Sticken

[315] Sticken, ein Arbeitsverfahren, mittels dessen flächenförmig ausgedehnte Körper (meist Gewebe, selten Papier, Leder u.s.w.) mit textilen oder Metallfäden (Stickfäden) so durchzogen werden, daß auf ihrer Oberfläche durch Aneinanderreihung geradliniger Fadenlagen oder mannigfach gestalteter Fadenschleifen Linien- oder Flächenmuster entstehen [1].

Die einzelnen flottliegenden Fadenlagen führen den Namen Stiche. Durch Aneinanderreihen der Stiche in ihrer Längenrichtung entstehen Linienmuster, durch Nebeneinandersetzen in die Breitenrichtung Flächenmuster. Die Stickereien lassen sich einteilen nach Art des Grundstoffgewebes und den zu diesem bezw. den Stickfäden verwendeten Stoffen (Seiden-, Woll-,[315] Leinen-, Gold- und Silberstickerei, Mull-, Stramin-, Tüllstickerei u.a.m.), nach Farbe des Grundgewebes und der Stickfaden (Weiß- und Buntstickerei), nach der Stichart (Plattstich-, Kettenstich-, Kreuzstichstickerei u.s.w.), nach der Mustererzielung (Flach-, Relief-, Applikationsstickerei u.a.), nach der technischen Ausführung (Hand- und Maschinenstickerei).

Als Hauptsticharten für die Maschinenstickerei kommen in Betracht der Plattstich und der zur Nachahmung des Plattstiches abgeänderte Doppelsteppstich, der Kreuzstich, der Ketten- oder Tambourierstich und der aus diesem hervorgegangene Feston- oder Languettenstich. Ueber die weiteren, namentlich in der Handstickerei benutzten Sticharten sehe man [1] nach.

a) Bei dem Plattstich (Fig. 1) bedecken geradlinige Fadenlagen sowohl Schau- wie Rückseite, die Stichpunkte folgen dabei den Umrißlinien der Musterfigur. Je nachdem die Stichlage senkrecht zur Mittellinie der Musterfigur oder schräg dazu verläuft, spricht man von geradem oder schrägem Plattstich; eine Abart des Plattstiches ist der bekannte Stielstich. Um den Plattstich für die Schauseite nachzuahmen, wird der Doppelsteppstich auf der Stickmaschine (Schiffchenstickmaschine) derart abgeändert, daß die Spannung des Rückfadens den Vorderfaden in Schleifenform auf die Rückseite zieht. Fig. 2 gibt die Rückseite der Stichart wieder.

b) Der Ketten-, Tambourier-, Grob- oder Crochetstich ist durch Fig. 3 gekennzeichnet; seine Herstellungsarten auf der Maschine sind bereits in dem Art. Nähmaschinen, Bd. 6, S. 559 s. beschrieben worden.

c) Der Feston-, Languetten- oder Knopflochstich (Fig. 4) geht aus dem Kettenstich hervor, wenn der die Schleife bildende Faden nicht durch denselben Stichpunkt, durch welchen er nach der Schauseite gefühlt ist, wieder auf die Rückseite zurückkehrt. Dieser Stich wird vorzugsweise als Randeinfassung der Stickereien verwendet. Der Doppelfestonstich ist durch Fig. 5 gekennzeichnet.

Stickmaschinen [2]. Die Arbeitsverfahren der Handstickerei sind solche, welche sich leicht auf die Maschinenarbeit übertragen lassen; doch wird die Maschinenstickerei sich naturgemäß mit der Massenherstellung gleichartiger Erzeugnisse befassen. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Maschine gegenüber der Hand ist einmal möglich durch Vervielfältigung der gleichzeitig arbeitenden Werkzeuge, welche also gleichzeitig eine große Zahl (bis über 600) unter sich kongruenter Muster flicken, oder aber durch Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit. Der erste Weg ist bei den Plattstichstickmaschinen und ihren Verwandten, der zweite bei den Tambouriermaschinen eingeschlagen worden. Der Plattstich wird auf Maschinen erzeugt, welche mit kurzen, Kettenstich und Doppelsteppstich auf Maschinen, welche mit sogenannten endlosen Fäden arbeiten, wie die gewöhnliche Nähmaschine. In fast allen Fällen ist dabei der zu bestickende Stoff in einem Rahmen ausgespannt, welcher nach Maßgabe des Musters bewegt wird, während die Nähmaschinen an ihrer Stelle bleiben. Der umgekehrte Fall, bei welchem der Stoff fest liegen bleibt und die Maschinen bewegt werden, kommt seltener vor.

A. Heilmannsche oder Plattstichstickmaschine.

Das zu bestickende Gewebe g (Fig. 6) ist bei dieser Maschine in einen Rahmen r eingespannt, welcher in lotrechter Lage so montiert ist, daß er in seiner Ebene frei bewegt werden kann; mittels eines Pantographen wird ihm nach Vorschrift einer Musterzeichnung (Patrone) vor jedem auszuführenden Stich eine solche Bewegung erteilt, daß die richtigen Stellen des Gewebes vor die Spitzen der in wagerechten Reihen angeordneten Nadeln n kommen; diese Nadeln sind beiderseitig zugespitzt und haben das Oehr, durch welches der Stickfaden f gezogen ist, in der Mitte (vgl. Fig. 6 und 7); sie werden von zwei Systemen kleiner Zangen z1 z2 geführt, die auf zwei zu beiden Seiten des Stickrahmens wagerecht verschiebbaren Wagen w1 w2 angeordnet sind; der eine Wagen führt die Nadeln herbei, sticht sie durch das Gewebe, der andre faßt sie und zieht sie bis zu genügender Anspannung der Fäden durch und umgekehrt. Das Ein- und Ausfahren der Wagen, deren Weg dem Fadenverbrauch entsprechend zu vermindern ist, bewerkstelligt der Arbeiter durch Drehen an einer Handkurbel (weshalb die Maschine wohl auch als Handstickmaschine bezeichnet wird), welche mit einem Wechselrädergetriebe in Verbindung steht, wobei die Umsteuerung des Wechselrädergetriebes durch Fußtritte erfolgt. Mit dem durch Fußtritt bewegten Umsteuerrade sind gegabelte Hebel in Verbindung gesetzt, welche dann durch die Stangen s1 s2 die Exzenterwelle e drehen und dadurch das jeweilige Oeffnen der Nadelzangen oder Kluppen z bewerkstelligen, während nach Freilassen der Zangenhebel die Federn x den Schluß herbeiführen. Die Einrichtung der Spanndrahtbewegung ist wohl durch die zwei verschiedenen Stellungen d1 d2 in Fig. 6 links und rechts genügend gekennzeichnet. Die Schutzbretter b dienen während der Wageneinfahrt zur Stützung der[316] schlaffwerdenden Stickfäden. Näheres in [2]. Zur Aufnahme des mit den Mustern zu besuchenden Stoffes trägt der Rahmen r (Gatter) 4 (bei zweireihigen) oder 6 (bei dreireihigen Maschinen) Stoffwalzen oder Warenbäume (w1, w2 u.s.w. in Fig. 8). Während des Besuchens wird nun der Stickrahmen r in seiner Stoffebene genau parallel mit sich selbst geführt und von dem Sticker mit Hilfe eines Pantographen von einem Punkte aus verschoben. Die Verstellung des Rahmens r durch den Pantographen oder Storchschnabel p zeigt Fig. 8. Die Mustervorlage oder Schablone s ist in entsprechender Vergrößerung (meist im sechsfachen Maßstabe der auszuführenden Stickerei) an das Schablonenbrett angestiftet, und, auf ihr sind sämtliche Stichpunkte hervorgehoben, welchen in entsprechender Reihenfolge die vom Sticker geführte Fahrspitze i des Storchschnabels folgt. Der Pantograph ist im Maschinengestell bei m gelagert, während in dem Reduktionspunkte bei r der aufgehängte Rahmen freihängend angeschlossen ist. Es bewegt sich also der Rahmen genau entsprechend dem Fahrstifte, jedoch nur im verkleinerten, wirklichen Maße; wird daher der Fahrstift und damit der Rahmen aufwärts bewegt, so wird naturgemäß der Stich genau parallel ausgeführt werden, jedoch in der entgegengesetzten Richtung; es ist deshalb immer das Muster in »Kopfstellung« auf dem Brette aufgeheftet. Zur Erleichterung des Betriebes wird das Gewicht des Rahmens und des Pantographen tunlichst ausgeglichen. – Es liegen mehrere Versuche vor, die Bewegung des Rahmens selbsttätig von der Maschine ausführen zu lassen, so daß dann der geschulte Sticker durch bloße Aufsichtspersonen ersetzt werden könnte; die Aufhängung und Gewichtsausgleichung des Rahmens ist dabei die gewöhnliche. Den Konstruktionen ist folgender Gedankengang zugrunde gelegt: die Lage eines jeden Punktes ist bestimmt durch seine Abszisse und seine Ordinate; um also das Gatter in eine bestimmte Lage zu bringen, ist nur nötig, demselben die bestimmte Verschiebung sowohl in wagerechter als in lotrechter Richtung zu erteilen [3], Zweck neuerer Bestrebungen ist der, sämtliche Bewegungen der Plattstichstickmaschine von der Maschine selbsttätig ausführen zu lassen, wobei also auch das Oeffnen und Schließen der Nadelzangen und die Umsteuerung des Wagens selbsttätig erfolgt; letztere muß natürlich von der regelbaren Spannung der einzelnen Fäden abhängig gemacht werden [4]. Man hat auch zwei Rahmen so miteinander gekuppelt, daß auf dem einen immer gleich das Spiegelbild des andern geflickt wird [5] und man hat mehrere hintereinander stehende Stickmaschinen mit gekuppelten Rahmen durch einen Pantographen bewegt [6].

Größenverhältnisse und Leistung. Die Nadeln, deren Gesamtzahl etwa 200 bis 450 beträgt, sind in zwei oder drei (seltener vier oder fünf) Reihen oder Etagen übereinander angeordnet (zwei- und mehrreihige Maschinen); dabei schwankt der Rapport, d.i. der durch die Mustergröße bestimmte Abstand zweier Nadeln oder die Nadelteilung zwischen 18 und 47 mm (3/4'' und 2'' sächsisch); er wird auch heute noch vielfach in 1/4 Zollen sächsisch (1'' = 23,7 mm) angegeben. Die Länge der Nadelschienen schwankt zwischen 3,4 und 5,1 m; am gebräuchlichsten ist 4/4 (= 24 mm) Rapport und 4,5 m Maschinenlänge. Bei 12 stündiger Arbeitsdauer kann ein Sticker etwa 180 Stiche oder Wageneinfahrten stündlich (150–210) machen, wobei jedoch die Nebenarbeiten, als Beaufsichtigung der Stickfäden, Einsetzen neuer Nadeln, Einfädeln der Nadeln u. dergl., von andern Hilfsarbeitern, meist erwachsenen Arbeiterinnen bezw. Kindern, besorgt werden. Auf 1 Sticker kommen 1–2,5 Gehilfinnen. Da die Herstellung eines Plattstiches jedesmal zwei Wageneinfahrten erfordert, so vermag ein geübter Sticker etwa 300–750 Stiche in einer Minute zu vollenden, während eine geübte Weißstickerin in derselben Zeit nur etwa 10 Plattstiche auszuführen vermag.

Als Hilfsapparate der Stickmaschinen sind namentlich die Bohr- und Festonierapparate zu nennen [7], und zwar finden bei den zur Anfertigung durchbrochener Stickereien nötigen Bohrarbeiten jetzt hauptsächlich die einfachen, vierseitig pyramidalen Ahlen oder Bohrer Verwendung, welche bei der Wageneinfahrt den aufgespannten Stoff durchstechen und dadurch Oeffnungen von bestimmter Größe erzeugen. Die Bohrer sind an Schienen befestigt, welche den Nadelschienen parallel laufen und während des Stickens hinter diese gelegt werden. Sie dienen sowohl zur Erzeugung runder Löcher als länglicher Schlitze. Die genaue Form der Bohrungen wird durch Umsticken der Lochränder erzeugt. Die Löcher werden dabei vielfach durch stern- oder zickzackförmige Fadenfüllungen, sogenannte Spinnen, verziert. Hierbei sind zwei Arbeitsverfahren zu unterscheiden, die Bohrarbeit, bei welcher die schon fertiggestellten Oeffnungen durch Einziehen der Spinnenfäden gefüllt werden, und die Spachtelarbeit, bei welcher die Spinnen flott liegend auf dem Stoffe gearbeitet werden und erst nach Vollendung der Stickarbeit der Stoff hinter den Spinnen mit der Schere ausgeschnitten (gespachtelt) wird.

Von den Festonier- oder Bohrapparaten ist namentlich der Voigtsche sehr verbreitet [8]. – In großen Betrieben sind für das Einfädeln der Fäden in die Nadeln besondere Einfädelmaschinen in Anwendung [9].

Bei der vorstehend beschriebenen Maschinengattung, welche mit kurzen, abgepaßten Fäden stickt, ist die Ausführung der Stickarbeit unmittelbar dem bei der Handarbeit üblichen Verfahren entlehnt. Dieser Maschine gegenüber stehen diejenigen Stickmaschinen, welche die Fäden während der Arbeit unmittelbar einer Anzahl Spulen entnehmen oder sogenannte endlose Fäden verarbeiten und Doppelsteppstich bilden; nur wird hierbei die Spannung der Fäden so geregelt, daß der Stich auf der Schauseite den echten Plattstich nachahmt (vgl. Fig. 2). Wie der Stich, so sind auch die zur Erzeugung desselben notwendigen Werkzeuge der gewöhnlichen[317] Nähmaschine entlehnt. Hierbei kommen die beiden Systeme Greiser und Schiffchen in Betracht (vgl. Nähmaschinen, Bd. 6, S. 559). In Aufnahme sind bis jetzt vornehmlich die Schiffchen gekommen.

B. Schiffchenmaschinen [10].

Bei den Schiffchenstickmaschinen befindet sich die Nadel auf der Vorderseite, der Unterfadenführer auf der Rückseite des Stoffes, welcher, wie bei Heilmann, in einen senkrecht stehenden, durch einen Storchschnabel bewegbaren, beziehentlich einstellbaren Rahmen ausgespannt ist. Die gleichartigen Werkzeuge sind stets in einer größeren Anzahl reihenweise an gemeinschaftlichen Trägern angeordnet; die Nadeln auf beweglichen Wagen, die Unterfadenführer teils auf solchen, teils auf fest mit dem Gestelle verbundenen Schienen. Die Wagen tragen die Fadenspulen und Spann- beziehentlich Abzugsvorrichtungen für die Fäden bei der Stichbildung. Die Bewegung der Nadelwagen und Unterfadenführer erfolgt selbsttätig durch die meist mit Elementarkraft betriebene Maschine, die Einstellung des Stoffrahmens durch den Sticker mit dem Storchschnabel. Nach jedem Wagenausschube wird die Bewegungseinleitung unterbrochen und erst nach erfolgter Rahmeneinstellung durch den Arbeiter wieder hergestellt. Infolge der unmittelbaren Entnahme des Fadens von der Spule und der Verwendung besonderer Fadenspannvorrichtung kann der Wagenweg bedeutend kleiner sein als bei der Stickmaschine von Heilmann, wo stets der ganze, im Anfange etwa Im lange Faden durch den Stoff gezogen werden muß; die Zeit für die Rahmeneinstellung bleibt dieselbe, so daß bei gleicher Wagengeschwindigkeit sich eine größere Stichzahl, also eine größere Leistungsfähigkeit der mit endlosen Fäden arbeitenden Maschine ergeben muß. Um beim Umsteuern tunlichst an Zeit zu gewinnen und es zu ermöglichen, daß der Sticker seine Augen unausgesetzt der Zeichnung zuwenden kann, sind besondere Zeichengeber für das Umsteuern und Lärmvorrichtungen bei Fadenriß u.s.w. angeordnet worden. – Das Schiffchen erhält bei der Stichbildung entweder eine geradlinig hin und her gehende Bewegung oder eine kreisbogenförmige Schwingung; hierbei wird für sehr kleinen Rapport (enge Nadelteilung), um an Platz zu gewinnen, die Schiffchenbahn geneigt oder auch lotrecht gelegt. Die Spulen werden nach Art der Kreuzspulen auf besonderen kleinen Maschinen gewickelt und beim Sticken aus ihnen der Faden von innen heraus abgezogen, so daß außen kein loser Raum entsteht, wodurch ein Lockern der Spulen vermieden wird. Die Anordnung des Rahmens und des Pantographen ist im wesentlichen dieselbe wie bei den Heilmannschen Stickmaschinen. In ähnlicher Weise, wie sich infolge der großen Ausbreitung bei den Handstickmaschinen der Bau der Einfädelmaschinen als Nebenzweig abgegliedert hat, hat sich für die Schiffchenstickmaschinen der Bau selbsttätiger Spulmaschinen als Sonderzweig herausgebildet.

In neuester Zeit ist es auch gelungen, echte genähte Handspitzen als sogenannte Aetz- oder Luftspitzen auf mechanischem Wege herzustellen [11], vgl. a. Spitzen, S. 219. Die baumwollenen oder leinenen Muster werden entweder auf Wolle (Crepe lisse) oder bei feinerem Muster auf Seide geflickt, während die seidenen Muster dann auf baumwollenem Grunde geflickt werden. Bei der späteren Zurichtung wird dann der betreffende Grund durch Aetzlaugen bezw. Säuren oder Karbonisieren herausgelöst. Die Spitzen sind, damit kein Verspannen u.s.w. eintritt, auf Porzellanzylinder gewickelt. Wo Pflanzenfasern, tierische Stoffe, Metalle u.s.w. gemischt auftreten, wird Guttapercha als Stickgrund genommen, welches dann durch ein geeignetes Lösungsmittel (Schwefelkohlenstoff, Benzin u. dergl.) aufgelöst wird. – Das Aussehen der Spitze wird mit von der Wahl des Stiches abhängig sein. Im allgemeinen verfährt man auf der Plattstichstickmaschine in der Weise, daß man auf dem Grundstoff zunächst ein Halt und Zusammenhang gebendes Gerippe in bekannter Weise hervorruft und dann zwischen dieselben Spachtelstiche legt und zu den gewünschten Ziergebilden verschlingt. Die Steppstichflickmaschine wird besonders angewendet, wenn es sich um die Herstellung netzartiger Luftspitzen handelt. Man verfährt hierbei im allgemeinen in der Weise, daß man auf dem Grundstoff sich kreuzende Steppstiche flickt und diese wieder an den Knotenpunkten, wo sich die einzelnen Fäden überdecken, so umstickt, daß gewisse Arten von Verknotungen entstehen, welche die Steppstiche nach dem Zerstören des Grundstoffes in ihrer gegenseitigen Lage halten. – Bei Schiffchenstickmaschinen mit Pantographen kann mit einer Leistung von 50000–60000 Stichen täglich oder 120–130 Stichen minutlich gerechnet werden; bei automatischen Schiffchenstickmaschinen erhöht sich die Leistung bis zu 25 Hundertteilen. Die Maschinen werden gebaut bis zu 12,4 m Stichlänge mit zwei Nadelreihen zu 460 Nadeln.

C. Kettenstichstickmaschinen.

Für die Kettenstichstickmaschine sind für die Stichbildung sowohl die Oehrnadel wie die Hakennadel zur Anwendung gelangt; bezüglich der Stichbildung kann also auf das Gesagte verwiesen werden. Bei der Ausführung von Stickereien ist aber noch zu beachten, daß die Stichrichtung sich dem Muster entsprechend ganz beliebig ändern kann; es muß deshalb sowohl für die Hakennadel wie für den schwingenden Schnepper die nötige Beweglichkeit mit den zugehörigen Werkzeugen vorgesehen werden. Der allgemeinste Verlauf der Naht wäre der einer Kurve; es kommt deshalb für den Transport bei jedem Nahtelement, einem Stich, sowohl eine geradlinige Verschiebung als eine Drehung um den Winkel, welcher von zwei aufeinander folgenden Stichrichtungen eingeschlossen wird, in Betracht. Von den vier möglichen Transportarten: 1. Verschiebung und Drehung der Nadel, 2. Verschiebung des Stoffes und Drehung der Nadel, 3. Verschiebung der Nadel und Drehung des Stoffes, 4. Verschiebung und Drehung des Stoffes, finden in der Maschinenstickerei nur 1. und 2. Anwendung, 4. eignet sich für die Erzeugung wenig gekrümmter Nähte und wird bei Nähmaschinen benutzt, 3. hat überhaupt nicht Anwendung gefunden. Wird die Verschiebung und Drehung der Nadel erteilt, so bedingt dies ein festes Aufspannen des Stoffes im Rahmen, dagegen eine bewegliche Lagerung der [318] Nadel, so daß dieselbe über jede Stelle des Stoffes geführt werden kann; es entstehen hierdurch die Kettenstichstickmaschinen mit beweglichem Nadelarm. Hauptvertreter dieser Gruppe sind die Maschinen von Voigt und von Billwiller [12], die namentlich für das Besticken großer Flächen, z.B. in der Tüll- und Mullgardinenstickerei, geeignet erscheinen. Die Maschinen, bei denen eine geradlinige Verschiebung des Stoffes und Einstellung der Nadel nach Maßgabe der Stichrichtung erfolgt, haben die größte Verwendung in der Maschinenkettenstichstickerei gefunden; ihr Hauptvertreter ist die Maschine von Bonnaz in Paris, welche mit gleichem Vorteil zum Besticken großer wie kleiner Zeugflächen zu verwenden ist. Die Arbeit wird vereinfacht durch Wegfall der Aufspannung des Stoffes in einem Rahmen; der Stoff ist nur durch einen kleinen Tisch unterstützt und besitzt auf diesem volle und freie Beweglichkeit. Die Maschine ist infolge der hohen Leistungsfähigkeit, bis etwa 1800 Stiche minutlich (gegenüber 20–25 Stichen der Handstickerei), namentlich auch in der Hausindustrie sehr verbreitet. Bei der mit Kettenstich arbeitenden Bonnaz- oder Tambouriermaschine erfolgt die Steuerung der Transportvorrichtung und der stichbildenden Werkzeuge durch eine von der Hand der Arbeiterin bewegte Kurbel, weshalb die Maschine auch vielfach Kurbelstickmaschine [13] genannt wird. Zahlreiche Vorrichtungen, welche vielfach den Vertreter der Bonnaz-Maschine, Emile Cornely in Paris, zum Erfinder haben, und die sich für die Herstellung besonderer Zierstiche, für das Aufnähen von Litzen, Schnüren (Soutachieren) u. dergl., für die gleichzeitige Herstellung mehrerer Kettennähte aus einem Faden u.s.w. besonders eignen, erweitern den Benutzungskreis der Maschine beträchtlich. – Die mehrnadelige Bonnaz- Maschine von Cornely [14] bildet den Uebergang von der Stickerei zur Wirkerei, ebenso ist aber auch die Brücke zwischen Weben und Nähen vorhanden [15]. Auch das Schiffchen als stichbildendes Werkzeug hat man zur Anwendung gebracht [16].

Eine weitere Umgestaltung hat die Kurbelstickmaschine dadurch erfahren, daß man der Nadel außer ihrer auf und ab gehenden Bewegung gleichzeitig noch eine Seitwärtsbewegung erteilt hat (Kurbelstickmaschinen mit »springender« Nadel für Zickzackstich zum Aufnähen von Litzenbesatz mit Doppelsteppstich). Ferner hat man bei ihnen das Einstellen der Stichbildungswerkzeuge und Hilfsapparate auch auf mechanischem Wege versucht. Die die Kurbel Heuernde Hand wird ersetzt durch ein auswechselbares Musterband oder eine Kurventrommel [17].

Kombinierte Maschinen [18].

Bei den bisher besprochenen Stickmaschinen zeigt sich die Unvollkommenheit, daß man glatte Ware billig nur bei Benutzung der Schiffchen- und der Kettenstichmaschine fertigen und die hohle Ware nur auf einer Heilmannschen Maschine ausführen kann. Um jedoch auch sogenannte glatte und hohle Waren auf einer Maschine herstellen zu können, hat man auch versucht, beide Maschinengattungen in einer einzigen zu vereinigen, da eine ziemliche Anzahl von Teilen bei beiden Teilen gleich gebaut werden können. Um die Heilmannsche Maschine in eine Schiffchenstickmaschine umzuwandeln, wird dann der eine Wagen ausgekuppelt und dann dem andern, auf welchem sich zwei, für gewöhnlich zurückgeklappte Schienen mit festen Nadelreihen befinden, ein bestimmter Auszug und die für die Nadeln nötige Bewegung erteilt. Auf der andern Seite werden die entsprechende Anzahl Schiffchenschienen mit den schwingenden Schiffchen und den Stoffgegenhaltern eingeschaltet. Dieses Auswechseln der Teile ermöglicht daher eine Vereinigung beider Sticharten in einem und demselben Muster. Die üblichen Bohr- und Festonierapparate können in beiden Fällen zur Anwendung kommen. Als eine Hauptbedingung bei diesen kombinierten Maschinen ist anzusehen, daß die beiden verschiedenartigen Hauptmechanismen in sichere, ein zuverlässiges Arbeiten ermöglichende Verbindung mit den übrigen Mechanismen gebracht werden, ohne daß das jedesmalige Umwechseln eine verwickelte Folge von Handgriffen erforderlich macht. Infolge des Umstandes, daß die Wagen der kombinierten Stickmaschinen durch Anbringung des Schiffchennadelsystems auf den ersteren ein viel größeres Gewicht erlangen und somit den Handbetrieb nicht unwesentlich erschweren, sowie daß die kombinierten Stickmaschinen für den Betrieb des Schiffchennadelsystems schon Elementarkraft zur Verfügung haben müssen, wird es wünschenswert, auch beim Betriebe des Heilmann-Systems möglichst, wenigstens insoweit die seitherige Handkurbeldrehung in Frage kommt, Elementarkraft wirken zu lassen, so daß dem Sticker bloß noch die Umsteuerung und Regelung der von der Wellenleitung kommenden Drehbewegung und das Oeffnen und Schließen der Klüppel mittels Tretens der Tretschemel verbleibt. Auch der Fall, daß das Muster mit Ketten- oder Tambourierstich durch viele Nadeln gleichzeitig auf einen ausgespannten Stoff geflickt werden soll, ist ausgeführt worden. Man erhält dann eine Stickerei mit Ketten- oder Tambourieistich auf der einen Seite, während die andre Seite ein Aussehen ähnlich der Plattstichstickerei zeigt. Man hat ferner besondere Parallelführungen für den Stoff an Nähmaschinen angebracht, um so auch diese als Stickmaschine verwenden zu können [19].- Aus einer Vielzahl von zum Sticken geeigneten Doppelsteppstichnähmaschinen hat man sogenannte Mehrkopfnähmaschinen [20] gebildet und bewegt die der Kopfzahl entsprechende Zahl von Spannrahmen durch nur einen Pantographen von einer Arbeitsstelle aus.

Plattstich- und Schiffchenstickmaschinen bauen u.a. Maschinenfabrik Kappel bei Chemnitz i. S., Schubert & Salzer, A.-G., in Chemnitz i. S., Vogtländische Maschinenfabrik in Plauen i. V., F. Martini & Co. in Frauenfeld (Schweiz), F. Saurer & Söhne in Arbon bei St. Gallen. – Tambouriermaschinen werden z.B. gebaut von Schirmer, Blau & Co., G. Stein, Lintz & Eckhardt, sämtlich in Berlin.


Literatur: [1] Dillmont, Th. de, Encyklop. der weiblichen Handarbeiten, Dornach (Elsaß), Selbstverlag; Heiden, Handwörterbuch der Textilkunde, Stuttgart 1904, S. 520. – [2] Patentklasse 52; Fischer, Hugo, Die Stickmaschine, Zivilingenieur 1877 und 1880; Ders., Technolog. Studien im sächs. Erzgebirge, Leipzig 1878; Jäk, J., Die rationelle Behandlung der Stickmaschine[319] und ihrer Apparate, 2. Aufl., St. Gallen 1880; Müller, Ernst, Handbuch der Weberei und Zurichtungsarbeiten, Leipzig 1896, S. 1013 ff.; Glafey, Siegeslauf der Technik, 1909, Bd. 2, S. 125 ff. – [3] Dingl. Polyt. Journ. 1887, Bd. 265, S. 161. – [4] Ebend. 1895, Bd. 298, S. 283. – [5] D.R.P. Nr. 197003. – [6] Schweiz. Patentschr. Nr. 15573 von 1897; D.R.P. Nr. 157143., 168009. – [7] Jäk, a.a.O., S. 67–97; Fischer, Hugo, Civilingenieur 1878, S. 431, 442. – [8] Müller, Ernst, a.a.O., S. 1018. – [9] Dingl. Polyt. Journ. 1886, Bd. 259, S. 496; D.R.P. Nr. 40446, 41968, 48740, 50024, 61362, 66513. – [10] Fischer, a.a.O., 1880, S. 463; Dingl. Polyt. Journ. 1884, Bd. 254, S. 60; 1887, Bd. 265, S. 160; 1889, Bd. 272, S. 150, 193, 576; Gröbli, Die Entstehung der Schiffli-Stickmaschine, St. Gallen 1902. – [11] Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1890, S. 750; Dingl. Polyt Journ. 1891, Bd. 280, S. 291; Zollwarte 1908, S. 381. – [12] Fischer, a.a.O., 1880, S. 470. – [13] Richard, Die Nähmaschine, S. 131; Fischer, a.a.O., 1880, S. 478; Lind, H.W., Nähmaschinentechniker, 1888, Fig. 269–305; Müller, Ernst, a.a.O., S. 1026; Zeitschr. f. d. ges. Textilind. 1904/05, S. 351. – [14] Zivilingenieur 1880, S. 489. – [15] Dingl. Polyt. Journ. 1881, Bd. 240, S. 354. – [16] D.R.P. Nr. 61839, 82255. – [17] Siegeslauf der Technik, 1909, Bd. 2, S. 135. – [18] Dingl. Polyt. Journ. 1887, Bd. 265, S. 160: – [19] D.R.P. Nr. 41586, 42392; Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1888, S. 503; Hannov. Gewerbeblatt 1888, S. 89. – [20] Siegeslauf der Technik, 1909, Bd. 2, S. 131.

E. Müller.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 6 und 7.
Fig. 6 und 7.
Fig. 8.
Fig. 8.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 315-320.
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315 | 316 | 317 | 318 | 319 | 320
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