Ehrlich

[417] Ehrlich, 1) Heinrich, Klavierspieler und Musikschriftsteller, geb. 5. Okt. 1822 in Wien, gest. 30. Dez. 1899 in Berlin, bildete sich unter Leitung von Henselt, Bocklet und Thalberg im Klavierspiel aus, während Sechter sein Theorielehrer war. 1840–44 konzertierte er in Ungarn, Rumänien und Wien, war in dem Revolutionsjahr 1848 Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung, wurde 1852 Hofpianist des Königs von Hannover, lebte 1855–57 in Wiesbaden und wandte sich dann nach Paris, London, Frankfurt a. M. Seit 1862 wirkte er in Berlin, 1864 bis 1872 und wieder 1886–98 als Klavierlehrer am Sternschen Konservatorium. 1875 erhielt er den Professortitel. Ende der 1870er Jahre übernahm er die musikalische Kritik des »Berliner Tageblattes« sowie der »Gegenwart«. E. war besonders angesehen als musikalischer Feuilletonist. Seine Aufsätze erschienen gesammelt als »Schlaglichter und Schlagschatten aus der Musikwelt« (Berl. 1872); »Lebenskunst und Kunstleben« (das. 1884, 2. Aufl. 1886); »Aus allen Tonarten; Studien über Musik« (das. 1888); »Modernes Musikleben« (das. 1895). Ferner schrieb er: »Die Musikästhetik in ihrer Entwickelung von Kant bis zur Gegenwart« (Leipz. 1881); »Wie übt man Klavier?« (Berl. 1879); »Die Ornamentik in Beethovens« und »in S. Bachs Klavierwerken« (beide Leipz. 1898); auch zwei Romane: »Abenteuer eines Emporkömmlings« (Frankf. 1858, 2 Bde.) und »Kunst und Handwerk« (das. 1862, 3 Bde.), »Novellen aus dem Musikantenleben« (Stuttg. 1885) und »Dreißig Jahre Künstlerleben« (das. 1893). Als Komponist trat er mit einem Klavierkonzert, Klaviervariationen über ein Originalthema u.a. hervor. Auch gab er Tausigs »Technische Studien« heraus nebst eignen Etüden.

2) Paul, Mediziner, geb. 14. März 1854 zu Strehlen in Schlesien, studierte in Breslau, Freiburg, Straßburg und Leipzig, wurde 1878 Assistent an der Berliner medizinischen Klinik unter Frerichs und arbeitete seit 1885 in der Gerhardtschen Klinik und seit 1890 am Institut für Infektionskrankheiten. 1881 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, und 1896 übernahm er die Direktion des Instituts für Serumforschung und Serumprüfung in Steglitz bei Berlin, das mit erheblich erweiterten Aufgaben 1899 als Institut für experimentelle Therapie nach Frankfurt a. M. verlegt wurde. Er arbeitete über die weißen Blutkörperchen und schuf eine neue Einteilung derselben, die das Wissen von den krankhaften Veränderungen des Blutes wesentlich erweitert hat. Er untersuchte die Reaktion der lebenden Nervenfaser auf Methylenblau, studierte das Sauerstoffbedürfnis des Organismus, entdeckte die Mastzellen und gab eine[417] neue Harnprobe (Diazoreaktion) an. Ferner lieferte er Studien über Färbemethoden für Mikroskopie, namentlich aber zahlreiche Untersuchungen über Immunität, von denen die über Ricin- und Abrinfestigkeit, über Immunität durch Vererbung und Säugung hervorzuheben sind. Im weitern Verlaufe seiner Immunitätsforschung gelangte er zur Ausstellung der Seitenkettentheorie (1897), die große Bedeutung für die Entwickelung der Immunitätslehre erlangt hat. Die Basis der Theorie bildet ein eingehendes Studium der Diphtheriegifte und ihrer Beziehungen zum Diphtherieantitoxin, das zur Ausstellung neuer Giftderivate (Toxoide, Toxone) führte. Durch diese Arbeiten wurde E. neben Behring der Begründer der Serumtherapie. Neuere Studien betreffen die Hämolysine des Blutserums, deren Resultate für die Immunitätslehre und die Biologie gleich wichtig sind. Er schrieb: »Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus« (Berl. 1885); »Farbenanalytische Untersuchungen zur Histologie und Klinik des Blutes« (das. 1891); »Die Wertbemessung des Diphtherieheilserums und deren theoretische Grundlagen« (Jena 1897); »Arbeiten zur Immunitätsforschung« (Berl. 1903). Auch bearbeitete er mit Lazarus die Lehre von der Anämie (1898), mit Lazarus und Pinkus die Leukämie, Pseudoleukämie und Hämoglobinämie (1901) für Nothnagels »Spezielle Pathologie und Therapie« und gab mit andern die »Enzyklopädie der mikroskopischen Technik« (Wien 1903) heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 417-418.
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