade durch die »Inkrustationskörper« am meisten beeinträchtigt wird, so suchte man folgerichtig den »Holzstoff« von diesen[430] zu befreien, um die organische Grundlage jeder verholzten Zellmembran zu gewinnen, und nannte die auf diese Weise von dem Lignin befreite Materie Cellulose. – Hierbei ließ sich auch das Verfahren, das Holz in seine Fasern zu zerlegen, ohne sie durch Raffinieren (Feinmahlen) an Länge und Haltbarkeit zu schädigen, wesentlich vereinfachen. Man hat nun zwei Hauptmethoden in Anwendung gebracht, um Cellulose zu erzeugen, die je nach der Verwendung des chemischen Agens, der Natronlauge oder der Sulfitverbindungen Natron- oder Sulfitcellulose ergeben.

Natroncellulose. Sowohl Nadelhölzer wie Laubhölzer eignen sich zur Gewinnung derselben: von ersteren ist es namentlich das Kiefernholz, dann Fichten- und Tannenholz, von letzteren Linden-, Birken-, Zitterpappel- (Aspen-) und Buchenholz, die auf Cellulose gut verarbeitet werden können. Bei der Verarbeitung ist auf genügende mechanische Zerkleinerung des Holzes, auf hinlängliche Konzentration der Natronlauge, hohe Temperatur und hohen Druck (bei dem Ungerschen Verfahren 6, sonst 10–14 Atmosphären) zu achten. Das unter dem nötigen Druck mit Natronlauge gekochte Holz gibt seine »Inkrusten« an die Lauge ab und bleibt als eine (gebleicht) weiße, faserige Masse zurück, die nur noch aus den Holzfasern besteht, während die (parenchymatischen) Markstrahlzellen vernichtet sind; die Holzfasern sind isoliert, erscheinen gequetscht, oft gewunden, sehr durchsichtig und reagieren auf Cellulose; mitunter läßt sich durch Phlorogluzin und Salzsäure noch eine schwache Verholzung nachweisen. Zur Herstellung der Natroncellulose sind vier verschiedene Verfahren in der Praxis eingeführt: 1. direkte Heizung liegender Kochkessel mit 10 Atmosphären Ueberdruck (Lee, Dressel); 2. direkte Heizung oder Dampfheizung stehender Kochkessel bei 11–14 Atmosphären Dampfdruck (Sinclair, Nickol, Behrend); 3. Dampfheizung mit rotierenden Kesseln mit 12 Atmosphären Ueberdruck (Hahn); 4. Laugungsverfahren mit auf 6 Atmosphären erhitzten, durch ein zusammenhängendes System von kleineren Apparaten getriebenen Laugen und nachfolgendem Auswaschen im Apparate selbst (Meyer). Letzteres Verfahren scheint sich besonders zu empfehlen (Mierzinski [13]). Man hat auch Schwefelnatrium und Schwefelstrontium zur Herstellung einer Natroncellulose angewendet, wobei weniger Cellulose als bei der Anwendung der Natronlauge verloren geht.

Sulfitcellulose. Die Verwendung des Calciumsulfits (doppeltschwefligsauren Kalkes) zur Cellulosegewinnung ist von Mitscherlich in Freiburg empfohlen worden, der auch ein rationelles Verfahren ausfindig machte; Modifikationen des Mitscherlichschen Verfahrens wurden von Eckmann, Franke, Graham, Ritter-Kellner, Flodquist, Archbold, Raoul Pierre Pictet und Georg Brélacz angegeben. Nach Mitscherlich wird das entrindete Holz zuerst gedämpft, dann in der Sulfitlösung zuerst auf 108° und schließlich auf 118° erwärmt. Hierbei nimmt die schweflige Säure aus den Inkrustationskörpern den Sauerstoff auf und wird zu Schwefelsäure oxydiert; die desoxydierten Substanzen gehen eine Verbindung mit der Gerbsäure ein. Zum Gelingen des Kochprozesses ist die Abwesenheit von polythionsauren Salzen unbedingt nötig, da diese die Holzsubstanz nicht zerlegen können. Besondere Aufmerksamkeit ist daher der Beschaffung einer richtigen Kochlösung zuzuwenden. Ein Turm wird mit Kalktuff gefüllt, über diesen wird Wasser in seiner Verteilung, dem Wasser entgegen ein Strom schwefliger Säure geleitet. Tritt freier Schwefeldampf hierbei auf, so ist die Bedingung der Bildung von Polythionsäuren gegeben. Eckmann verwendet Magnesiumsulfit statt des Calciumsulfits, das den Vorteil bietet, nach der Oxydation zu Magnesiumsulfat sich leicht zu lösen. Fellner empfiehlt die Anwendung des Dolomits oder des Dolomits in Verbindung mit dem Magnesit. Franke nimmt kleine zylindrische, in langsamer Drehung befindliche Kessel und behandelt das Holz mit einer Lösung von Calcium-, Magnesium- oder Natriumsulfit 12–15 Stunden lang unter 4–5 Atmosphären Druck. Nach Graham wird das Holz zuerst mit dem einfachen Sulfit, dann mit dem Bisulfit gekocht. – Flodquist läßt die schweflige Säure über mit Wasser benetzte, vorher entfettete Knochen und dann über kohlensauren Kalk leiten, so daß in der Lösung auch Calciumphosphat enthalten ist. Archbold unterwirft das Holz einer Art Mazeration mit dünner Kalkmilch, worauf es in einem passenden Apparat der Einwirkung der schwefligen Säure bei 4–5 Atmosphären Druck ausgesetzt wird. Nach dem Auswaschen mit Wasser und weiterem Behandeln mit Chlorcalcium und Aluminiumsulfat unter Druck erhält man ein der Baumwolle gleichendes Material.

Aus allen mitgeteilten Verfahren ergibt sich, daß die schweflige Säure das wichtigste Agens zur Befreiung der Cellulose von den Fremdstoffen ist. Ob sie wirklich eine Desoxydation bewirkt, wird von Croß [7], [30] bezweifelt, der vielmehr eine Verbindung des Sulfits mit den Nichtzellstoffen annimmt. Je nach der Art des verwendeten Holzes ist die Ausbeute an Cellulose verschieden; im allgemeinen geben weiche, ligninärmere Hölzer mehr Cellulose als harte Hölzer. So liefern Schwarzpappel 63, Tanne 57, Weide 56, Birke 55,5, Erle 54,5, Kiefer 53,3, Linde 53, Buche 45,5, Eiche 39,5% Cellulose. Ueber das maschinelle Verfahren s. Holzzeug.

In der Sprengkörpertechnik ist auch von einer sogenannten amorphen Cellulose die Rede. Behufs Herstellung dieses Produktes werden Baumwolle, Hanf- oder Flachsfaser, Sulfit- oder Natroncellulose zerkleinert, in eine 10 prozentige wässerige Lösung von Kaliumpermanganat eingetragen und gut umgerührt; nach Abziehen der Flüssigkeit wird der Rückstand mit Wasser ausgewaschen und, um das noch vorhandene Manganhyperoxyd zu entfernen, mit verdünnter Salpetersäure ausgelaugt. Das auf diese Weise gereinigte Produkt stellt amorphe Cellulose vor, die sich besonders gut zur Nitrierung (Herstellung rauchfreien Schießpulvers) eignen soll.


Literatur: [1] Tschirch, Artikel »Cellulose« in Moeller-Geißlers Realencyklopädie der gesamten Pharmazie, Wien 1887, Bd. 2, S. 606–612, und Hanausek, T.F., Lehrbuch der techn. Mikroskopie, Stuttgart 1901, S. 48, Artikel »Cellulose«. – [2] Tschirch, Angew. Pflanzenanatomie, Wien 1889, Bd. 1, S. 170–173. – [3] Wiesner, Elemente der Botanik, Wien 1890, Bd. 1, S. 38. – [4] König, Die menschlichen Nahrungs- und Genußmittel, Berlin 1893, Bd. 2, S. 450–453. – [5] Husemann-Hilger, Pflanzenstoffe, Berlin 1884, Bd. 1, S. 106. – [6] Béchamp, Compt. rend., 1884, S. 99. –[431] [7] Croß und Bevan, Chem. News 1882, p. 49; Journ. Chem. soc. p. 43; Pharm. Journ., Transact., 1884. – [8] Fremy und Urbain, Ann. scienc. natur., botan., t. 13, in Compt. rend., 1859. – [9] Schuppe, Beiträge zur Chemie des Holzgewebes, Dissert., Dorpat 1882. – [10] Singer, Max, Wiener Akad. Sitzungsber., 1885, Bd. 1.– [11] Pringsheim, Bericht d. deutschen botan. Gesellsch., 1883, Bd. 1, S.288. – [12] Richter, Pilzcellulose in Wiener Akad. Sitzungsber., 1881, Maiheft. – [13] St. Mierzinski, Handbuch der prakt. Papierfabrikation, Wien 1886, Bd. 2, Ersatzmittel der Hadern (Cellulose). – [14] Schulze, E., Berichte d. deutschen chem. Gesellsch., 1891, Bd. 24, S. 2277; Chemie der pflanzl. Zellmembranen, Zeitschr. f. phys. Chemie, 1894, Bd. 70. – [15] Gilson, Kristallisation d. Cellulose, Chem.-Ztg., Repert. 1893, Bd. 280. – [16] Ganswindt, Artikel »Cellulose technisch« in Moeller-Geißlers Realencyklopädie, 1887, Bd. 2, S. 612. – [17] Winterstein, E., Zur Kenntnis der in den Membranen der Pilze enthaltenen Bestandteile, Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 19, S. 521; Berichte d. deutschen botan. Gesellsch., 1893, Bd. 11, S. 441, und Berichte d. deutschen chem. Gesellsch., 1895, Bd. 28, S. 167. – [18] Nastjukoff, Ueber die Veränderung der physikalischen und chemischen Eigenschaften der Baumwollcellulose bei ihrer Umwandlung in Oxycellulose, Bull. Soc. ind. de Mulhouse, 1892, S. 493. – [19] Schmith, C., Ueber natürliche Oxycellulosen, Chem.-Ztg. 1894, S. 674. – [20] Henze, Untersuchungen über das spezifische Gewicht der verholzten Zellwand und der Cellulose, Dissert., Göttingen 1883. – [21] Wieler, Landwirtsch. Versuchsstationen, Bd. 32, S. 307. – [22] Thomson, Journ. s. prakt. Chemie, Bd. 42, S. 25. – [23] Hoffmeister, W., Landwirtschaftl. Jahresbericht, 1888, Bd. 17, S. 239. – [24] Reiß, Berichte d. deutschen chem. Gesellsch., Bd. 22, S. 609. – [25] Schulze, E., und Steiger, Berichte d. deutschen chem. Gesellsch., 1887, Bd. 20, S. 290. – [26] Fischer, E., und Hirschberger, J., Berichte d. deutschen chem. Gesellsch., 1889, Bd. 22, S. 1155. – [27] Maxwell, W., Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 14, S. 227. – [28] Gmelin, Handbuch der Chemie, Bd. 7, S. 578–581. – [29] Schulze, E., Ueber die Cellulose, Chem.-Ztg. 1895, Bd. 19, S. 1465–1467. – [30] Croß und Bevan (Croß, C.F., Bevan, E.J., und Beadle, C), Cellulose; An outline of the Chemistry of the structural elements of plants etc., London 1895, das neueste und vollständigste chemische Werk über Cellulose. – [31] Grüß, J., Berichte d. deutschen botan. Gesellsch., 1894, Bd. 12, Generalversammlungsheft, S. 60. – [32] Michaelis, L., Beiträge zur Theorie des Färbeprozesses; die Färbungseigenschaften der Cellulose, Pflügers Archiv s.d. gesamte Physiol., 1903, Bd. 97, S. 634–640. – [33], Mäule, C., Das Verhalten verholzter Membranen gegen Kaliumpermanganat, Fünfstücks Beitr. z. wissensch. Botanik, 1900, Bd. 4, S. 166. – [34] Faber, F.C. v., Zur Verholzungsfrage, Berichte d. botan. Gesellsch., 1904, Bd. 22, S. 177. – [35] Seliwanof, Ueber Holzstoff und seine Reaktionen, nach Ref. Botan. Zentralbl. 1891, Bd. 45, S. 279.

T.F. Hanausek.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 428-432.
Lizenz:
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