Keltische Sprachen

[830] Keltische Sprachen, einer der Hauptzweige des indogerman. Sprachstammes (s. Indogermanen), der in verschiedenen charakteristischen Eigentümlichkeiten den italischen Sprachen am nächsten steht und früher den ganzen Westen von Europa beherrschte (s. Kelten), aber im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Gebiet verloren hat. Er zerfällt in zwei Hauptgruppen: die britische und die gälische Gruppe. Zur erstern Gruppe wird manchmal auch das ausgestorbene, sehr altertümliche Altgallische gerechnet, das man nur teils aus Orts- und Eigennamen und andern Wörtern, die von alten Autoren angeführt werden, teils aus gallischen Münzen und etwa drei Dutzend Inschriften kennt; nach neuern Forschungen scheint es indessen zu keiner der beiden noch lebenden Gruppen der keltischen Sprache in besonders naher Beziehung zu stehen. Die wichtigste lebende Sprache der britischen Gruppe ist das Wallisische (Welsh) oder Kymrische (s. Welsche Sprache), das sich noch heutzutage mehr als alle andern keltischen Idiome literarischer Pflege erfreut und von etwa 1 Mill. Menschen gesprochen wird; bei den jährlich stattfindenden Nationalfesten, den sogen. Eisteddfods (s. Barden und Caerwys), werden die besten Dichtungen in wallisischer Sprache mit Preisen gekrönt. Seine Blütezeit, aus der manche interessante Dichtungen und Chroniken erhalten sind, fällt ins Mittelalter; die ältesten Bruchstücke der kymrischen Sprache rühren aus dem 8. Jahrh. her. Das Bretonische in der Bretagne (s. Bretonische Sprache und Literatur), das erst im 5. Jahrh. n. Chr. oder später durch aus Cornwallis ausgewanderte Kelten dorthin kam, erscheint in der Literatur vom 14. Jahrh. an, ist als Schriftsprache dem Erlöschen nahe, erhält sich aber als Volksdialekt in drei französischen Departements. Schon im 18. Jahrh. ausgestorben ist das mit dem Bretonischen nahe verwandte Cornische von Cornwallis. Die wichtigste Sprache der gälischen Gruppe, zugleich die altertümlichste und daher für die Sprachforschung wichtigste keltische Sprache überhaupt ist das Irische, das, zuerst in Inschriften des 5. Jahrh. n. Chr. in der Ogam (s. d.) genannten Schriftart abgefaßt, dann in Glossen zu lateinischen Werken auftrat, im Mittelalter eine stattliche Literatur, meist aus Chroniken, Legenden- und Gesetzsammlungen bestehend, erzeugte, seit der Renaissancezeit in Verfall geriet und heutzutage nur noch von höchstens 1 Mill. Individuen, die aber größtenteils auch Englisch verstehen, gesprochen wird. Eine Gesellschaft zur Erhaltung der irischen Sprache besteht in Dublin seit 1877. Das Hochschottische oder Erse, die Sprache der berühmten Lieder Ossians, auch speziell Gälisch genannt (s. Gälisch), wird nur in dem gebirgigen Teil Schottlands gesprochen. Das Manx, die alte keltische Sprache der Insel Man, wird dort kaum noch gehört. Die Gesamtzahl der keltisch Redenden in Europa beträgt jetzt nur noch etwa 1/2 Mill. Die keltischen Sprachen haben in allen Ländern, in denen sie einst gesprochen wurden, zahlreiche Ortsnamen zurückgelassen. Manche Besonderheiten der französischen Ausdrucksweise werden ebenfalls auf keltische Einwirkung zurückgeführt, so die der keltischen Zählmethode entsprechende Bezeichnung von 80 durch 4×20 (quatrevingt). Vgl. Zeuß, Grammatica celtica (2. Aufl. von Ebel, Berl. 1871); Windisch, Irische Grammatik (Leipz. 1879); die Artikel »Keltische Sprachen« in Ersch und Grubers Enzyklopädie und »Keltische Sprache« in Gröbers »Grundriß der romanischen Philologie« (Bd. 1, 2. Aufl., Straßb. 1904); Arbois de Jubainville (s. d.), Études grammaticales sur les langues celtiques (Par. 1881) und »Éléments de la grammaire celtique« (das. 1903); Thurneysen, Keltoromanisches (Halle 1884); Sattler, Grammatik des Kymraeg (Zürich 1886); Holder, Altkeltischer Sprachschatz (Leipz. 1891 ff.); Stokes, Urkeltischer Sprachschatz (Götting. 1894); ferner die »Revue celtique« (hrsg. von Gaidoz, Par. 1870 ff.) und die »Zeitschrift für keltische Philologie« (hrsg. von K. Meyer und Chr. Stern, Halle 1897 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 830.
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