[716] Handarbeitsunterricht in Schulen ist erst seit dem 18. Jahrh. bekannt. Näh- und Strickunterricht neben der eigentlichen Schule hat es freilich immer hier und da gegeben, und einzelne Stimmen hatten wohl schon früher auf den erziehlichen Wert geordneter mechanischer Tätigkeit hingewiesen (Comenius, Locke. Francke u. a.), namentlich für Mädchen; aber erst das gemeinnützige, philanthropische Geschlecht um und nach 1750 nahm diesen Gedanken ernstlich auf. Für das niedere Volk rechnete man zumeist auch auf unmittelbaren Ertrag der Kinderarbeit, der den Schulbesuch armen Kindern ermöglichen und ihren Eltern empfehlen sollte. Zwischen Knaben und Mädchen wurde lange Zeit auf dieser Stufe im H. wenig Unterschied gemacht; auch Knaben lehrte man spinnen, stricken etc. Anderwärts bevorzugte man für sie Hobel- und Schnitzarbeiten (Klütern) u. dgl. Für die Kinder des Volkes wirkten in diesem Sinne während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrh. auf weitere Kreise Pestalozzi, Fellenberg, Wehrli in der Schweiz, der Dechant Kindermann zu Kaplitz in Böhmen, später Ritter v. Schulstein und Bischof von Leitmeritz, der Pastor Wagemann in Göttingen. Herzog Peter Friedrich Ludwig von Holstein-Oldenburg führte 1796 den Industrieunterricht, wie der H. damals meistens genannt ward, in den Schulen seiner Herrschaften ein. Friedrich Wilhelm III. von Preußen empfahl ihn 1799 zur Einführung an den Garnisonschulen; das von ihm erlassene Schulreglement für die katholischen Schulen in Schlesien vom 18. Mai 1801 schreibt auch für die Landschulen Industrieunterricht (Spinnen, Stricken, Nähen) vor. Indes beschränkte dieser Industrieunterricht sich immer mehr auf die Mädchen und auf die im engern Sinne sogen. weiblichen Handarbeiten. In diesem Sinne war er im Schulgesetzentwurf von 1817 für ganz Preußen vorgesehen. Doch ist erst sehr allmählich im Laufe des 19. Jahrh. der Unterricht in weiblichen Arbeiten allgemein als notwendiger Unterricht der Mädchenschulen gesetzlich anerkannt worden. Seit 1835 der Kanton Aargau vorangegangen war, geschah dies zunächst überhaupt in der [716] Schweiz, dann in einzelnen deutschen Staaten. Für Österreich wurde der Unterricht obligatorisch durch das Unterrichtsgesetz vom 14. Mai 1869. In Preußen erfolgte die allgemeine Einführung durch die Allgemeine Verfügung des Ministers Falk vom 15. Okt. 1872, wo es in § 38 heißt: »Der Unterricht in weiblichen Handarbeiten wird, wenn tunlich, schon von der Mittelstufe an in wöchentlich zwei Stunden erteilt«. Mehr und mehr haben seither die Vorurteile, die dem H. noch immer in weiten Kreisen begegneten, sich abgeschliffen. Auch außerhalb Deutschlands, der Schweiz, Österreichs, der nordischen Länder ist der H. überall in die neuern Schulordnungen aufgenommen. Bevorzugte Pflege findet er in Frankreich (seit 1882). Die Methode des Handarbeitsunterrichts, der früher meist als Einzelunterricht mit schwankendem Erfolg erteilt ward, ist wesentlich verbessert durch die Berliner Lehrerin Rosalie Schallenfeld (1857), die ihn als Klassenunterricht behandeln lehrte, die dazu nötigen Hilfsmittel (Wandtafeln etc.) herausgab und eine gehörige Stufenfolge der Fertigkeiten aufstellte. Der H. beschränkt sich in einfachen ländlichen Verhältnissen auf Stricken, Stopfen, Nähen (Flicken); unter günstigern Umständen treten noch hinzu: Häkeln, Namensticken, Zuschneiden. In größern Orten hat sich demgemäß ein eigner Berufsstand der Handarbeitslehrerinnen gebildet, für deren Vorbildung bereits eine Anzahl eigner Anstalten (Seminare) besteht. Die Zulassung als Handarbeitslehrerin für mittlere und höhere Mädchenschulen ist in Preußen seit 1. April 1886 von dem Bestehen einer Prüfung abhängig, für die der Minister v. Goßler 22. Okt. 1885 eine eigne Ordnung erlassen hat, und die in jeder Provinz vor einer dazu bestellten Kommission abgelegt werden kann. In ähnlicher Weise hat sich fast überall der H. in den Mädchenschulen entwickelt. Daß der Unterricht in weiblichen Handarbeiten mannigfache Abstufung zuläßt und, wo es die örtlichen Verhältnisse zulassen oder gebieten, die Form eines elementaren Fachschulunterrichts (z. B. für Kunststicken, Spitzenklöppeln etc.) annehmen kann, liegt in der Sache selbst. Über den Arbeitsunterricht für Knaben s. Arbeitsschulen. Vgl. Henze, Amtliche Verordnungen, den H. etc. betreffend (Frankf. a. M. 1895); A. Schallenfeld, Praktische Anweisung zur Erteilung des Handarbeitsunterrichts (1.4. Stufe, 7.9. Aufl., das., zuletzt 1903); R. und A. Schallenfeld, Der H. in Schulen (10. Aufl., das. 1903); A. Schallenfeld und A. Hall, Wandtafeln für den H. (das. 1876, 3 Abtlgn.); E. Heine, Lehrbücher der Handarbeit (Leipz. 1892, 6 Tle.); Weißenbach, Arbeitsschulkunde (6. Aufl., Zürich 1899); L. Götz, Anleitung zum H. (5. Aufl., Darmstadt 1902, 2 Tle.); Hillardt, Handarbeitskunde (5 Abtlgn., Wien); Hillardt und Stenzinger, Methodik des Handarbeitsunterrichts (5. Aufl., das. 1903); Springer, Der H. in der Volksschule (3. Aufl., Bresl. 1899); Legorju, Der H. als Klassenunterricht (6. Aufl., Kassel 1902); Rossel, Leitfaden für den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten (8. Aufl., Berl. 1901); Bedenk, Der H. in der Frauenarbeitsschule und im Haus (Karlsr. 189396, 4 Tle.); Krause und Metzel, Der Unterricht in den Nadelarbeiten (3. Aufl., Köthen 1901); Stobbe, Leitfaden der weiblichen Handarbeiten (Leipz. 1903); Erdmann, Methodik der Handarbeit (Mainz 1897); E. Altmann: Beitrag zur Organisation des Handarbeitsunterrichts (Berl. 1897), Handarbeiten (in Wychgrams, »Handbuch des Höheren Mädchenschulwesens«, Leipz. 1897) und H. für Mädchen (in Reins »Enzyklopädischem Handbuch der Pädagogik«, u. Aufl., Langensalza 1903); Krause, Geschichte des Unterrichts in weiblichen Handarbeiten (in Kehrs »Geschichte der Methodik«, Bd. 3, 2. Aufl., Gotha 1888).