[2] Ohr (Auris; hierzu Tafel »Ohr des Menschen«), das Hörwerkzeug, das bei den Wirbeltieren und speziell bei den Säugetieren eine hohe Vollkommenheit erlangt, aber dennoch auf die sogen. Gehörorgane (s. Gehör, S. 483) der wirbellosen Tiere zurückzuführen ist. Das O. führt seine Entstehung wie andre Sinnesorgane auf die äußere Körperdecke zurück und entsteht gewöhnlich als grübchenförmige Einsenkung vom äußern Keimblatt, von dem sie sich später in Gestalt eines geschlossenen Bläschens ablöst. So liegt es denn auch zunächst mehr oberflächlich und reicht erst später allmählich in die Tiefe, wobei es aber trotzdem seine Verbindung mit der Außenwelt durch einen langen Gang, den Ductus endolymphaticus, lange Zeit oder (bei den Haifischen) zeitlebens bewahren kann. Aus dem bei den Wirbeltieren zumeist recht tief im Schädel liegenden Hörbläschen, das sich bald in zwei Bläschen, den Utriculus und den Sacculus, teilt, entsteht das sogen. häutige Labyrinth (s. unten), an dessen Innerm sich (wie bei den sogen. Hörbläschen der niedern Tiere) der Hörnerv verbreitet. Die feste Umgebung wird das knöcherne Labyrinth genannt und ist oft viel geräumiger als das häutige. Bald erfolgt eine weitere Sonderung in einzelne Bezirke, indem vom Utriculus aus die halbkreisförmigen Kanäle oder Bogengänge gebildet werden, deren gewöhnlich drei, selten nur zwei oder einer vorhanden sind; der mit ihnen unmittelbar in Verbindung stehende Abschnitt des Labyrinths wird Vorhof genannt. Der Rest bildet ein besonderes Bläschen, eben den Sacculus, an dem sich eine bei den niedern Wirbeltieren sehr kleine, bei den höhern ansehnliche Ausbuchtung befindet, die bei den niedern Wirbeltieren als Lagena bezeichnet wird, bei den höhern Wirbeltieren wegen ihrer Gestalt die Schnecke heißt und namentlich bei den Säugetieren stark entwickelt ist (s. unten). Vom Sacculus geht außerdem als langgestreckter Kanal der mit dem vorerwähnten Ductus endolymphaticus identische Aquaeductus vestibuli aus. Zu diesen wesentlichen Teilen des Ohrs treten nun verschiedene schalleitende Apparate hinzu, die zum Teil auf der Außenfläche des Kopfes beginnen, samt und sonders aber den Fischen noch fehlen. In der Wand des knöchernen Labyrinths bleibt eine kleine Stelle (das sogen. ovale Fenster) unverknöchert und gestattet dort ein leichteres Eindringen der Schallwellen. Daran schließt sich nach außen zu meist ein Hohlraum, die Paukenhöhle, der mit dem hintersten Teil der Mundhöhle (dem Rachen) durch die Ohrtrompete oder Eustachische Röhre in offener Verbindung steht, nach der Kopfhaut hingegen mittels des Trommelfelles geschlossen ist. (Eine Paukenhöhle fehlt z. B. den Schlangen und den geschwänzten [2] Amphibien.) Von letzterm aus zum ovalen Fenster spannt sich quer durch die Paukenhöhle ein einziges oder eine Kette von Knöchelchen, die Gehörknöchelchen. Endlich haben die Säugetiere und ganz vereinzelt auch andre Wirbeltiere ein äußeres O., d.h. eine Öffnung in der Haut, umgeben von einer durch Knorpel gestützten und durch Muskeln beweglichen Hautfalte. Die Öffnung führt durch den äußern Gehörgang zum Trommelfell, das bei den Säugetieren gewöhnlich tief im Kopf liegt; die Hautfalte oder Ohrmuschel fehlt den im Wasser lebenden Säugern nahezu oder ganz.
Man unterscheidet also am O. der Säugetiere (Fig. 1 der Tafel) drei Abschnitte: das äußere O. mit der Ohrmuschel (auricula) und dem äußern Gehörgang, das mittlere O. (Mittelohr) mit der Paukenhöhle und ihren Anhängen (Eustachische Röhre, Gehörknöchelchen) und das innere O. mit dem Labyrinth (Schnecke, Bogengänge etc.). Beim Menschen speziell stellen sich diese Einrichtungen folgendermaßen dar. Das äußere O. (Fig. 1), an dem verschiedene Leisten und Falten (Helix, Tragus etc., s. auch Tafel »Mundhöhle etc.«, Fig. 4) vorhanden sind, verdankt seine Gestalt dem Ohrknorpel. Die ihn überziehende Haut verlängert sich nach unten in das knorpelfreie Ohrläppchen. Dieses schmerzt und blutet beim Durchstechen (für die Ohrringe) nur wenig und kann durch den Zug, den schwere Schmuckgegenstände an ihm ausüben, stark ausgedehnt werden (s. Ohrschmuck). Von vorn, oben und unten her setzen sich an den Ohrknorpel kleine Muskeln an, die das äußere O. bewegen können und bei den meisten Menschen ziemlich rudimentär, bei den Säugetieren jedoch in Funktion sind. An das äußere O. schließt sich nach innen der äußere Gehörgang (meatus auditorius externus) an, der in der äußern Hälfte knorpelig, in der innern knöchern ist und von einer Fortsetzung der Haut ausgekleidet wird. In dieser liegen zahlreiche kleine, den Schweißdrüsen ähnliche Drüsen (glandulae ceruminosae), die das Ohrenschmalz (cerumen auris) absondern, eine bräunliche oder gelbe, klebrige, weiche, aus Fett, Pigmentkörnchen und Überresten der Drüsenzellen bestehende Masse. Bleibt es zu lange im Gehörgang liegen, so verstopft es diesen, erhärtet und führt zur Schwerhörigkeit (s. Ohrenkrankheiten). An der Grenze zwischen dem äußern und dem mittlern O. liegt das Trommel- oder Paukenfell (membrana tympani, Fig. 1 b, Fig. 2 c, Fig. 4 a), eine runde, dünne, elastische Membran, die Scheidewand zwischen dem äußern Gehörgang und der Paukenhöhle. Seine Außenfläche ist in der Mitte trichterförmig vertieft, weil es hier von dem innen angewachsenen Hammer einwärts gezogen wird. Nach innen vom Trommelfell liegt die rings von Knochen umgebene Trommel- oder Paukenhöhle (cavitas tympani, Fig. 1 i, Fig. 3 e). Diese ist gewöhnlich voll Luft, enthält die drei Gehörknöchelchen und ist mit einer äußerst feinen Haut überkleidet, welche die Fortsetzung der Schleimhaut der Ohrtrompete und des Rachens ist. Ihre äußere Wand ist das Trommelfell, die innere hingegen grenzt an das Labyrinth und hat zwei Öffnungen, das ovale und das runde Fenster. Das ovale oder eiförmige Fenster (Vorhofsfenster, fenestra ovalis, s. vestibuli, Fig. 1 g, Fig. 6 b) führt in den Vorhof des Labyrinths und wird von einer dem Trommelfell ähnlichen Haut verschlossen. Das runde Fenster (Schneckenfenster, fenestra rotunda s. cochleae, Fig. 4 o) liegt unterhalb des ovalen Fensters, ist ebenfalls durch eine Haut geschlossen und führt in die Paukentreppe der Schnecke (s. unten). Völlig offen ist die Paukenhöhle nur an einer Stelle, da nämlich, wo sie sich in die Ohrtrompete oder Eustachische Röhre (tuba Eustachii, Fig. 1 c, Fig. 3 d) fortsetzt; diese selbst öffnet sich in den Schlund dicht an der hintern Nasenöffnung. Die Gehörknöchelchen, durch welche die Schwingungen des Trommelfelles zum Labyrinth geleitet werden, heißen Hammer, Amboß und Steigbügel. Der Hammer (malleus, Fig. 4 b c d) liegt dem Trommelfell am nächsten und hat zwei Griffe, von denen der eine an das Trommelfell angewachsen ist, während sein Kopf den Amboß (incus) berührt. Dieser (Fig. 4 e f g, Fig. 2 a, Fig. 31) hat ebenfalls zwei Fortsätze und steht durch den einen derselben mit dem Steigbügel (stapes, Fig. 4 h, Fig. 3 k) in Verbindung, der sich selbst wieder auf den Rand des ovalen Fensters im Labyrinth stützt. Die Gehörknöchelchen sind durch Gelenke und Bänder miteinander verbunden und besitzen auch noch Muskeln zu ihrer Bewegung, nämlich den Trommelfellspänner oder innern Hammermuskel (Fig. 2 d, Fig. 3 n), den Erschlaffer des Trommelfelles und den Steigbügelmuskel. Über ihre Wirkung s. Gehör, S. 481. Ebenfalls in der Paukenhöhle, aber nicht zum O. gehörig, läuft zwischen Hammer und Amboß hindurch die sogen. Paukensaite (s. d., chorda tympani, Fig. 2 k), ein feiner Nerv, der sich zur Mundhöhle begibt.
Der innerste und wichtigste Teil des Ohrs, das Labyrinth (Fig. 1 d-h, Fig. 6), enthält die Endigung des Hörnervs. Man unterscheidet das häutige und das umgebende knöcherne Labyrinth; beide zerfallen in Schnecke, Bogengänge und Vorhof. Der knöcherne Vorhof (vestibulum) ist eine kleine Höhle, in der, ohne jedoch die Wandung zu berühren, der häutige Vorhof in Gestalt der beiden Säckchen (Utriculus und Sacculus) mit ihren Anhängen (Bogengängen und Schnecke) liegt. Die Bogengänge oder halbzirkelförmigen Kanäle (canales semicirculares) sind drei gekrümmte Kanäle (Fig. 1 d e f, Fig. 4 l m n, Fig. 6 c d e), die je mit einem angeschwollenen Teil (Ampulle) beginnen und in drei auseinander senkrechten Richtungen angeordnet sind. Die Schnecke endlich (cochlea, Fig. 1 h, Fig. 4 i, Fig. 6 a) hat in ihrem knöchernen Teil einen Kanal, der in 21/2 Windungen ansteigt und durch eine dünne, ebenfalls gewundene, halb knöcherne, halb häutige Scheidewand, die Spiralplatte, in zwei Gänge oder Treppen geteilt (Fig. 5, 7 u. 8) wird. Von diesen heißt die obere, engere und längere die Vorhofstreppe (scala vestibuli), weil sie im Vorhof ihren Eingang hat, die untere dagegen die Paukentreppe (scala tympani), weil sie an dem runden Fenster der Paukenhöhle anfängt. In der Spitze der Schnecke stehen beide durch ein Loch miteinander in Verbindung, so daß die Flüssigkeit in ihnen einheitlich ist. Die häutige Schnecke, die aber die knöcherne nur zu einem Drittel und zwar auch nur in der Vorhofstreppe ausfüllt (Fig. 7 e, Fig. 8 d), ist gleichfalls voll Flüssigkeit. Auf dem Querschnitt ist sie dreieckig und wird von dem übrigen Raum der Vorhofstreppe durch die Reißnersche Haut (Fig. 8 e, Fig. 7 f) getrennt. Zum Hörwerkzeug wird nun das Labyrinth durch den Hinzutritt des Hörnervs (nervus acusticus). Dieser, das achte Hirnnervenpaar, entspringt weit hinten im Gehirn (s. d., S. 468) und gelangt sogleich durch den sogen. innern Gehörgang zum innern O., nachdem er sich zuvor schon in den Vorhofs- und den Schneckennerv gespalten hat. Ersterer breitet sich an[3] der Innenfläche der Vorhofssäckchen und der Ampullen der Bogengänge aus und endet dort wahrscheinlich in der nämlichen Weise wie die andern Sinnesnerven auch (s. Sinneswerkzeuge), indem er sich in seine Fasern auflöst, die an die mit je einem Hörhaar besetzten Hörzellen herantreten. Die Hörhaare ragen nicht frei in den Hohlraum des Vorhofs hinein, sondern sind in eine gallertige, mit Hörsteinchen (Otolithen) oder Ohrsand, d.h. Kristallen aus Kalksalzen, untermengte Masse eingebettet. Die vom Trommelfell in das innere O. gelangenden Schallwellen werden von der Flüssigkeit im Vorhof auf diese Kristalle und von ihnen auf die Hörhaare übertragen. Der in die Schnecke gelangende Teil der Schallwellen jedoch wird in viel komplizierterer Weise den Fasern des Schneckennervs zugeführt. Dieser nämlich verläuft in der Achse der Schnecke (Fig. 7 a) und schickt fortwährend Zweige innerhalb der knöchernen Spiralplatte (Fig. 8 a) zu den einzelnen Windungen der häutigen Schnecke ab. Diese selbst hat auf der häutigen Fortsetzung (Fig. 7 h) der Spiralplatte ein ganz eigentümliches Gebilde, das sogen. Cortische Organ (Fig. 9). Es ist für das O. dasselbe, was für das Auge die Netzhaut ist, und zeigt gleich dieser einen komplizierten Bau (s. Gehör, S. 482). Die Bogengänge werden auch als Apparate zur Erhaltung des Gleichgewichts bei Bewegungen betrachtet, da man gefunden hat, daß nach ihrer künstlichen Entfernung Tiere sich nicht mehr in geordneter Weise bewegen können. Sie würden hiernach funktionell den Statocysten der niedern Tiere (s. oben) entsprechen. Vgl. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie des Ohres (Erlang. 1887); Ewald, Physiologische Untersuchungen über das Endorgan des Nervus octavus (Wiesbad. 1892); Schönemann, Topographie des menschlichen Gehörorgans (das. 1904) sowie die Lehrbücher der Anatomie. Über Ohrenkrankheiten und Ohrenpflege vgl. diese Artikel. Als Morelsches O. bezeichnet man gewisse unregelmäßige Bildungen der Ohrmuschel: übermäßiges oder mangelhaftes Wachstum, den rudimentären Zustand oder das Fehlen von gewissen Teilen der Ohrmuschel sowie das fehlerhafte Anwachsen der Ohren. Diese Abnormitäten wurden zuerst von Morel beschrieben, der zugleich darauf hinwies, daß die Ohrverbildung für Geisteskrankheit, bez. für erbliche Disposition zu geistiger Störung charakteristisch ist. Vgl. Binder, Das Morelsche O. (Berl. 1889).
Adelung-1793: Öhr, das · Ohr, das · Judas-Ohr, das
Lueger-1904: Ohr [2] · Ohr [1]
Meyers-1905: Morelsches Ohr · Öhr · Macacus-Ohr · Cercopithecus-Ohr · Darwinsches Ohr
Pierer-1857: Ohr [2] · Übers Ohr gebaut · Ohr [1] · Öhr · Ohr des Dionysios
Buchempfehlung
Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.
52 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro