Kontinentalsperre

[440] Kontinentalsperre (Kontinentalsystem), die von Napoleon I. verhängte Maßregel, dem englischen Handel durch Absperrung des gesamten europäischen Festlandes einen tödlichen Schlag zu versetzen und es zum Frieden und zur Anerkennung des im Utrechter Frieden aufgestellten Seerechts zu zwingen. Die Grundlage des Kontinentalsystems war das am 21. Nov. 1806 von Berlin aus erlassene Dekret, das den Blockadezustand über die britischen Inseln verhängte, allen Handel und Verkehr sowie alle Korrespondenz mit ihnen aufs strengste untersagte, die in irgend einem von den französischen Truppen oder deren Verbündeten besetzten Land betretenen englischen Untertanen für kriegsgefangen, alles Eigentum englischer Untertanen sowie alle aus England und seinen Kolonien kommenden Waren für gute Prise erklärte und allen Handel mit englischen Waren verbot. England antwortete mit einer Geheimratsverordnung vom 7. Jan. 1807, wodurch allen neutralen Schiffen das Einlaufen in einen französischen oder unter französischer Kontrolle stehenden Hafen verboten ward. Napoleon, der sich unterdessen in den Besitz der Hansestädte gesetzt hatte, verfügte von Warschau aus 25. Jan. 1807 die Konfiskation sämtlicher in den Hansestädten mit Beschlag belegter englischer Waren. England erklärte 11. März dafür die strenge Blockade der Weser, Ems und Elbe und dehnte sie 11. Nov. auf alle Häfen aus, in die die englischen Schiffe nicht einlaufen durften. Außerdem wurde bestimmt, daß jedes mit einem französischen Paß ausgerüstete Schiff konfisziert und nur den Neutralen der Verkehr zwischen den Kolonien und ihrem Vaterland gestattet sein solle. Alle andern Schiffe sollten, wenn sie mit den blockierten Häfen Handel treiben wollten, erst in einem englischen Hafen eine Abgabe von 25 Proz. entrichten. Letztere Bestimmung drohte Napoleons ganze K. zu zerstören. Deshalb erklärte 17. Dez. 1807 ein Dekret aus Mailand jedes Schiff, das sich zu einer Fahrt nach England oder zu einer Abgabenentrichtung verstehe, für denationalisiert. Den Denunzianten ward durch Dekret vom 11. Jan. 1808 der dritte Teil des erbeuteten Gutes zugesichert. Der K., der anfangs bloß Frankreich, Holland, ein großer Teil Italiens und die Rheinbundsstaaten unterworfen wurden, traten im Tilsiter Frieden 7. und 9. Juli 1807 Preußen und Rußland, durch den Vertrag von Fontainebleau 31. Okt. 1807 Dänemark, 27. Okt. 1807 Spanien, das am 8. Juni 1808 seine Häfen für die englische Flotte verschlossen erklärte, endlich 18. Febr. 1808 auch Österreich bei. Rußland und Dänemark sollten in den nordischen Meeren, Frankreich, Spanien, Holland und Italien im Mittelländischen Meer und im Ozean den Handel mit englischen Waren verhindern. Da Portugal den Anschluß verweigerte, wurde es von den Franzosen besetzt und die Dynastie Braganza vertrieben. Allein bald tauchte eine Reaktion gegen die K. auf, da an strenge Durchführung nicht zu denken war; vielmehr fand der Handel eine Menge Mittel und Wege, um das verhaßte System zu umgehen. Vorzüglich die Nordamerikaner und griechische Seeleute betrieben diesen Handel mit englischen Waren in französischen und neutralen Häfen. Weil der Schleichhandel besonders an der holländischen Küste eifrigst betrieben wurde und König Ludwig ihn nicht streng genug bestrafte, wurde Holland 1810 mit Frankreich vereinigt, ebenso die ganze deutsche Nordseeküste sowie Lübeck. Da das Überhandnehmen des Schleichhandels besonders von Helgoland aus die Zwecke der K. zum Teil vereitelte, verordnete Napoleon 5. Aug. und 12. Sept. 1810 (Tarif von Trianon), daß alle Kolonialwaren als aus dem englischen Handel herrührend betrachtet und mit 50 Proz. Kontinentalsteuer belegt werden sollten. Das Dekret von Fontainebleau vom 19. Okt. 1810 verordnete sogar die Verbrennung und Vernichtung der englischen Waren. Gleichwohl wurden diese strengen Maßnahmen umgangen, und da der Kaiser später gegen die Lösung eines Lizenzscheines die Einfuhr einer gewissen Menge englischer Waren gegen die Ausfuhr einer gewissen Menge französischer Manufakturwaren nach England gestattete, sank die K. zuletzt zu einem Mittel zur Bereicherung seiner leeren Kassen herab; 1810 nahm er, ohne die konfiszierten Waren zu rechnen, 150 Mill. Frank an Steuern und Lizenzen ein. Die K. fiel schließlich durch die gegen Napoleon gerichtete Allianz Rußlands und Englands 1812 und die große Koalition von 1813. Vgl. Kiesselbach, Die K. (Stuttg. 1849); König, Die sächsische Baumwollenindustrie während der K. (Leipz. 1896); Hitzigrath, Hamburg und die K. (Hamb. 1900); Hoeniger, Die K. und ihre Einwirkungen auf Deutschland (Berl. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 440.
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