[825] Bibliothekwissenschaft, im weitern Sinne der systematisch geordnete Inbegriff aller wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen auf dem Gebiete des Bibliothekwesens. Sie zerfällt in die beiden einander nebengeordneten Teile der Bibliothekenlehre und der Bibliothekenkunde. Die Bibliothekenkunde (Bibliothekographie) beschäftigt sich mit der Geschichte und Beschreibung der einzelnen Bibliotheken älterer und neuerer Zeit (vgl. Bibliothek). Insofern sie dabei statistisch zu Werke geht, wird sie zur Bibliothekstatistik. Die Bibliothekenlehre (Bibliothekonomie, Bibliothektechnik, auch B. im engern Sinne) umfaßt die Lehren von der Einrichtung und die von der Verwaltung einer Bibliothek.
Über die bauliche Einrichtung der Bibliothekgebäudes. den besondern Artikel, S. 823.
Die Ausstellung der Bücher in äußerlicher Beziehung, die von ihrer innern Anordnung zu unterscheiden ist, bestimmt sich nach den drei (nicht vier) Formatklassen: Folio, Quart, Oktav, einschließlich der kleinern Formate, und zwar in der Weise, daß die Folianten zu unterst, darüber die Quartanten, zuletzt die Oktavbände zu stehen kommen, und daß ebenso in jeder Formatklasse die Reihenfolge von unten nach oben aufsteigt. In horizontaler Richtung hat die Ausstellung stets von der Linken zur Rechten zu laufen. Bei nebeneinander stehenden Repositorien lasse man die Ausstellung in jedem Repositorium für sich säulenartig emporsteigen. Bände übermäßiger Größe verlangen einen abgesonderten Platz. Hinsichtlich der Anordnung der Bücher hat es schon im Mittelalter nicht an Versuchen gefehlt, eine sachliche Ordnung durchzuführen. Später kam die von Schrettinger und Budik vertretene alphabetische Anordnungsmethode in Aufnahme, die als unwissenschaftlich ihren Zweck durchaus verfehlt, weil die Bibliothek als eine Repräsentantin der Wissenschaften in ihrer Entwickelung sich darstellen soll. Auch das von Frante-Ebert befolgte »historische Prinzip« widerstreitet dem Begriff der Wissenschaft. Dasjenige System, dem alleinige Brauchbarkeit zukommt, ist das wissenschaftliche oder systematische. Hier werden die einleitenden Schriften und die Geschichte jederzeit vorausgeschickt, dann die Teile der betreffenden Wissenschaft, wie sie sich aus dem allgemeinen Begriff derselben entwickeln, ausgeführt und die einzelnen Schriften in chronologischer oder in alphabetischer Ordnung verzeichnet und gestellt. Dabei ist es eine unerläßliche Forderung, daß auch die hinzutretenden Bände bei jeder wissenschaftlichen Abteilung nicht etwa hinten angehängt werden, sondern dem System entsprechend in allen Fällen an der zugehörigen Stelle einzureihen sind (vgl. unter anderm »Schema des Realkatalogs der königlichen Universitätsbibliothek zu Halle«, Leipz. 1888).
Für die Zwecke der Katalogisierung sind hauptsächlich zwei Arten von Katalogen notwendig: 1) ein alphabetischer Generalkatalog nach den Namen der Verfasser oder bei anonymen Schriften nach den Stichworten (Nominalkatalog); 2) systematische oder Realkataloge über die einzelnen Disziplinen. In beiden Gattungen von Katalogen wird auf die Trennung der drei Formatklassen keine Rücksicht genommen. Besondere Standkataloge erweisen sich bei wissenschaftlich geordneten Bibliotheken nicht als notwendig,[825] immerhin aber als nützlich. Über die Handschriften werden in der Regel besondere Kataloge geführt. Der Akzessionskatalog, der die Zugänge in der natürlichen Reihenfolge mit fortlaufenden Nummern und mit Notizen über Preis und Bezugsquelle ausführt, dient Rechnungszwecken. Für alle Kataloge, abgesehen von dem Akzessionskatalog, ist die Bandform und die Einrichtung als Blattkatalog dergestalt, daß jederzeit nach Bedarf neue Blätter ohne Störung der Ordnung eingelegt werden können, noch als das beste System anzusehen, doch werden in neuerer Zeit an vielen Bibliotheken Zettelkataloge auch zur definitiven Katalogführung verwendet, ohne daß eine der vielfachen hierfür vorgeschlagenen technischen Einrichtungen bis jetzt sich zu allgemeiner Geltung durchzuringen vermocht hätte.
Bei Eintragung der Bücher in den systematischen Katalog ist ihnen eine, die Reihenfolge ihrer Ausstellung in der Bibliothek anzeigende Nummer zu geben, die nebst der Fachbezeichnung (Signatur) sowohl im Innern der Bücher als auch äußerlich sichtbar auf dem Rücken (Etikettierung) anzubringen ist. Das in Amerika ausgebildete Dezimalsystem, welches das Gesamtgebiet der Literatur in zehn Teile zerlegt und diese sowie weiterhin die durch fortgesetzte Untereinteilung gewonnenen Glieder je mit den Ziffern 09 numeriert, um durch Zusammensetzung solcher Ziffern die Nummer jedes einzuordnenden Buches zu bestimmen, hat in den deutschen Bibliotheken keine Nachahmung gefunden.
Die Verwaltungslehre betrifft die Bewahrung der Bibliothek, wohin auch das Einbinden der Bücher zu rechnen ist, die Vermehrung und Anschaffung, die Benutzung, das Bibliothekpersonal. Die Mittel zur Bewahrung der Bibliothek sind außer der Instandhaltung der Lokalitäten haltbare und dauerhafte Einbände mit der Maßgabe, daß kein Buch ungebunden in die Bibliothek eingestellt werden darf, die Stempelung der Bücher (auf dem Titelblatte, wo ohne Beschädigung der Stempel nicht zu tilgen ist), das Scheuern der Geschäftszimmer und Bücherräume mindestens zweimal im Jahre, das Ausstäuben der Bücher und Repositorien während der Sommermonate, die Revision des Bücherbestandes an der Hand der vorhandenen Kataloge, die Vorsorge gegen schädliche Tiere. Die Vermehrung der Bibliothek erfolgt teils auf dem Wege der Anschaffung durch Kauf, teils durch Geschenke, teils durch Tausch. Für die Anschaffung ist in erster Linie der Zweck einer Bibliothek maßgebend. Bei Universitäts- und Zentralbibliotheken sind alle Wissenschaften gleichmäßig zu bedenken, während Spezialbibliotheken einzelne Fächer der Literatur zu bevorzugen haben. Hauptsache einer methodischen und rationellen Anschaffung bleibt ausgebreitetste Literaturkenntnis und Vertrautheit mit der Literärgeschichte, Handschriftenkunde und Bibliographie. Dubletten (d. h. doppelte Exemplare desselben Werkes in derselben Ausgabe) werden der Regel nach ausgeschieden und anderweitig verwertet, sofern nicht ein besonderes Bedürfnis vorliegt, mehr als ein Exemplar zu behalten. Dagegen würde die Entfernung bloß veralteter Schriften, die nicht den Charakter von Dubletten haben, in hohem Grade bedenklich sein, weil sich niemals vorausbestimmen läßt, ob dergleichen Schriften nicht früher oder später zur Benutzung verlangt werden können.
Der vornehmste Zweck einer jeden Bibliothek ist die Benutzung. Sie ist mit größtmöglicher Liberalität zu handhaben, soweit die Grundsätze der Ordnung und Erhaltung es irgend zulassen. Man wird deshalb die Grenze der nicht auszuleihenden Bücher auf ein möglichst geringes Maß einschränken müssen. Aber auch in den am liberalsten verwalteten Bibliotheken werden gewisse Werke (Nachschlagewerke, die seden Augenblick präsent sein sollen, sowie Werke von ganz besonderer Seltenheit und Kostbarkeit) von der Ausleihung und Versendung unbedingt ausgeschlossen bleiben müssen. Besondere Vorsicht ist bei der Gestattung der Benutzung von Handschriften vonnöten. Die Versendung von Büchern nach auswärts hat auf die Interessen der Benutzer am Ort Rücksicht zu nehmen, so daß häufig benutzte Bücher nicht zu versenden sind. Von dem Eintritt in die Bücherräume sind Personen, die ernsten wissenschaftlichen Studien nachgehen, nicht ängstlich fern zu halten. Unterhaltungsschriften werden (abgesehen von Volksbibliotheken) außer zu wissenschaftlichen Zwecken nicht ausgeliehen. Zeitlich ist die Entleihung an Fristen gebunden, nach deren Ablauf Prolongation stattfinden kann, die jedoch nicht ins Ungemessene bewilligt werden darf. Die Ordnung fordert eine halbjährliche allgemeine Rücklieferung sämtlicher ausgeliehener Bücher, wobei die zur Revision präsentierten Bücher gegen neue Empfangscheine zurückgenommen werden können. Ohne Empfangschein darf kein Buch ausgeliehen werden. Über die ausgeliehenen und versandten Bücher ist ein Journal zu führen, in das die Büchertitel, die Entleiher, Datum der Ausleihung und der Rückgabe eingetragen werden. Die erste wissenschaftliche Begründung der B. im engern Sinn enthält Schrettingers »Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der B.« (Münch. 180829, 2 Bde.); das umfassendste Werk aus neuerer Zeit sind Edwards »Memoirs of libraries in cluding a handbook of library economy« (Lond 1859, 2 Bde.). Aus neuester Zeit sind zu nennen: Gräfel, Handbuch der Bibliothekslehre (2. Aufl., Leipz. 1902); A. Maire, Manuel pratique du bibliothécaire (Par. 1896); Daruty de Grandpré, Vademecum du bibliothécaire (das. 1897). Für die Ordnung der Bibliotheken insbes. ist zu vergleichen: A. A. E. Schleiermacher, Bibliographisches System der gesamten Wissenschaftskunde (Braunschweig 1852, 2 Tle.), für das Dezimalsystem. M. Dewey, Decimal classification and relativ index (5. Aufl., Boston 1894). Zeitschriften: R. Naumanns »Serapeum« (Leipz. 184070); Petzholdts »Anzeiger für Literatur der B.« (unter verschiedenen Titeln, zuletzt als »Neuer Anzeiger für Bibliographie und B.«, 184086); das mit Unterstützung des preußischen Kultusministeriums von O. Hartwig herausgegebene »Zentralblatt für Bibliothekswesen« (Leipz., seit 1884, mit Beiheften). Fachorgan der englischen Bibliotheken war 188489 »The Libr::ry Chronicle«, seitdem »The Library«; der amerikanischen: »The Library Journal« (New York, seit 1876). In Frankreich erscheint das mit Unterstützung der Regierung herausgegebene »Bulletin des bibliothèques et des archives« (188489); seitdem die van E. Chatelain redigierte »Revue de bibliothèque« (Par. 1891 ff.); in Italien die »Rivista delle bibloteche« (hrsg. von G. Biagi, Flor. 1888 ff.). Die Schriften über Bibliothekenkunde s. in dem Art. »Bibliothek«. Ein besonderer Lehrstuhl für die B. besteht an der Universität Göttingen (Dziatzko).
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