Hobbes

[390] Hobbes, Thomas, Philosoph, geb. 5. April 1588 in Malmesbury, gest. 4. Dez. 1679 in Hardwick, studierte seit seinem 14. Jahr in Oxford Mathematik und Aristotelische Philosophie, siedelte aus Haß gegen die 1641 ausgebrochene Revolution nach Paris über, wurde Lehrer des Prinzen von Wales (des nachherigen Königs Karl II.) und schrieb, nachdem er die Übersetzung des Thukydides (Lond. 1628) schon veröffentlicht hatte, die Werke: »De cive« (Par. 1642, Amsterd. 1647; deutsch von J. H. v. Kirchmann, Leipz. 1873), »Human nature, or the fundamental elements of policy« (Lond. 1650), »Leviathan, seu de materia, forma et potestate civitatis ecclesiasticae et civilis« (engl., das. 1651; hrsg. von Waller, Cambr. 1904; lat., Amsterd. 1668; deutsch, Halle 1794, 2 Bde.), denen nach seiner 1655 erfolgten Rückkehr nach England die weitern philosophischen Schriften: »Elementorum philosophiae sect. I.; De corpore« (engl., Lond. 1655), »Sect. II.: De homine« (engl., das. 1659; beide lat., Amsterd. 1668), »Human nature« und »De corpore politico« (zusammen Lond. 1650), beide u. d. T.: »The elements of law, natural and politic« (hrsg. von Tönnies, das. 1888) und »Quaestiones de libertate, necessitate et casu, contra D. Bramhallum« (verfaßt 1646; engl., das. 1659) folgten. Außer diesen hat er noch historische (z. B. »Dialogue of the civil wars of England«, zuletzt u. d. T.: »Behemoth, or the Long Parliament«, hrsg. von Tönnies, das. 1889) und physikalisch-mathematische (z. B. ein »Decameron physiologicum«) verfaßt, auch im hohen Alter den Homer übersetzt. Karl II. setzte ihm nach seiner Thronbesteigung (1660) eine Pension von 100 Pfd. Sterl. aus, die er auf dem[390] Landsitz seines ehemaligen Zöglings, des Grafen von Devonshire, Hardwick, genoß. – H.' Philosophie hängt mehr mit Galileis Physik als mit Bacons Lehre zusammen. Einzige Erkenntnisquelle ist nach ihm der äußere Sinn (Sensualismus), einziger Gegenstand der Erkenntnis die Körperwelt (Materialismus). Doch unterscheidet H. zweierlei Arten von Körpern, natürliche und künstliche, unter welch letztern der Staat der wichtigste ist. Jene machen den Gegenstand der Natur- oder theoretischen Philosophie (philosophia naturalis), diese den Gegenstand der Staats- oder praktischen Philosophie (philosophia civilis) aus. Bewegungen von außen affizieren die Sinne und pflanzen sich zum Gehirn und weiter zum Herzen fort, von dem eine Rückbewegung ausgeht, die Empfindung ist; die Farben- und Tonempfindungen, überhaupt die Empfindungsqualitäten, sind als solche nur subjektiv. Mit ihnen ist Lust oder Unlust verbunden, aus denen, wenn sie auf Zukünftiges gehen, Begehren oder Abscheu entsteht. Erinnerung wird dadurch möglich, daß die Affektion des Sinnesorgans noch fortdauert, wenn auch keine Einwirkung von außen mehr stattfindet. Alle innern Prozesse, auch die Ideenassoziation, gehen auf rein mechanische Weise vor sich. Wie der natürliche Körper durch Zusammenwirken physischer Naturkräfte zustande kommt, so der Staat durch das menschlicher Willenskräfte. Wie die Naturordnung eine natürliche, so ist der Staat eine künstliche Sicherheitsanstalt, durch welche dem Kampf dort der Natur, hier der einzelnen Willenskräfte, dem »Krieg aller gegen alle«, ein Ende gemacht wird. Da für die menschlichen Willen eine überlegene Obergewalt, wie sie für die Naturkräfte in der Natur selbst besteht, nicht vorhanden ist, so muß eine solche durch die Menschen, um ihrer eignen Selbsterhaltung willen, mittels Übereinkunft geschaffen und ihr (dem Herrscher) die nämliche unbedingte Zwangsbefugnis gegenüber den Einzelnen (den Untertanen) eingeräumt werden, welche die Naturordnung faktisch gegen die einzelnen Kräfte in der Natur ausübt. Die Gewalt des Herrschers (der übrigens ebensogut ein Einzelner wie eine ganze Versammlung sein kann, H. hält aber erstere Form für die vorteilhaftere), obwohl ursprünglich durch Vertrag auf diesen übertragen, ist absolut und unwiderruflich (gegen die Lehre des Grotius), die durch sie festgesetzte Ordnung (Staatsgesetzgebung) einzige Norm sowie der Staatswille selbst einzige Quelle des Rechts, jede Auflehnung gegen sie ist Revolution und als solche verbrecherisch. Auch die Religion ist dem Staatswillen durchaus unterworfen, da ihre Bekenner nicht das Recht haben können, einen Staat im Staate zu bilden. Letzteres zog ihm besonders die Feindschaft der Geistlichkeit zu, deren Folge sogar eine Anklage wegen Gottlosigkeit im Parlament war, gegen die er eine scharfsinnige Verteidigungsschrift: »Historical narration concerning heresy and the punishment thereof«, verfaßte. H. hat insbes. den französischen Enzyklopädisten und spätern Positivisten vorgearbeitet, dagegen unter seinen dem Absolutismus und Materialismus abgeneigten Landsleuten wenig Anklang gefunden. Zu seinen Gegnern gehörten Sharrock, Clarke und Cumberland, unter den Deutschen Mendelssohn (in seinem »Jerusalem«) und Anselm FeuerbachAnti-Hobbes«, Gieß. 1798). Seine sämtlichen Werke erschienen Amsterdam 1668 in 4 Bänden, seine »Moral and political works« London 1750 (deutsch, Halle 1793 ff.). Molesworth gab seine »Complete works, with life, Latin and English« (Lond. 1839 bis 1845, 11 Bde.) und »Opera latina« (das. 1844 bis 1845, 5 Bde.) heraus. H. selbst verfaßte noch als 84jähriger Greis seine Selbstbiographie in Versen; nach seinem Tod erschien seine Lebensbeschreibung von John Aubrey (Charlestown; lat. von Rich. Blackburn, das. 1681). Vgl. V. Mayer, Thomas H., Darstellung und Kritik seiner Lehren (Freiburg 1884); Robertson, Thomas H. (Lond. 1886, neue Ausg. 1901); Tönnies, H. ' Leben und Lehre (Stuttgart 1896); Lyon, La philosophie de H. (Par. 1893); L. Stephen, H. (Lond. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 390-391.
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