Hugenotten

[607] Hugenotten (franz. Huguenots), Name der französischen Protestanten, der wahrscheinlich von den protestantischen Genfern herrührt, die im Kampfe gegen Savoyen sich an die Schweizer anlehnten und deshalb die Partei der »Eidgenossen« oder in französischer Verstümmelung Huguenots genannt wurden. Schon unter König Franz I. hatte der unter den Gebildeten herrschende, der alten Kirche feindliche Humanismus der Reformation Eingang verschafft, die, von des Königs Schwester Margarete von Navarra begünstigt, besonders unter den Gelehrten große Verbreitung fand. 1523 entstand in Meaux die erste lutherische Vereinigung. Indes politische Rücksichten und despotische Gesinnung veranlaßten Franz I. zur Verfolgung der Lutheraner, deren viele seit 1525 hingerichtet wurden. Nichtsdestoweniger dehnte sich der Protestantismus schnell unter Adel und Bürgertum aus, und gerade die Verfolgung ließ an Stelle des friedfertigern Luthertums die streitbare und tatkräftige Lehre Calvins treten. Vergebens steigerte Heinrich II. (1547–1559) noch die Schärfe der Verfolgung. Bei seinem Tode zählten die Reformierten schon 400,000 Anhänger und hatten im Mai 1559 ihre erste große Landesversammlung gehalten, die sie in Gemeinden, Provinzialsynoden und einer Nationalsynode in demokratischem Sinn und auf praktischste Weise organisierte und zugleich in 40 Glaubens- und ebensoviel Disziplinarartikeln ihr Bekenntnis auf Calvinscher Grundlage feststellte. Die prinzliche Familie Bourbon und das mächtige Haus Châtillon übernahmen ihre Führung, während die Guisen ihre erbittertsten Gegner wurden. Da diese unter dem König Franz II. (1559–60) die Regierung in Händen hatten, verhängten sie über die H. die schlimmsten Verfolgungen. Indes ehe die Guisen ihren Zweck erreicht hatten, starb Franz II., und für dessen minderjährigen Bruder, Karl IX., übernahm die Königin-Mutter Katharina von Medici die Regentschaft, die sie, aus Eifersucht gegen die Guisen, derart hugenottenfreundlich gestaltete, daß man an ihren Übertritt zum Calvinismus glaubte. Die Ständeversammlung von Orléans (im Dezember 1560) zeigte sich, mit Ausnahme der Geistlichkeit, diesem Bekenntnis durchaus geneigt. Katharina veranstaltete zwischen katholischen und reformierten Geistlichen zu Poissy (im September 1561) ein Religionsgespräch, das mit dem Siege der Protestanten endete. Darauf wuchs die Zahl der neugläubigen Gemeinden auf 2500, und fast der gesamte Adel ging zu den H. über, denen das sogen. Januaredikt (17. Jan. 1562) freie Übung des Gottesdienstes außerhalb der Städte gestattete. Die eifrig katholische Partei antwortete darauf durch Niedermetzelung der Hugenottengemeinde von Vassy. Dieses Blutbad von Vassy (1. März 1562) führte den ersten Hugenottenkrieg herbei. Katharina von Medici vermittelte einen Frieden, der am 19. März 1563 in Form des Edikts von Amboise verkündigt wurde, freilich aber die H. mehr einschränkte, als das Januaredikt dies getan.

In den folgenden Friedensjahren vollendeten die H. ihre starke politische und militärische Organisation. Strenge Sittlichkeit wurde unter ihren Anhängern aufrecht erhalten und besonderes Gewicht auf den Schulunterricht gelegt, der in den fünf Akademien zu Montauban, Nîmes, Saumur, Montpellier und Sedan gipfelte. Aber die H. verscherzten endgültig die Gunst der öffentlichen Meinung Frankreichs, als Condé durch den vergeblichen Versuch, sich durch Überfall des jungen Königs im Landhause Monceau zu versichern (27. Sept. 1567), den zweiten Hugenottenkrieg herbeiführte. Von den deutschen Glaubensgenossen mit Truppen unterstützt, nötigte Condé den Hof zum Frieden von Longjumeau (23. März 1568), der den H. günstig war. Aber wie die große Mehrheit des Volkes, so war auch die Regentin durch die ungerechtfertigte Empörung der H. mit ihnen unheilbar verfeindet. Blutige Gewalttaten wurden allerorten gegen sie verübt, bis sie im August 1568 den dritten Hugenottenkrieg begannen. Herzog Heinrich von Anjou, des Königs Bruder, besiegte Condé bei Jarnac (13. März 1569). Da Condé in dieser Schlacht gefallen war, ging die Leitung der H. an den Admiral Coligny über. Zwar wurde auch dieser von Anjou bei Montcontour (3. Okt. 1569) geschlagen; allein die Festigkeit des Admirals, der Mut der Protestanten und die Unterstützung ihrer deutschen Glaubensbrüder zwangen schließlich den Hof zum Frieden von St.-Germain-en Laye (8. Aug. 1570), der den H. vollkommene Glaubensfreiheit, Sicherheit vor Gericht und vier Festungen zu ihrem Schutze gewährte.

Der jugendliche König Karl IX. schloß sich politisch ganz den H. an, berief Coligny als seinen vertrautesten Berater an den Hof und vermählte seine Schwester Margarete mit dem jungen protestantischen König Heinrich von Navarra (18. Aug. 1572). Allein die Eifersucht Katharinas auf die Macht Colignys führte den Beschluß der Niedermetzelung aller H. herbei, den die Königin-Mutter und Anjou durch Aufgebot[607] ihres ganzen Einflusses dem König abrangen. In der Nacht zum 24. Aug. 1572, der Bartholomäusnacht (la Saint-Barthélemy), begann das Morden in Paris, worauf es in den Provinzen nachgeahmt wurde: mindestens 30,000 H. wurden binnen vier Wochen hingeschlachtet. Heinrich von Navarra und der junge Heinrich von Condé retteten ihr Leben nur durch Übertritt zum Katholizismus.

Allein in dieser furchtbaren Krise bewährte sich der französische Protestantismus auf das glänzendste. Nach kurzer Entmutigung griffen die Überlebenden zu den Waffen, unter Führung des heldenkühnen La Noue (vierter Hugenottenkrieg). Die königlichen Truppen vermochten weder La Rochelle noch andre protestantische Festungen einzunehmen. Das Edikt von Boulogne (30. Juni 1573) gewährte den H. wenigstens persönliche Gewissensfreiheit sowie Übung des Gottesdienstes in den ihnen eingeräumten drei Sicherheitsplätzen. Die H. fanden Unterstützung bei der Partei der »Politiker«, der gemäßigten Katholiken, an deren Spitze sich der jüngere Bruder des Königs, der Herzog von Alençon, stellte.

Als der neue König Heinrich III. die H. bedrängte (1574), begannen diese mit Hilfe der »Politiker« den fünften Hugenottenkrieg. Alençon wie Navarra entkamen vom Hofe, und der zweite von ihnen trat, ebenso wie Condé, 1576 wieder zu den H. über, die er von nun an mit ebensoviel Mut wie Einsicht leitete. Katharina vermittelte den Frieden, der am 8. Mai 1576 zu Beaulieu geschlossen wurde, den H. neue Sicherheitsplätze einräumte und ihren Gottesdienst im ganzen Reiche, mit Ausnahme der Hauptstadt, zuließ, außerdem bei den Parlamenten zur Entscheidung aller Rechtshändel, bei denen Protestanten beteiligt seien, eine aus diesen und Katholiken zu gleichen Teilen gemischte Kammer (chambres mi-parties) einrichtete. Vier Jahre nach der Bartholomäusnacht zustande gekommen, war dieser Friede der glänzendste Triumph der H. Leider war in dem wilden Kriegstreiben Zügellosigkeit und weltliches Interesse bei ihnen eingerissen, während nunmehr ihre Gegner sich in der sogen. Ligue zusammenschlossen. Die Stände von Blois faßten (Dezember 1576), der damaligen Stimmung der großen Mehrheit des französischen Volkes entsprechend, Beschlüsse, die auf Vernichtung der H. zielten. Diese begannen den sechsten Hugenottenkrieg, der zwar im September 1577 durch den Frieden von Bergerac beendigt wurde, aber bald im siebenten Hugenottenkrieg wieder auflebte. Anjou (der frühere Alençon) vermittelte dann im November 1580 einen neuen Frieden zu Fleix, der gleichfalls den H. sehr günstig war. Aber die ganze Lage der Dinge wurde verändert durch den Tod Anjous (10. Juni 1584); nunmehr war der rückfällige Ketzer Heinrich von Navarra der präsumptive Thronfolger, eine Aussicht, die auch die gemäßigten Katholiken erschreckte. Unter diesen Umständen nötigte die Ligue, von dem König von Spanien unterstützt, Heinrich III. zu dem Edikt von Nemours (7. Juli 1585), das sämtliche Reformierte bei Todesstrafe aus dem Reiche verbannte. Am 10. Sept. 1585 schleuderte Papst Sixtus V. den Bannstrahl gegen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé, die er von jedem Recht der Thronfolge ausschloß. Aber die H. erhoben sich zum achten Hugenottenkrieg, in dem sie ebenso von ihren deutschen und englischen Glaubensgenossen unterstützt wurden, wie die Ligue vom Papst und dem König von Spanien. Navarra schlug die Königlichen bei Coutras (20. Okt. 1587), nutzte aber den Sieg wenig aus, während sein Gegner Heinrich von Guise die deutschen Hilfstruppen der Protestanten bei Auneau warf und sie zum Rückzug aus Frankreich nötigte, dann an dem sogen. Barrikadentag (12. Mai 1588) den König aus Paris vertrieb und ihn zu dem Unionsvertrag von Rouen (15. Juli 1588) zwang, der Heinrich III. zum Sklaven der Ligue machte. Der König entledigte sich zwar Guises durch Meuchelmord (23. Dez. 1588), rief aber dadurch nur einen Aufstand in Paris und in den meisten großen Städten hervor, die sich für die Ligue erklärten. Im Hauptquartier zu St.-Cloud fiel der letzte Valois unter dem Messer des fanatischen Dominikaners Jacob Clément (2. Aug. 1589), und der Bourbon Heinrich von Navarra ward nun legitimer König als Heinrich IV. Indes noch jahrelang hatte er ohne entscheidenden Erfolg gegen die Ligue und deren spanische Hilfstruppen zu kämpfen. Schließlich konnte er eine Entscheidung nur herbeiführen, indem er zum zweitenmal zur katholischen Kirche übertrat (25. Juli 1593), zum großen Schmerz der H. Allein im Grunde gewannen sie dadurch, da Heinrich seinen frühern Glaubensgenossen stets gewogen blieb. Nachdem er allgemeine Anerkennung erlangt hatte, erteilte er 25. April 1598 das Edikt von Nantes, das den H. vollkommene Gewissensfreiheit gewährte; überdies erzwangen sie in demselben Genehmigung ihrer straffen religiösen, politischen und militärischen Organisation sowie die Einräumung von nicht weniger als 200 Sicherheitsplätzen.

Ungünstiger war den H. König Ludwig XllI. Zwar bestätigte er das Edikt von Nantes bei der Erklärung seiner Volljährigkeit 1614 und zwei Jahre später in dem Vertrag von Loudun. Als er aber 1620 die katholische Religionsübung in der rein protestantischen Provinz Béarn wieder einführen wollte, erregten die H. einen Aufstand (bisweilen als neunter Hugenottenkrieg bezeichnet). Indes die frühere Überzeugungstreue und Festigkeit waren besonders aus ihrem Adel gewichen, und dessen Feigheit und Selbstsucht brachten sie derart in Nachteil, daß sie im Frieden von Montpellier (19. Okt. 1622) den größten Teil ihrer Sicherheitsplätze sowie das Recht verloren, ohne Genehmigung des Königs ihre Versammlungen abzuhalten. Richelieu, der bald darauf allmächtig wurde, beschloß, mit voller Wahrung der Gewissensfreiheit der H., doch deren politisch-militärische Sonderstellung im Staate zu vernichten. Als die H. 1625 die Waffen ergriffen, wurden sie trotz englischer Hilfe besiegt, ihre Hauptfestung, La Rochelle, im Oktober 1628 zur Ergebung gezwungen. Am 27. Juni 1629 schlossen die H. mit dem Kardinal den Frieden von Alais, der das Edikt von Nantes erneuerte, jedoch nur unter der Bedingung, daß jene auf ihre sämtlichen Sicherheitsplätze verzichteten. Mit der politischen und militärischen Macht der H. war es vorbei, und sie waren dem Belieben der Staatsgewalt preisgegeben.

Unter der Regierung Richelieus und Mazarins wurden die H. durchaus nicht belästigt. Anders wurde es unter Ludwig XIV. Dieser Herrscher wollte in seinem Reiche keine von der seinen abweichende Meinung dulden; überdies wünschte er, gerade wegen seiner Mißhelligkeiten mit dem Papst, der Geistlichkeit einen Beweis seines katholischen Eifers zu geben. Seit seinem Regierungsantritt wurden die H. zurückgesetzt und beeinträchtigt, der Abfall vom Protestantismus durch Gnadenstellen und die »Bekehrungskasse« gefördert. Besonders aber steigerte sich die Verfolgung seit 1680. Die Chambres mi-parties wurden[608] aufgehoben, die H. von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, zahlreiche reformierte Kirchen gesperrt, die Betversammlungen mit Waffengewalt gesprengt. Endlich (1685) erfand der Intendant von Béarn, Foucault, die Dragonaden, Zwangseinquartierung von Soldaten, zumal Dragonern, bei den H., gegen welche die Soldaten die ärgsten Gewalttätigkeiten anzuwenden geradezu befehligt wurden. Diese Maßregeln hatten in der Tat den scheinbaren Übertritt des größten Teiles der H. zum Katholizismus zur Folge. Nun hob der König 22. Okt. 1685 das Edikt von Nantes förmlich auf, mit Verbot jeder religiösen Übung für die H., zugleich aber auch der Auswanderung, bei Galeeren- und selbst Todesstrafe. Trotzdem gelang es etwa 200,000 H., über die Grenzen nach den protestantischen Ländern zu entkommen, wo diese Réfugiés auf das gastlichste aufgenommen wurden (s. Hugenottenverein, Deutscher). In Frankreich aber wurden immer strengere Maßregeln ergriffen: die Ehen der H. wurden für nichtig erklärt, ihre Kinder ihnen entrissen etc. Diese Verfolgungen riefen 1702 in dem Gebirgslande der Cevennen, wohin sich viele H. geflüchtet hatten, den Aufstand der Kamisarden (s. d.) hervor. Unter dem Regenten gestattete man den H. wieder größere Freiheit; und selbst die Verfolgungsdekrete, die Ludwig XV. auf Andrängen der Jesuiten gegen sie erließ, wurden durch den humanen Sinn der Behörden kraftlos. Die H. hielten nach wie vor im geheimen, »in der Wüste« (désert), wie sie sagten, ihre gottesdienstlichen Versammlungen ab. Einzelne Unduldsamkeiten, wie die Ungültigkeitserklärung der protestantischen Trauungen und Taufen (1752), der Fall Calas (s. d.) u. a., riefen nun von seiten Voltaires und der übrigen »Philosophen« eindrucksvolle Proteste hervor. Ludwig XVI. erließ schon 17. Nov. 1787 ein Toleranzedikt, und die konstituierende Nationalversammlung verlieh 1791 den Reformierten den Vollgenuß aller bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. Wenn auch im Beginn der Restauration der »weiße Schrecken« der Ultraroyalisten und Ultraklerikalen vorübergehend in Südfrankreich Verfolgung über die Protestanten verhängte, ist doch ihre rechtliche Stellung nicht mehr angetastet worden, und sie konnten in ihren Konsistorien und ihrem Zentralkonsistorium die Angelegenheiten ihrer Religionsgemeinschaft frei ordnen.

Vgl. die Beza zugeschriebene »Histoire des Eglises réforméesen France« (Antwerp. 1580, 3 Bde.); Thuanus, Historia sui temporis (Par. 1604; beste Ausg., Lond. 1733, 7 Bde.); Davila, Storia delle guerre civili di Francia (Vened. 1630; deutsch von Reith, Leipz. 1792–95, 5 Bde.); Duplessis- Mornay, Mémoires et correspondances (1624; neue Ausg, Par. 1825, 12 Bde.); Lacretelle, Histoire de France pendant les guerres de religion (das. 1814–16, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1815, 2 Bde.); Aguesse, Histoire del'etablissement du protestantismeen France (Par. 1882–85, 4 Bde.); Meaux, Les luttes religieusesen France an XVI. siècle (das. 1879); Puaux u. Sabatier, Etudes sur la révocation de l'édit de Nantes (das. 1886); de Félice, Les Protestants d'autrefois (das. 1897–99, 3 Bde.), dazu H. Lehr, Vie et institutions militaires, (1901); Soldan, Geschichte des Protestantismus in Frankreich bis zum Tode Karls IX. (Leipz. 1855, 2 Bde.); v. Polenz, Geschichte des französischen Calvinismus (Gotha 1857–69, 5 Bde.); Sander, Die H. und das Edikt von Nantes (Bresl. 1885); C. W. Baird, History of the rise of the Hugenots (Lond. 1880, 2 Bde.), The Huguenots and the revocation of the edict of Nantes (das. 1895, 2 Bde.) und History of the Huguenot emigration to America (New York 1885, 2 Bde.); H. M. Baird, Huguenots and Henry of Navarre (das. 1886, 2 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 607-609.
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