[14] Kindermord, die in mehreren Ländern, namentlich in China und Indien, auch bei einigen Naturvölkern herrschende Sitte, neugeborne Kinder, namentlich solche weiblichen Geschlechts, durch Ersticken, Ersäufen, Aussetzen oder durch Gift (wozu in Indien besonders Opium u. der Milchsaft von Asclepias gigantea dienen) zu töten. Dieses Mittel, der Übervölkerung vorzubeugen und das Leben der übrigen zu erleichtern, fand man früher sehr weit verbreitet. In der Urzeit stand zweifellos den Eltern unumschränktes Verfügungsrecht über das Leben der kleinen Kinder zu. Der K. wurde zur Sitte erhoben, wo die Sorge für die Ernährung der Kinder sich geltend machte oder die Arbeitskraft der Frau unentbehrlich erschien. Diese Rechtseinrichtung wurde zur Schablone, und der Rechtssitte mußte sich auch in spätern Zeiten jeder fügen, selbst wenn kein zwingender Grund zum K. vorlag. Das klassische Land der Kindestötung ist China, obwohl sie dort unter Strafe gestellt ist. Cook traf 1774 auf der Osterinsel unter 700 Bewohnern nicht mehr als 30 Weiber an. Bei den Australnegern ist der K., besonders bei Mißgestalten und illegitimen Kindern, noch heute erlaubt; er wird auch zugelassen, wenn die Kinderzahl eine bestimmte Höhe übersteigt; ebenso wird der Säugling mit der im Wochenbett gestorbenen Mutter begraben. In Polynesien herrschen gleich grausame Sitten, und bei den Rothäuten Nordamerikas muß die Mutter jedes vierte und jedes folgende Kind selbst lebendig vergraben. Bei den Hottentotten haben die Eltern das Recht, Mißgestaltete und Krüppel auszusetzen. Bei den Hindu bilden namentlich religiöse Vorurteile und tiefgewurzelte Überzeugung von der Minderwertigkeit des Weibes die Stützen dieser barbarischen Sitte. Nur als Mutter eines Sohnes genießt das Weib bei den Indern Achtung, denn der Sohn ist nicht bloß Stammhalter der Familie, sondern von seinem Dasein und seinen Opfern hängt auch die Unsterblichkeit und Glückseligkeit seiner Eltern und Voreltern im Jenseits ab. Mit dem Aussterben der männlichen Linie verfallen die Manen der Familie ewiger Vernichtung. Daher bedeutet die Geburt eines Sohnes. in Indien einen Himmelssegen, diejenige einer Tochter auch wirtschaftlich ein Unglück, weil in Indien die Eltern zu fortwährenden Geschenken an die Tochter und deren Gatten bei allen möglichen Gelegenheiten verpflichtet sind. Dazu kommt die Furcht vor der Schande, welche die Tochter auf die Familie werfen kann. Die englische Regierung hat durch ein besonderes Gesetz (Infanticide Act), das den K. mit strengen Strafen bedroht, dieser Unsitte zu steuern gesucht, und in allen Kreisen, wo die Zahl der Mädchen nicht mehr als 2540 Proz. der Knaben beträgt, strenge polizeiliche Aussicht verfügt, aber im ganzen mit wenig Erfolg. Ein britischer Kommissar schätzte noch vor wenigen Jahren die Zahl der jährlich ermordeten Mädchen in Katsch und Gudscharat allein auf 30,000.