Geographische Gesellschaften

[591] Geographische Gesellschaften, Vereine zur Verbreitung und Erweiterung geographischer Kenntnisse. Da ihr Vorläufer, die 1788 zu London gegründete African Society, ihr erfolgreiches Streben nur auf die Erforschung Afrikas richtete, so datiert ihr eigentliches Bestehen erst von der Stiftung der Société de Géographie zu Paris 1821, der 1828 die Geographische Gesellschaft zu Berlin, 1830 die zu London folgte. Seitdem breiteten sie sich über alle Kulturländer Europas (mit Ausnahme der Balkanstaaten) und Amerikas aus, stifteten in Asien Zweigvereine und sind auch auf afrikanischen und australischen Boden verpflanzt worden. In Deutschland gibt es gegenwärtig 24 solcher Vereine, als deren bedeutendster die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin gelten muß. Sie zählte 1904: 1281 Mitglieder und hat ein Kapitalvermögen von 500,000 Mk. Als ihr Organ gab sie seit 1853 heraus die »Zeitschrift für allgemeine Erdkunde« (Berl. 1853–56, 6 Bde.; neue Folge 1856–65, 19 Bde.), seit 1866 u. d. T.: »Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde«, mit den 1874–1901 erschienenen »Verhandlungen«. Die von der Gesellschaft verwaltete Karl Ritter-Stiftung verfügt jährlich über 2000 Mk., die Reisende als Beihilfe zur Lösung bestimmter Aufgaben erhalten. Die in einem eignen Haus untergebrachte Bibliothek und Kartensammlung der Gesellschaft ist sehr bedeutend. Auf Berlin folgten 1836 Frankfurt a. M., 1845 Darmstadt, 1861 Leipzig (gibt jährlich die »Mitteilungen« und die »Wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Vereins für Erdkunde« heraus und verfügt über ein Stiftungsvermögen von 83,000 Mk.), 1863 Dresden, 1869 München (»Jahresbericht«), 1870 BremenDeutsche geographische Blätter«, vierteljährlich), 1873 Halle (mit Zweigverein zu Magdeburg, »Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle«, jährlich) und Hamburg (»Mitteilungen«), 1877 Freiberg i. S., 1878 Metz, Hannover und der Zentralverein für Handelsgeographie in Berlin, 1880 Karlsruhe, 1882 Jena (»Mitteilungen«, vierteljährlich), Lübeck, Königsberg i. Pr., Greifswald, Kassel, Stettin und der Württembergische Verein für Handelsgeographie in Stuttgart, 1883 Aschersleben, 1887 Köln, 1896 Gießen, 1897 Straßburg i. E. und Stettin, 1898 Glauchau in Sachsen.

In Großbritannien bestehen 7 g. G., doch ist die 1830 gegründete Royal Geographical Society die bedeutendste von allen geographischen Gesellschaften überhaupt. Sie zählte 1901: 4114 Mitglieder mit 230,000 Mk. Jahresbeiträgen und besitzt ein Kapitalvermögen von 520,000 Mk., dazu Stiftungen im Wert von 77,200 Mk. Die Gesellschaft gab seit 1830 das »Journal« und seit 1855 daneben, seit 1871 allein monatlich die »Proceedings« (1879 ward mit letztern, die seit 1893 als »Geographical Journal« erscheinen, das »Geographical Magazine« verschmolzen) heraus, mit denen die zwanglos erscheinenden »Supplementary Papers« verbunden waren. Die Gesellschaft ist durch ihre tatkräftige Unterstützung und selbständige Aussendung von Reisenden in alle Teile der Welt nicht nur für die Erdkunde, sondern auch für die Erweiterung der politischen und kommerziellen Machtsphäre Englands von größter Bedeutung gewesen. Bis 1884 war diese Gesellschaft die einzige in England; damals entstanden Gesellschaften zu Manchester und Edinburg (letztere gibt das wertvolle »Scottish Geographical Magazine« heraus), denen später die zu Newcastle, Liverpool, Oxford und Southampton folgten.

Frankreich, das in der 1821 gegründeten Société de Géographie zu Paris die älteste geographische Gesellschaft besitzt, hat jetzt die meisten solcher Vereine, nämlich 27 mit zahlreichen Zweigvereinen. Organe der Pariser Gesellschaft (55,000 Mk. jährliche Einnahme, 121,000 Mk. Kapitalvermögen nebst 400,000 Mk. Stiftungen, 2047 Mitglieder) sind »La Géographie, Bulletin de la Société de Géographie« und zugleich nach jeder Sitzung ein Heft »Compte rendu des séances«. Der durch die Gesellschaft veröffentlichte »Recueil de voyages et de mémoires« (1842–44, 7 Bde.) enthält eine Ausgabe des Marco Polo, die Geographie des Idrisi, auch besitzt die Gesellschaft eine reichhaltige und wertvolle Bücher- und Kartensammlung. Außerdem entstanden g. G. 1873 in Lyon und Paris (die letzte für Handelsgeographie), 1874 in Bordeaux (für Handelsgeographie, mit 7 Sektionen), 1876 in Marseille und Paris (die letzte für die Topographie Frankreichs), 1878 in Montpellier, Dijon und Valenciennes, 1879 in Nancy (mit 2 Sektionen), Rouen und Rochefort, 1880 in Douai (mit 9 Sektionen) und Lille (mit 2 Sektionen), 1881 in Bourg, 1882 in Toulouse, Lorient, Brest und Nantes, die letzte für Handelsgeographie, 1884 in Tours, Bourges, Havre (für Handelsgeographie), 1886 in St.-Nazaire (für Handelsgeographie), 1888 in St.-Quentin, 1889 in Laon, 1898 in Dunkerque, 1899 in Poitiers.

Rußlands 5 g. G. besitzen in der 1845 gegründeten Kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft zu Petersburg mit ihren (1901) 1196 Mitgliedern und einem Vermögen von 300,000 Mk. einen der bedeutendsten dieser Vereine. Die Gesellschaft (mit 10 Sektionen im europäischen Rußland u. in Russisch-Asien) entsendet Expeditionen zur Erforschung des russischen Asien und veröffentlichte 1848–50 eine geographische Zeitschrift in deutscher Sprache, 1850–71 einen jährlichen Rechenschaftsbericht, ferner in russischer Sprache seit 1861 DenkschriftenSapiski«), geteilt in eine mathematisch-physikalische, statistische und ethnographische Sektion, seit 1862 einen Jahresbericht (»Otschet«), seit 1865 die »Iswestija«, ferner den »Ethnographischen Sammler« (1853–58, 4 Bde.), ein »Geographisches Lexikon des russischen Reichs«, eine russische Bearbeitung von K. Ritters »Asien« etc. Andre g. G. bestehen in Helsingfors (2), Orenburg und Moskau.

Österreich-Ungarn besitzt 4 Gesellschaften, die 1856 zu Wien gegründete k. k. Geographische Gesellschaft, die 1902: 1890 Mitglieder zählt, ein Vermögen von 100,000 Mk. hat und seit 1856 monatlich »Mitteilungen«, seit 1899 auch »Abhandlungen« herausgibt. In Budapest wurde 1872 die Magyar Földrajzi Társaság gegründet, deren in magyarischer Sprache abgefaßtes OrganFöldrajzi Kozlemények«) zugleich einen Auszug in französischer Sprache enthält.[591] Dazu kommen der Verein der Geographen an der Universität Wien und die Böhmische Geographische Gesellschaft in Prag.

Italien besitzt 5 g. G.; die älteste ist die 1867 gegründete Società Geografica Italiana zu Rom mit 1901: 1109 Mitgliedern und einem Vermögen von 26,100 Mk. Auf sie folgten 1879 eine handelsgeographische Gesellschaft in Mailand, 1882 eine Afrikanische Gesellschaft in Neapel, 1883 eine Geographische Gesellschaft in Florenz, 1890 eine in Genua. In den Niederlanden besteht seit 1851 das Koninklijk Instituut voor de Taal-, Land-en Volkenkunde van Nederlandsch Indië im Haag, das sich die Erforschung der niederländischen Kolonien zur Aufgabe gemacht hat; es gibt »Bijdragen tot de Taal-, Landen Volkenkunde van Nederlandsch Indië« heraus. Eine zweite, allgemeine Ziele verfolgende Gesellschaft besteht seit 1873 in Amsterdam. In Belgien bestehen seit 1876 zwei g. G., eine zu Brüssel, eine andre zu Antwerpen. Die Schweiz hat sechs g. G., deren erste 1858 zu Genf gebildet wurde; sie veröffentlicht die Zeitschrift »Le Globe, journal géographique«. Sonst bestehen noch Gesellschaften seit 1873 zu Bern, seit 1878 zu St. Gallen, seit 1884 zu Aarau, seit 1885 zu Neuchatel, seit 1899 zu Zürich. Dänemark besitzt seit 1876 eine geographische Gesellschaft zu Kopenhagen, Schweden eine solche seit 1877 zu Stockholm, Norwegen bereits seit 1839 zu Christiania, Rumänien eine zu Bukarest, Spanien zwei zu Madrid und Barcelona, Portugal eine zu Lissabon.

In Asien besteht eine geographische Gesellschaft außer den Sektionen der Kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft seit 1879 in Tokio. Die bereits 1831 gegründete geographische Gesellschaft in Bombay wurde 1873 mit der Royal Asiatic Society in London vereinigt. Ihre »Transactions« behandeln vorzugsweise die Länder Südasiens. In Afrika bestehen g. G. in Kairo seit 1875, in Oran seit 1878, in Algier seit 1879, welche dieselben Ziele verfolgen wie die Afrikanischen Gesellschaften (s.d.) in Europa. Die älteste unter den geographischen Gesellschaften Amerikas ist die 1838 in Rio de Janeiro gegründete, die auch Geschichte und Ethnographie berücksichtigt und in der von ihr herausgegebenen »Revista trimensal« viele Arbeiten über die Geographie Brasiliens veröffentlicht hat. Neben ihr besteht in Rio de Janeiro seit 1881 eine zweite geographische Gesellschaft; Argentinien hat eine solche in Buenos Aires (mit vier Zweigvereinen), Peru in Lima. In Nordamerika wurde die erste Gesellschaft 1839 in Mexiko gegründet, zu dem Zweck, das eigne Land zu durchforschen. In der Union bestehen g. G. in New York (seit 1852, 1252 Mitglieder), San Francisco (zwei Gesellschaften seit 1881 und 1891), Washington (1888, 2808 Mitglieder), Philadelphia (zwei Gesellschaften, 1892, 1901), Seattle. In Australien besteht seit 1883 in Sydney eine Royal Geographical Society of Australasia mit Zweigvereinen zu Melbourne (1883) und zu Brisbane und Adelaide (1885). Vgl. G. Kollm im »Geographischen Jahrbuch«, Bd. 24, S. 397–406; Haacks »Geographenkalender für 1904/05« (Gotha).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 591-592.
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